Susanne Gaschke scheiterte als Bürgermeisterin in Kiel. Hat sie ihre Position unterschätzt? Politologe Moritz Küpper über Seiteneinsteiger in die Politik.

Kiel. Susanne Gaschke arbeitete viele Jahre als Journalistin. Dann wechselte sie in die Politik – und wurde 2012 Bürgermeisterin in Kiel. Am vergangenen Montag trat sie zurück. Einem Arzt soll sie mehrere Millionen Euro an Zinsen und Gebühren erlassen haben, damit dieser nach 15 Jahren eine Steuerschuld begleicht. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Ist Gaschke auch gescheitert, weil sie eine Seiteneinsteigerin war? Hat sie die Mechanismen der Politik unterschätzt? Ein Gespräch mit dem Journalisten und Politologen Moritz Küpper. Im März erschien sein Buch „Politik kann man lernen. Politische Seiteneinsteiger in Deutschland“.

Hamburger Abendblatt: Susanne Gaschke war Seiteneinsteigerin. Sie wollte mit dem alten Kieler Politikstil brechen und bürgernah regieren. Ist die frühere „Zeit“-Journalistin deshalb gescheitert, weil sie eine Außenstehende war?

Moritz Küpper: Wie der Steuerdeal mit dem Arzt im Detail abgelaufen ist und bei wem am Ende die Schuld liegt, kann ich nicht beurteilen. Klar ist: Susanne Gaschkes Fehler war auch, dass sie ausschließlich auf Konfrontation mit der Kieler „Politikerkaste“ gegangen ist, wie sie es ausdrückte. Gaschke hat sich von Beginn ihrer politischen Ambitionen in Kiel an als Seiteneinsteigerin inszeniert. Sie wollte das alte politische Milieu aufbrechen. Am Anfang hat ihr das sicher Sympathie bei den Bürgern eingebracht. Aber niemand kann allein ein System verändern. Daran ist sie gescheitert.

Welche Fehler hat Gaschke gemacht?

Küpper: Egal ob Unternehmer, Schauspieler oder Journalist – jeder, der neu in die Politik kommt, muss vor allem eine Grundregel akzeptieren: Politik ist ein ständiges Ringen um Mehrheiten, ein Verhandeln, ein permanenter Kompromiss. Politiker müssen durch Entscheidungswege navigieren, überzeugen und Mehrheiten organisieren. Susanne Gaschke hat immer wieder ihre politischen Inhalte und Ziele mit klaren Ansagen in den Vordergrund gestellt. Das ist richtig. Aber irgendwann ist sie mit ihrem Kurs gegen die Wand gefahren, weil Gaschke in eben dieses starre politische Geschäft mit starren Regeln eingetaucht ist. Auch für den Frieden in der eigenen Partei, SPD, war das zu viel.

Gaschkes Ehemann ist SPD-Bundestagsabgeordneter. Gaschke kannte die Partei. War das ein Vorteil?

Küpper: Sicher war anfangs ein Vorteil, dass Frau Gaschke bereits über ein Netzwerk in der Partei verfügte, auch durch ihren Ehemann. Sie hatte gleich Mitglieder auf ihrer Seite. Dieser Kreis der loyalen SPD-Politiker aber wurde dann auch ein Nachteil für sie. Denn von Beginn an war sie Teil eines Lagers in der SPD. Und auch ihre parteiinternen Gegner haben sie immer zu dem anderen Lager gezählt.

Seit Beginn der Bundesrepublik waren nur sechs Prozent des politischen Personals, das im Parlament saß oder Wahlkampf machte, Seiteneinsteiger. Trauen sich die Parteien nicht mehr an frischen Geist von außen?

Küpper: Durch den Rücktritt des Bundespräsidenten und früheren IWF-Chefs Horst Köhler und davor die politischen Niederlagen des Jura-Professors Paul Kirchhof, der das Steuersystem umbauen wollte, sind die Parteispitzen gegenüber Seiteneinsteigern sehr skeptisch geworden. Wer neu in der Politik ist, ist schwer berechenbar. Parteien setzen am Ende lieber auf den Parteisoldaten, der sich erst in den Jugendorganisationen ausgetobt hat und dann stetig Karriere macht. Dieses Vertrauen auf das Altbewährte ist auch schade: Denn neue Köpfe geben der Politik oftmals Expertise und Innovation.

Gibt es Beispiel in der Vergangenheit?

Küpper: Ja, übrigens auch in Hamburg. Der frühere Bürgermeister und Bundesminister Klaus von Dohnanyi war ein Seiteneinsteiger. Er gründete das Meinungsforschungsinstitut Infratest-dimap. Er kannte das Spiel mit Mehrheiten, er wusste, welcher Politikstil langfristig Erfolg hat. Vor allem eines: Er adaptierte die Regeln des politischen Geschäfts. Aus dem Unternehmer Dohnanyi wurde der Politiker Dohnanyi.

Man kann Politik also lernen?

Küpper: Sicher. Wer als Kommunalpolitiker beginnt, lernt den Umgang mit der Lokalzeitung. Er setzt sich mit zwei, drei Reportern auseinander. Dann steigt sie oder er auf, erlebt die erste größere Krise. Die Tageszeitungen der Region berichten, es gibt einen ersten Shitstorm im Internet, dann titeln „Spiegel“ oder „Bild“. Aber der Politiker ist dann vorbereitet, hält Schlagzeilen aus, sucht Verbündete, ändert den Stil.

Susanne Gaschke sah sich am Ende einer medialen Hetzjagd ausgesetzt. Ist man als Journalist auf Schlagzeilen gegen sich selbst besser vorbereitet?

Küpper: Im Fokus der Medien zu stehen ist nicht dasselbe wie hinter den Kulissen Artikel schreiben. Eine Journalistin wie Gaschke kennt natürlich die Mechanismen der Medien. Aber als Journalist lernt niemand, heftige Schlagzeile über sich selbst auszuhalten. Eigentlich müsste jeder Journalist einmal die Erfahrung machen, selbst im Scheinwerferlicht zu stehen. Vielleicht erleben wir dann etwas mehr Zurückhaltung in den Schlagzeilen. Nach dem Fall Gaschke werden sich viele potenzielle Seiteneinsteiger in der Politik fragen: Tue ich mir das wirklich an?