So viel Einfluss wie noch nie: Vier Minister, ein Fraktionschef und viele Staatssekretäre sind in Hannover verwurzelt. Aus niedersächsischer Sicht besonders wichtig ist auch die Ressortverteilung insgesamt.

Kiel/Hannover. So viel Niedersachsen an der Spree war noch nie: Während Hamburg mit Staatsministerin Aydan Özuguz und Schleswig-Holstein mit dem parlamentarischen Staatssekretär Ole Schröder (CDU) bestenfalls einen Fuß in der Tür haben, spielt Niedersachsen eine Hauptrolle. Sie stellen mit dem SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel nicht nur den Vizeregierungschef, sondern sind quer durch die Ressorts im Zentrum der Macht vertreten wie selten zuvor.

Eigentlich hatte der schleswig-holsteinische SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner wenigstens am Berliner Katzentisch Platz nehmen wollen: als neuer SPD-Generalsekretär. Er scheiterte aber am Einspruch der SPD-Frauen, die auf eine Nachfolgerin für Andrea Nahles bestanden. Jetzt soll Stegner mit dem Posten eines Vizeparteichefs abgefunden werden.

Immerhin: Die Energiewende gehört künftig vollständig ins Wirtschaftsressort von Gabriel, und der wird vor allem auf den Ausbau der Offshore-Windenergie drängen, von der eben nicht nur sein Heimatland Niedersachsen, sondern auch Schleswig-Holstein profitieren kann.

Aus Niedersachsen kommt auch die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die als Sozialministerin in Hannover vor zehn Jahren gelernt hat, wie wichtig Bundeswehrstandorte in Not leidenden Regionen von Flächenländern sein können.

Sowohl die niedersächsische CDU als auch die SPD reklamieren noch je ein weiteres Kabinettsmitglied mindestens indirekt für sich. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat seine Karriere schließlich in Hannover als Chef der Staatskanzlei unter dem Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD) begonnen, und die Bundeswissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) war in gleicher Funktion zuvor Kabinettsmitglied in Hannover. Und dann ist da auch noch Thomas Oppermann: Der Göttinger Abgeordnete ist neuer Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Diese Position gilt als mindestens so einflussreich wie ein Ministerposten.

Aber für konkrete Anliegen sind auch die Bundestagsabgeordneten von Bedeutung, die es als parlamentarische Staatssekretäre in die Chefetage der Ministerien geschafft haben. Und auch da hat Niedersachsen diverse Füße in der Tür. Enak Ferlemann im Verkehrsministerium und Maria Flachsbarth im Agrarressort (beide CDU) sind wichtige Vorposten für das Agrarland Nummer eins mit zudem vielen offenen Entscheidungen für den Ausbau von Straßen und Schienen. Auf SPD-Seite haben es Gabriele Lösekrug-Möller (Arbeit und Soziales) und Caren Marks (Familie) geschafft. Der SPD-Landesverband rechnet gleich noch den Bremer Abgeordneten Uwe Beckmeyer mit dazu, der als parlamentarischer Staatssekretär künftig für die Maritime Wirtschaft zuständig ist. Die CDU verweist zudem darauf, dass mit Michael Grosse-Brömer, dem ersten parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, noch ein Niedersachse an einer wichtigen Schaltstelle sitzt.

Aus niedersächsischer Sicht besonders wichtig ist auch die Ressortverteilung insgesamt. Stefan Wenzel, grüner Vizeregierungschef in Hannover und Umweltminister, hat vor der Vergabe der Posten via Abendblatt die SPD energisch aufgefordert, sie müsse unbedingt das Ressort besetzen, zu dem die Atomaufsicht gehöre. Jetzt ist mit Barbara Hendricks aus Nordrhein-Westfalen tatsächlich eine SPD-Frau zuständig für Fragen, die Niedersachsen umtreiben. Wie ernst nimmt der Bund die versprochene neue Endlagersuche, nachdem 30 Jahre alle nur auf Gorleben gesetzt haben? Und was wird aus dem über 30 Jahre alten Rahmenbetriebsplan für das Erkundungsbergwerk Gorleben, den Niedersachsen aufheben will?

Die Besetzung wichtiger Posten auf Bundesebene ist nicht nur eine Prestigefrage, sondern davon erhoffen sich auch große Verbände eine aufs jeweilige Bundesland zugeschnittene Interessenvertretung. Der Verband der Metallindustriellen Niedersachsen lobt die Zusammensetzung des neuen Bundeskabinetts denn auch ausdrücklich.

In Schleswig-Holstein behauptet das niemand. Der Einfluss im Bund sei allerdings auch nicht schwächer geworden, wird in Kiel manchmal gewitzelt. Und mit ein bisschen Mühe sei doch ein Hoffnungsschimmer erkennbar. Immerhin sei Jörg Asmussen, ehemals Direktor der Europäischen Zentralbank und nun neuer Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, ein gebürtiger Flensburger.