Stillgelegtes AKW hat gute Voraussetzungen, als Zwischenlager genutzt zu werden. Grüne rechnen mit entsprechender Entscheidung aus Berlin.

Brunsbüttel. "Der Elbehafen Brunsbüttel ist ein Universalhafen mit ausgeprägter Kundenorientierung und logistischer Kompetenz", heißt es auf der Internetseite des Betreibers Brunsbüttel Ports. Genau diese logistische Kompetenz könnte bald gefragt sein - wenn es darum geht, radioaktiven Atommüll aus dem englischen Sellafield in Brunsbüttel zwischenzulagern. Im dortigen Kernkraftwerk ist das möglich. Platz ist genug. Der Reaktor ist schon seit 2007 nicht mehr in Betrieb, derzeit wird der Rückbau vorbereitet.

Das Lager für radioaktive Abfälle, das zum Kernkraftwerk gehört, ist nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Von den 80 Castor-Stellplätzen sind nach Auskunft des Eigentümers Vattenfall nur 20 besetzt. Denn eigentlich ist das Lager nur für Müll gedacht, der im Brunsbütteler Kernkraftwerk anfällt. Bevor dort die Castoren aus der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield - es sind 21 - abgestellt werden können, müsste zunächst eine atomrechtliche Genehmigung beantragt werden. Weil die Behälter mit dem radioaktiven Müll ohnehin erst 2015 kommen sollen, bliebe dafür aber noch genug Zeit. Würde der Plan des Bundes umgesetzt, entstünde nur gut 80 Kilometer vor den Toren der Hansestadt Hamburg ein zweites Gorleben.

In Brunsbüttel ist man alles andere als begeistert von der Idee, radioaktiven Abfall aus anderen Kernkraftwerken aufzunehmen. "Wir sind dagegen", sagt Johannes Kreft, der SPD-Fraktionsvorsitzende in der Ratsversammlung. "Müll, der hier nicht entstanden ist, sollte hier nicht gelagert werden." Die Brunsbüttelerin Daniela Meyer, Kreisvorsitzende der Dithmarscher Grünen, ist da nicht so entschieden. "Innerhalb der Bundesländer muss ein Weg gefunden werden, mit dem Müll umzugehen", sagt sie. Karsten Hinrichsen, Sprecher einer Anti-Atomkraft-Initiative aus dem benachbarten Brokdorf, urteilt: "Habeck macht eigentlich einen guten Eindruck. Aber in diesem Punkt hätte er sich erst einmal mit der Anti-AKW-Bewegung ins Benehmen setzen müssen." Stefan Mohrdiek, der Bürgermeister der "Schleusenstadt" Brunsbüttel, sagt: "Die Bereitschaft der Bevölkerung, da mitzumachen, wird sicher nicht groß sein."

Mohrdiek hatte in der vergangenen Woche aus der Zeitung erfahren, was auf seinen Ort zukommen könnte. Schleswig-Holstein sei bereit, einen Teil der Lasten zu tragen, wenn das Zwischenlager Gorleben geschlossen werde, hatte Robert Habeck, Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister, kurz vor Ostern erklärt.

Brunsbüttel hat das Pech, ideale Voraussetzungen für einen Castortransport zu bieten. Die Anlieferung auf dem langen Landweg nach Gorleben ist in den vergangenen Jahren wegen der Proteste der Atomkraftgegner immer schwieriger geworden. Schienen wurden unterhöhlt, Menschen ketteten sich an den Gleisen an. In Brunsbüttel ist dergleichen nicht zu befürchten. Vom Hafen führt eine gut zu sichernde, nur anderthalb Kilometer lange Bahnverbindung direkt am Deich entlang ins Kernkraftwerk. Das hat man auch im Berliner Umweltministerium erkannt. In einem internen Schreiben an Parteimitglieder der Grünen, das Robert Habeck am Montag verschickte und das dem Abendblatt vorliegt, heißt es: "Ich rechne nach allen Gesprächen damit, dass das BMU (Bundesumweltministerium) klar für Brunsbüttel als geeignetsten Zwischenlagerstandort plädieren wird." Begründet werde dies mit der geografischen Lage. Habeck: "Der ohnehin notwendige Seetransport aus Großbritannien müsste nicht durch aufwendige Landtransporte quer durch Europa ergänzt werden. Erspart bliebe somit auch ein Großteil der sonst notwendigen massiven Polizeibegleitung." Der Minister weiter: "Das sind aus meiner Sicht tatsächliche Argumente."

Allerdings fordert er in dem Schreiben auch eine "solidarisch getragene Lastenverteilung" unter den Bundesländern. "Solidarität heißt nicht: einer für alle. Wenn der Eindruck entsteht, dass Brunsbüttel der Atommülleimer aus der Wiederaufbereitung wird, könnte dies den Protest gegebenenfalls um das Vielfache steigern. Der positive Effekt einer kurzen Landstrecke wäre schnell aufgehoben." Der Minister will zudem dafür sorgen, dass die Genehmigung für die Castorenaufnahme nicht verlängert wird - damit das Zwischenlager ein Zwischenlager bleibt. Und es ist ihm wichtig, dass am Ende der Verhandlungen über Lagermöglichkeiten der Kieler Landtag entscheidet.

Dennoch argumentiert er in seinem Schreiben für die Aufnahme des Mülls. Die Endlagerfrage sei nur zu lösen, wenn es kein Nein zur Zwischenlagerung gebe. Habeck: "Ein Scheitern wäre wirklich die schlechteste Lösung." Das Endlagersuchgesetz werde einen historischen Irrtum der Bundesrepublik beenden. Habeck wirbt um Verständnis bei den Parteifreunden: "Vor diesem Hintergrund agiere ich, wie ich es tue, und ich hoffe, ich tue es in eurem Sinn."