Henner Schönecke, einer der größten Produzenten im Hamburger Umland, spricht über Bio-Eier, kriminelle Kollegen und die Lücken im System.

Elstorf. Der Pferdefleisch-Skandal ist noch nicht aufgearbeitet, da sieht sich die Lebensmittelbranche erneut mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt gegen mehr als 150 Betriebe in Niedersachsen, weil sie Eier als Bioware verkauft haben, obwohl die Haltebedingungen für die Legehennen nicht den Vorgaben entsprechen sollen. Zu den größten Eierproduzenten im Hamburger Umland zählt der Geflügelhof Schönecke in Elstorf bei Neu Wulmstorf. Das Abendblatt sprach mit Geschäftsführer Henner Schönecke.

Hamburger Abendblatt Herr Schönecke, hat Sie die Kunde vom neuen Lebensmittelskandal bei Bio-Eiern überrascht?
Henner Schönecke: Ob wir es hier tatsächlich mit einem Skandal zu tun haben, ist für mich noch nicht erwiesen. 150 Betriebe sollen betroffen sein. Noch ist aber kein einziger angeklagt, geschweige denn verurteilt. Deshalb bin ich sehr gespannt, wie viele schwarze Schafe am Ende wirklich übrig bleiben.

Dann gehen Sie also davon aus, dass die schweren Vorwürfe tatsächlich nur einzelne Höfe betreffen, es aber kein Systemproblem gibt?
Schönecke: Das würde ja bedeuten, dass Betrug systematisch gedeckt worden ist. Und das kann ich mir angesichts des Umfangs an Kontrollen und der üppigen Dokumentationspflicht beim besten Willen nicht vorstellen. Mehr Tiere im Stall bedeuten auch mehr Futter, mehr Wasser, mehr Schlachthennen und in letzter Konsequenz mehr Eier. Für all diese Posten gibt es Rechnungen, Nachweise und andere Belege. An irgendeiner Stelle muss irgendwann auffallen, wenn da was nicht stimmt.

Mehr Schlachthennen?
Schönecke: Nach einem Jahr wird der gesamte Bestand an Legehennen ausgetauscht, weil dann die Qualität der Eier deutlich nachlässt. Also gibt es alle zwölf Monate neue Dokumente.

Bleibt die Frage, wie verlässlich das gesamte Kontrollsystem ist und wie unabhängig die Kontrolleure?
Schönecke: Unser Hof wird von drei verschiedenen Institutionen überwacht. Einmal pro Jahr steht das Veterinäramt des Landkreises auf der Matte. Bis zu dreimal schaut das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) vorbei. Es kontrolliert - in aller Regel unangemeldet - Auslauf, Eierkennzeichnung und Liefermengen. Und dann ist da noch der europaweit agierende Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen KAT, deren strenger Begutachtung wir uns freiwillig unterworfen haben. Wie übrigens auch 80 Prozent aller anderen Eierlieferanten. Die KAT-Abgesandten gelten als besonders streng. Sie schauen, ebenfalls zwei- bis dreimal im Jahr, besonders genau hin. Bevor die neue Herde eingestallt wird, sind die mit dem Zollstock unterwegs, messen alle Sitzstangen bis auf den letzten Zentimeter.

Und trotzdem scheint es in großem Stil zum Verstoß gegen Vorschriften gekommen zu sein. Wie erklären Sie sich das?
Schönecke: Kein Kontrollsystem bietet 100-prozentige Sicherheit, nirgends. Wer betrügen will, wird immer einen Weg finden. Ich bleibe aber dabei, dass es sich auch diesmal nur um Einzelfälle handeln wird. Deshalb wehre ich mich dagegen, dass gleich wieder die ganze Branche in Sippenhaft genommen wird.

Die Lebensmittelbranche steht in immer kürzeren Abständen im Kreuzfeuer der Kritik. Können solche gravierenden Vorkommnisse im Zeitalter der industriellen Massentierhaltung überhaupt ausgeschlossen werden?
Schönecke: Solche Fälle hat es auch früher schon gegeben. Ich erinnere hier nur an den Hamburger Sülze-Aufstand vom Juni 1919. Damals standen mehrere Fleischfabriken im Verdacht, die Kadaver von Ratten, Hunden und Katzen zu verarbeiten. Richtig ist aber auch, dass der enorm gestiegene Mengenbedarf des Handels zu immer größeren Erzeugerbetrieben geführt hat. Auch wir wollen und müssen größer werden, um den Anforderungen unserer Vertragspartner zu genügen. Wer nicht genügend liefern kann, bleibt unweigerlich auf der Strecke.

Das gilt offensichtlich auch für die nötige Transparenz, was die Haltebedingungen angeht. Viele Erzeuger lassen sich da nur ungern in die Karten schauen.
Schönecke: Das stimmt, es ist aber eine Strategie, die auf Dauer nicht verfängt. Für uns ist es selbstverständlich, Kunden und Nachbarn Einblick in unseren Betrieb zu gewähren. Wir veranstalten regelmäßig Tage der offenen Tür, zu denen unsere Anlagen besichtigt werden können. Dabei werden wirklich alle Fragen beantwortet. 2011 hatten wir 10.000 Besucher, vom katholischen Kirchenverein bis zu beinharten Tierschützern. Transparenz ist für uns auch Selbstschutz. Wir haben ein gutes Gewissen und demzufolge nichts zu verbergen.

Ist der Deutsche beim Thema Ernährung prinzipiell zu unkritisch?
Schönecke: Viele Verbraucher haben auf jeden Fall den Bezug zur Lebensmittelproduktion verloren und hinterfragen zu wenig. Das ist aber auch eine Frage des Lebensstils. Der Deutsche isst in der Regel, um satt zu werden. Dafür nimmt er sich nicht einmal mehr ausreichend Zeit. Frühstück 15 Minuten, Mittag 30, eher 20, dann kann er ja zehn Minuten eher Feierabend machen. In anderen Ländern wird das Essen zelebriert, es dient auch der Kommunikation, dem Austausch in der Familie und mit Freunden. Da können wir zum Beispiel viel von den Franzosen lernen. Die geben im Schnitt mehr als 20 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, während es hierzulande gerade mal die Hälfte, also zehn Prozent, ist.

Befürchten auch Sie Umsatzeinbußen durch den aktuellen Eierskandal?
Schönecke: Ja, obwohl wir gar keine Biohühner halten. Im Übrigen aber bleiben wir ganz gelassen. Bislang gab es noch keine bösen Anrufe unserer Kunden. Überdies hat sich die Halbwertszeit von Lebensmittelskandalen in den vergangenen Jahren deutlich reduziert. Die Umsatzeinbußen wegen BSE waren nach neun Monaten vergessen, die Verluste nach den Dioxin-Funden vor zwei Jahren hatten sich innerhalb von acht Wochen nivelliert. Ich kann den aktuellen Frust bei vielen Verbrauchern verstehen. Doch ich kann ihnen auch versichern, dass es in meiner Branche genügend Erzeuger wie uns gibt, die ihrer Profession mit Lust, Laune und Leidenschaft nachgehen und deshalb das volle Vertrauen ihrer Kunden verdienen.