Planungsmängel beim Naturschutz: Bundesverwaltungsgericht hat den Weiterbau der wirtschaftlich wichtigen Autobahn A20 gestoppt, weil der Fledermausschutz nicht genug berücksichtigt wurde.

Kiel . Wer aus dem großen Rest der Republik mit dem Auto unterwegs ist nach Schleswig-Holstein, der kommt an Hamburg kaum vorbei. Von hier führen die Autobahnen wie die Finger einer Hand nach Nordosten (Lübeck), nach Norden (Kiel/Flensburg) und nach Nordwesten (Heide). Nun hat das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil vom Mittwoch den vor allem aus der Sicht der Wirtschaft so wichtigen Bau der einzigen echten Querspange durchs Land von Ost nach West und von der Ost- an die Nordsee vorerst gestoppt.

Es geht um den Abschnitt 3 mit der Umgehung von Bad Segeberg. Der darf wegen gravierender Planungsmängel beim Naturschutz wie bei der Berücksichtigung alternativer Trassen nicht angefangen werden. Das bringt den gesamten Zeitplan ins Wanken für das wichtigste norddeutsche Infrastrukturprojekt seit vielen Jahrzehnten.

Die A 20 bindet bereits die Küstenregion von Mecklenburg-Vorpommern via Lübeck ins deutsche Autobahnnetz ein, der Weiterbau quer durch Schleswig-Holstein mit Elbquerung und anschließender küstennaher Fortsetzung in Niedersachsen Richtung Bremerhaven und Niederlande würde größeren Verkehrsströmen eine Umgehung Hamburgs erlauben. Niedersachsen sieht in der Küstenautobahn ebenfalls die Voraussetzung für einen Wirtschaftsaufschwung an der Küste und hofft dabei vor allem auf die Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit des neuen Tiefwasserhafens Wilhelmshaven.

Die Wirtschaft in Schleswig-Holstein reagiert verschnupft auf die Entscheidung der Richter in Leipzig. IHK-Präsidentin Friederike C. Kühn sieht das Land im wirtschaftsgeografischen Abseits und erinnert an die auch insgesamt marode Infrastruktur, die monatelange Sperrung der Rader Hochbrücke für Lastwagen und die anhaltenden Probleme auf dem Nord-Ostsee-Kanal: „Es entsteht der Eindruck einer Region, die nicht in der Lage ist, sich verkehrlich adäquat zu erschließen und an ihre Nachbarn anzubinden.“

Wirklich überraschend aber kommt der Baustopp nicht: Wolfgang Bier, Vorsitzender Richter des 9. Senats am Bundesverwaltungsgericht, hat bereits in der mündlichen Anhörung klargemacht, dass er sensibel ist für die Anliegen der beiden Kläger, der Naturschutzorganisationen Nabu und BUND: „Es sind sich wohl alle hier im Saal einig, dass dies ein bedeutendes Habitat ist.“ Tatsächlich überwintern im Segeberger Kalkfelsen rund 15 Fledermausarten, insgesamt etwa 20.000 Tiere.

Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Urteils in Leipzig begann am Mittwoch ein munteres Schwarzer-Peter-Spiel in Schleswig-Holstein. Der CDU-Landesvorsitzende Reimer Böge forderte die Landesregierung auf, das Personal in der Planungsabteilung des Verkehrsministeriums aufzustocken. Und er schlug vor, das Klagerecht der Naturschutzverbände auf den Prüfstand zu stellen: „Es muss in Schleswig-Holstein möglich sein, trotz ausreichender Berücksichtigung der Aspekte der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit zügige und zielgerichtete Planungsverfahren durchzuführen.“

Der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Opposition im Landtag, Hans-Jörn Arp, sprach von einer „Klatsche“ für die Landesregierung und forderte personelle Konsequenzen: „Es muss jetzt im Ministerium geklärt werden, wer dafür die Verantwortung trägt. So etwas darf nicht noch einmal passieren.“ Fakt ist aber: Der jetzt vom Gericht gekippte Planfeststellungsbeschluss stammt aus dem April 2012, als in Schleswig-Holstein noch CDU und FDP regierten. Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) rechnet jetzt mit einer zweijährigen Bauverzögerung: „Wir werden die Fehler in einem Planänderungsverfahren mit Hochdruck beheben.“

Bislang reicht die A 20 von der A 11 in Brandenburg bis Bad Segeberg

Offen ist, ob die Leipziger Entscheidung auch Auswirkungen auf die mit denkbar knapper Mehrheit regierende Koalition aus SPD, Grünen und SSW hat. Die Partner haben sich eigentlich darauf geeinigt, die A 20 in dieser Legislaturperiode bis zur A 7 zu bauen, aber die weiteren Abschnitte bis zur Elbquerung bei Glückstadt nur noch weiter zu planen.

Für die umweltpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion Marlies Fritzen sind nicht Fledermäuse und Kröten das Problem, sondern die Planer, die sich nicht an Recht und Gesetz halten: „Politik und Planer/innen müssen endlich begreifen, dass man Straßen nicht mit dem Betonkopf durch die Wand bauen kann.“

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Andreas Tietze, warnt „vor einem ,weiter so‘“. Die Vorgängerregierung sei blind gewesen für die Belange von Mensch und Natur, die Planungsbehörden bräuchten künftig mehr Experten für die Belange von Natur- und Artenschutz: „Das Urteil zeigt auch, dass wir die künftigen Verkehrsprobleme in Schleswig-Holstein nicht durch rücksichtsloses Vorantreiben von Verkehrsprojekten lösen können, mehr denn je gilt die Devise ,Erhalt vor Neubau‘.“

Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Kai Vogel, setzt eindeutig darauf, die vom Gericht benannten Beanstandungen und Fehler möglichst rasch zu heilen: „Unser Ziel bleibt der Weiterbau der A 20, und wir werden das auch erreichen und zwar, indem wir auch naturschutzrechtliche Belange berücksichtigen.“

Der verkehrspolitische Sprecher der oppositionellen FDP-Fraktion im Kieler Landtag, Christopher Vogt, stellte bei den Grünen eine „wenig versteckte Freude“ über den Baustopp fest: „Dass die Grünen die A 20 nun als Prestigeprojekt verhöhnen und gleichzeitig politische Mitbewerber als Betonköpfe verunglimpfen, verdeutlicht den nach wie vor mangelnden Pragmatismus der Grünen in der Infrastrukturpolitik“, sagte Vogt.

Bislang kann die A 20 auf einer Länge von 340 Kilometern von der A 11 in Brandenburg bis Bad Segeberg befahren werden.