Ingbert Liebing wurde mit 94,9 Prozent zum Vorsitzenden der schleswig-holsteinischen Christdemokraten gewählt

Neumünster. Verwundert verfolgen die beiden blonden Mädchen in der ersten Reihe, was sich da vor ihnen abspielt: Die CDU Schleswig-Holstein gratuliert dem neuen Vorsitzenden. Von Kameramännern umringt, nehmen sie einer nach dem anderen den Chef in die Arme. Ingbert Liebing heißt er. Gerade hat der 51-Jährige eine gute, teilweise sogar aufrüttelnde Rede gehalten, gerade ist er mit 94,9 Prozent zum Nachfolger des zurückgetretenen Landesvorsitzenden Reimer Böge gewählt worden. Nun steht er da, in das unwirkliche, verfremdende Licht der Kamerascheinwerfer getaucht, und strahlt mit ihnen um die Wette: der Vater von Franziska und Charlotte, der Vater der beiden 14 und 17 Jahre alten Mädchen in der ersten Reihe.

„Ich bin bereit“: Dieser Satz zog sich am Sonnabend in der Neumünsteraner Holstenhalle wie ein Leitmotiv durch Liebings 35-minütige Bewerbungsrede. Er verwies zugleich auf die Geschichte dieser Bewerbung – und auf die personellen Probleme der einstmals mächtigen und einflussreichen schleswig-holsteinischen CDU. Denn noch vor gut anderthalb Jahren war der Sylter Bundestagsabgeordnete nicht bereit gewesen für den Posten des Landesvorsitzenden. Jost de Jager hatte damals, im Januar 2013, vorzeitig die Brocken hingeschmissen. Quälende Wochen folgten. Niemand wollte Chef der Nord-CDU werden. Schließlich ließ sich der Europaabgeordnete Reimer Böge in die Pflicht nehmen. Pflichtgemäß versah er seinen Dienst – bis er im September aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat.

Diesmal dauerte es nur wenige Tage, bis die Nord-CDU einen potenziellen Nachfolger präsentieren konnte: Ingbert Liebing. Weitere Kandidaten fanden sich nicht, und so konnte sich der Sylter schon vor dem Wahlgang am Sonnabend sicher sein, neuer Landesvorsitzender zu werden. Seine energisch vorgetragene Rede kam gut an bei den rund 280 Delegierten. Besonders im Abschnitt „Attacke“ wurde Liebing immer wieder von Beifall unterbrochen. „Schleswig-Holstein wird unter Wert regiert“, sagte er. Zwischen den Koalitionspartnern SPD, Grüne und SSW herrsche „dicke Luft“, der Innenminister sei zurückgetreten, weil ihm die Arbeit zu viel geworden sei, ein Staatssekretär sei „in die Wüste geschickt“ worden, in den Schulen herrsche „wildes Durcheinander“, bilanzierte er. Über allem „thront ein Ministerpräsident voller Pathos“. Liebing: „‚Toll’ nennt das der Ministerpräsident. Wir nennen es ‚Tollhaus’“. Der neue Landesvorsitzende nahm aber auch seine eigene Partei in die Pflicht. „Wir werden gebraucht – als bessere Alternative“, sagte Liebing. „Da haben wir noch viel zu tun. Wir werden uns anstrengen müssen.“ Er will bis zur nächsten Landtagswahl im Jahr 2017, bei der er als Spitzenkandidat ins Rennen gehen könnte, einen „Fahrplan zum Regierungswechsel“ aufstellen. „Wir haben zwei Jahre ohne Wahlen vor uns – eine Zeitspanne, die wir für innerparteiliche Mobilisierung und für unsere Programmatik nutzen sollten.“

Wie die aussehen soll, blieb noch unkonkret. Liebing forderte eine „intelligente Zusammenarbeit im Norden“, eine „konsequente Politik der Haushaltskonsolidierung“ und ein „flächendeckendes schnelles Internet“ – alles Dinge, die so oder so ähnlich auch die politische Konkurrenz fordert.

Vor Liebing hatte der CDU-Generalsekretär Peter Tauber über die Zukunft der Bundespartei gesprochen und dabei ein teilweise recht düsteres Bild gezeichnet. Viele Mitglieder hätten keine E-Mail-Adresse und seien für schnelle Kampagnen nicht zu erreichen, sagte er. Der Altersschnitt liege bei 59 Jahren, der Frauenanteil betrage 27,5 Prozent. Taubers Bitte ans Auditorium: Alle sollten mitmachen bei der Mitgliederwerbung.

Der neue Landeschef will sich nun erst einmal bei denen vorstellen, die schon Christdemokraten sind. Im Nordwesten Schleswig-Holsteins ist der Bundestagsabgeordnete für Nordfriesland und Dithmarschen Nord bekannt, im Hamburger Speckgürtel eher nicht. Er wird viel unterwegs sein. Zwei Abende hat Liebing gebraucht, bis seine Familie mit der Kandidatur einverstanden war. In seiner Rede beklagte er am Sonnabend, dass die Union zwar familienfreundliche Politik betreibe, dass aber nichts so familienfeindlich sei wie der Politikbetrieb selbst. Seine Frau Maren und seine Töchter werden dieses Thema sicher im Auge behalten.