Niedersachsens Landwirtschaftsminister Meyer will hart gegen betrügerische Bauern durchgreifen. Landvolk fordert rasche Aufklärung.

Hannover . Zur Vereidigung als erster grüner Landwirtschaftsminister von Niedersachsen hat er vor Wochenfrist widerwillig eine Krawatte getragen - aber jetzt platzt Christian Meyer bereits der Kragen: Mindestens 200 Bauern haben Hühnereier als Produkte aus Bio-, Freiland- oder Bodenhaltung ausgegeben, obwohl die Legehennen in Massenställen gehalten wurden. Die Bundesrepublik hat nach Pferdefleisch, Nikotineiern, Gammelfleisch und Dioxin im Viehfutter einen neuen Lebensmittelskandal. Und im Zentrum steht wieder das Agrarland Nummer eins, eben Niedersachsen.

Aber auch in einem anderen Punkt sind sich die Experten zumindest bislang einig: Es geht um Verstöße gegen das Lebensmittelrecht, vermutlich auch Betrug in großem Stil mit Abermillionen von Eiern - aber von den vermutlich über viele Jahre ausgelieferten Produkten geht keine Gefahr beim Verzehr aus.

Aus der Bundespolitik kamen am Montag die üblichen Forderungen der CSU-Agrarministerin Ilse Aigner wie ihrer grünen Vorgängerin Renate Künast nach schneller Aufklärung. Dafür stehen die Chancen neuerdings besser: Die Grünen besetzen in der vor Wochenfrist gewählten neuen rot-grünen Landesregierung alle drei dafür notwendigen Schlüsselressorts mit Landwirtschaft, Umwelt und Justiz. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat sich bereits deutlich zum Umfang des Betruges der Geflügelzüchter geäußert. "Das scheint flächendeckend Praxis gewesen zu sein", fasste Behördenchef Roland Hermann das Ergebnis von inzwischen anderthalb Jahre dauernden Ermittlungen zusammen. Ausgelöst hat die Ermittlungen ein Richter, dem bei einem Prozess auffiel, dass ein Biobauer aus dem Emsland immer wieder sehr viel mehr Tiere gekauft hatte, als nach den strengen Vorschriften und der Größe seiner Stallungen erlaubt waren. Das sei allgemein üblich, rechtfertigte der Bauer seine Praxis. Der Richter aber informierte die Staatsanwaltschaft. Offen blieb am Montag, wieso der Fall massenhaften Betruges und Verstoßes gegen Lebensmittel- und Futterrecht so lange unter der Decke blieb. Klar ist, dass eine Berichterstattung den bürgerlichen Parteien vor der Landtagswahl am 20. Januar in Niedersachsen kaum in den Kram gepasst hätte.

Der neue Landwirtschaftsminister Meyer zumindest schlägt jetzt für Niedersachsen ungewohnt scharfe Töne an: "Wir prüfen, ob man den Landwirten die Betriebserlaubnis entzieht." Und das Ministerium werde auch prüfen, ob man zu einem späteren Zeitpunkt die Namen der Betriebe veröffentlichen könne.

Die Grünen haben in der Vergangenheit immer wieder schärfere Kontrollen gefordert. Tatsächlich sind die Zuständigkeiten gesplittet. Für Tierschutz und Verbraucherschutz sind die Landkreise zuständig, für die Überprüfung der Einhaltung der besonders strengen Regeln für Bioprodukte dagegen das Landesamt für Verbraucherschutz (Laves). Hinzu kommt, dass die lokalen Behörden gerade angesichts der immer größeren Ställe vor allem in der Region Weser-Ems zunehmend überfordert sind.

Der Landkreis Emsland etwa gilt als das Geflügelland schlechthin: Rund 37 Millionen Stück Federvieh kommen auf 313.000 Einwohner, mehr als irgendwo sonst in Deutschland. Allein 2,3 Millionen Legehennen werden gehalten, mehr als 20 Prozent aller Legehennen in Niedersachsen. 2012 aber hat es trotz der großen Zahl gerade 16 Kontrollbesuche des für Tier- und Verbraucherschutz zuständigen Landkreises bei Bauern gegeben - und dabei "keine Beanstandungen", wie eine Sprecherin des Kreises am Montag erklärte. Aber, so räumte die Sprecherin auch ein: "Geprüft wird etwa eine zu große Bestanddichte nur anhand der Bücher."

Dass viele Geflügelzüchter weit mehr Tiere halten als erlaubt und damit eben auch immer öfter gegen Tierschutzstandards verstoßen, dafür gibt es weitere Anhaltspunkte. So klaffen die Angaben des Statistischen Landesamtes in Hannover und der Tierseuchenkasse über die tatsächlichen Bestände immer weiter auseinander.

Dem niedersächsischen Landesverband der Geflügelwirtschaft hat es die Sprache verschlagen, er äußerte sich nicht. Das Landvolk dagegen forderte eine rasche Aufklärung des Skandals. "Wir sind von der Dimension überrascht", sagte ein Sprecherin und forderte alle Bauern auf, sich an die geltenden Gesetze zu halten: "Wer sich nicht daran hält, richtet auch für alle anderen großen Schaden an."

Der vom Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" am Wochenende publik gemachte Skandal unterscheidet sich von früheren Negativschlagzeilen vor allem dadurch, dass es so viele verdächtige Betriebe gibt. Das alte Argument, es gebe in der Landwirtschaft wie überall einige wenige schwarze Schafe, verfängt für die Geflügelbranche nicht länger. Hinzu kommt, dass inzwischen auch die Agrarkonzerne in großem Maßstab die Produktion von Bio-Eiern betreiben.

Die CDU im niedersächsischen Landtag, in Regierungszeiten zuverlässigster Verbündeter der Agrarbranche, übte am Montag schon mal die neue Oppositionsrolle. Sie forderte ob der "schwerwiegenden Betrugsvorwürfe" von der Landesregierung im zuständigen Ausschuss rasche Auskunft.