In Brunsbüttel lagern stark beschädigte Behälter. Radioaktiver Inhalt ist ausgetreten. Hohe Luftfeuchtigkeit als Ursache

Kiel/Brunsbüttel. „Atomfässer sind keine Sektgläser“, sagt Robert Habeck (Grüne) in die Fernsehkameras. Schleswig-Holsteins Umweltminister ist zugleich ein engagierter Kernkraftgegner – und muss wieder einmal der Öffentlichkeit erklären, wie das alles überhaupt passieren konnte. Wie kann es sein, dass man radioaktiv verseuchten Abfall in Fässer verpackt, die schon 30 Jahre später durchgerostet sind und lecken? „Atomfässer sind keine Sektgläser, in die man hineinschauen kann“, wiederholt er genervt.

Was da in den 631 Stahlfässern perlen könnte, die in den sechs Kellerräumen des Atomkraftwerks Brunsbüttel liegen, hat allerdings auch sehr lange keinen interessiert. 1977 ging der Stromproduzent ans Netz, seitdem wurden unter anderem Filterstäube und beim Reinigen entstandene Abfälle in Stahlfässer gepackt und in die Keller (Kavernen) gestellt. Dicke Wände mit Schichten aus verschiedenen Materialien halten die Strahlung ab. Über den Lagerräumen kann normal gearbeitet werden. Zwischen den eng stehenden Fässern in den Kellern ist die Strahlenbelastung allerdings sehr hoch. Sie liegt bei 600 Millisievert pro Stunde. Zum Vergleich: Ein Atomkraftwerksmitarbeiter darf im Jahr maximal 20 Millisievert abbekommen.

Diese Strahlensituation hat dazu geführt, dass seit 30 Jahren niemand mehr so richtig in die Kavernen hineingesehen hat. Betreten hat sie ohnehin niemand – das wäre lebensgefährlich. Bei der Einlagerung neuer Fässer kommt lediglich ein ferngesteuerter Kran zum Einsatz, der die Luke zur Kaverne öffnet, den Behälter hineinstellt und die Luke wieder verschließt. So konnten die Stahlbehälter unbeobachtet verrotten, unbeobachtet entstanden Lecks, unbeobachtet ergoss sich der breiige Inhalt der Fässer auf den Boden.

Jan Backmann, der Abteilungsleiter Reaktorsicherheit und Strahlenschutz im Kieler Umweltministerium, ist zuständig für die Kontrolle des Brunsbütteler Siedewasserreaktors, der seit 2007 stillgelegt ist und demnächst abgerissen werden soll. „Man hätte eine Kontrollpflicht für die Kavernen anordnen müssen“, sagt er. „Heute würde man das anders machen.“ Allerdings müsse man bedenken: Wegen der Strahlung sei eine regelmäßige Inspektion eben auch sehr gefährlich. Und auch Habeck sagt: „Eventuell wäre eine regelmäßige Prüfung vor zehn Jahren noch gar nicht möglich gewesen, weil die Technik nicht vorlag.“

Die Technik hat Vattenfall in den vergangenen Jahren entwickelt. Das Unternehmen ließ eine Kamera bauen, die in die Kavernen hineinsehen kann, ohne selbst durch die Strahlung Schaden zu nehmen. Diese Kamera liefert Fotos, deren Qualität zu wünschen übrig lässt – aber besser geht es offenbar nicht. Viele Dinge bleiben trotz des optischen Eindrucks unklar. Wie sieht es unter den Fässern aus? Was befindet sich genau in dem Brei, der den Boden der Kaverne II bedeckt? Ist die Plastikfolie, die auf dem Boden liegt, noch heil oder schon beschädigt?

Und dann ist da noch die hohe Luftfeuchtigkeit in der Kaverne II. „Sie liegt bei fast 75 Prozent“, sagt Uwe Hoffmann, der im Umweltministerium für Brunsbüttel zuständig ist. „Das ist natürlich sehr hoch und trägt dazu bei, dass die Fässer korrodieren.“ Ursache für die Luftfeuchtigkeit ist offenbar, dass der Inhalt der Fässer, die radioaktiv kontaminierte Reinigungsflüssigkeit, nicht richtig getrocknet wurde. „Bei einer Feuchtigkeit von unter 30 Prozent galten die Behälter damals als trocken“, sagt Hoffmann.

Heute stehen sie in einer breiigen, feucht glänzenden Substanz, in der sich Cäsium 137 befindet. Vattenfall muss sich nun rasch überlegen, wie man die geborstenen Fässer aus den Kavernen bekommt, ohne noch mehr Inhalt zu verlieren. Habeck sagt: „Das Unternehmen sollte da jetzt seine besten Ingenieure ransetzen.“ Und er schiebt hinterher: „Wir hätten das Atomkraftwerk Brunsbüttel nie bauen dürfen.“

Wie hoch die Kosten der Bergungsaktion sind, ist unbekannt. Möglicherweise wird sich die Hansestadt Hamburg daran beteiligen müssen. Sie war bis 2002 über die HEW Eigentümerin des Kraftwerks. Wenn bei der Fasstrocknung in den 80er- und 90er-Jahren Fehler gemacht worden sind, könnten daraus Schadenersatzansprüche entstehen. Die Vattenfall-Sprecherin Sandra Kühberger dementierte das am Mittwoch: „Da gibt es keine Überlegungen.“ Die Ursachen für die Leckagen seien noch unklar.