Der Koalitionsvertrag in Niedersachsen steht: SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil will sich am 19. Februar zum Regierungschef wählen lassen.
Hannover. Am Sonnabendabend um 21 Uhr saßen sie im 6. Stock und fühlten sich wie im siebten Himmel: Die jeweils sechs Unterhändler von SPD und Grünen hatten auch die letzten personellen Unstimmigkeiten ausgeräumt: Der Koalitionsvertrag, mit dem die beiden Parteien in den kommenden fünf Jahren in Niedersachsen regieren wollen, stand.
Auch bei der Präsentation im Haus der Region in Hannover am Sonntagmittag schienen die Spitzenvertreter noch auf Wolken zu schweben, strahlten mit der Sonne um die Wette und lobten sich gegenseitig für harmonische Verhandlungen mit klaren Ergebnissen. Am kommenden Wochenende muss die Koalitionsvereinbarung noch auf den Parteitagen von SPD und Grünen von der Basis abgesegnet werden, aber mit einem Scheitern ist nicht zu rechnen. Der bisherige hannoversche Oberbürgermeister Stephan Weil wird sich am 19. Februar bei der konstituierenden Sitzung des neuen Landtags im Leineschloss als Ministerpräsident zur Wahl stellen. Dann allerdings müssen auch diejenigen unter den 69 Abgeordneten von SPD und FDP, die sich andere Schwerpunkte oder personelle Entscheidungen gewünscht hätten, für Weil stimmen: Das neue Bündnis verfügt schließlich nur über eine Mehrheit von einer Stimme.
In genau einer Woche mit sieben meist ganztägigen Verhandlungsrunden und damit rekordverdächtig schnell haben sich die Unterhändler geeinigt. Und vor allem SPD-Chef Weil war die Genugtuung darüber anzumerken, dass nur wenige Details aus den Verhandlungen den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben: "Wir haben schnell und diskret gearbeitet."
Wie bei solchen Verhandlungen üblich hatte man sich die letzten Entscheidungen über die Zusammensetzung der neuen Landesregierung für den Schluss aufgehoben. Den Grünen gelang dabei noch ein echter Coup: Sie übernehmen sogar vier der neun Ministerien. Basis dafür ist ihr Rekordergebnis von 13,7 Prozent bei der Landtagswahl, während der große Koalitionspartner SPD mit 32,6 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis der letzten Jahrzehnte einfuhr. Mit dem grünen Umweltminister und Vizeregierungschef Stefan Wenzel hatte jeder gerechnet, die Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic ist auch keine Überraschung.
Dass die SPD den Grünen auch das Landwirtschaftsministerium überlassen würde, hatte sich abgezeichnet - aber dass der bisherige landwirtschaftspolitische Sprecher Christian Meyer zum Minister aufrücken soll, werden die Bauern als Kampfansage betrachten. Meyer war in der Vergangenheit ein besonders energischer Kritiker von Massentierhaltung, Gülletourismus und dem großflächigen Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht. Die eigentliche Überraschung aber ist, dass die SPD den Grünen außerdem das Justizministerium überlassen hat. Hier ist die Kandidatin noch nicht bekannt, im Gegenzug fiel aber im letzten Moment die Hamburgerin Anke Pörksen vom Postenkarussell. Die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen war für die Position bei der SPD gesetzt.
Keine Überraschung ist die Verteilung der Posten bei den Sozialdemokraten mit Boris Pistorius (Innen), Olaf Lies (Wirtschaft), Peter-Jürgen Schneider (Finanzen), Frauke Heiligenstadt (Schule) und Cornelia Rundt (Soziales). Beide Koalitionspartner bekommen damit die Zuständigkeiten, die stark ihre Ambitionen widerspiegeln: Die Grünen dominieren mit ihren beiden Ressorts den Schwerpunkt Agrar/Umwelt, die SPD wiederum den Bereich Wirtschaft/Verkehr/Finanzen und den Sozialbereich. Spitzenkandidat Weil ließ am Sonntag durchblicken, der Zugriff auch auf das Sozialressort als sozialdemokratische Kernkompetenz sei ihm wichtig gewesen.
Alle Minister sind übrigens niedersächsische Eigengewächse. Mit vier Frauen unter zehn Kabinettsmitgliedern inklusive Regierungschef blieb Weil aber hinter seiner Ankündigung zurück, die Regierung solle je zur Hälfte aus Männern und Frauen bestehen.
Auf die starke Präsenz der Grünen am Kabinettstisch stürzten sich am Sonntag beide neuen Oppositionsparteien. CDU-Fraktionschef Björn Thümler sagte: "Dass es den Grünen gelungen ist, der SPD vier von neun Ministerposten abzunehmen, ist ein Beleg für die schlechte Verhandlungsführung von Stephan Weil". Der FDP-Landesvorsitzende Stefan Birkner hielt den Grünen vor, sie hätten sich ihre Ablehnung neuer Schnellstraßen abkaufen lassen: "Die tauschen zwei Autobahnen gegen vier Ministerposten." Erwartungsgemäß stößt vor allem der grüne Zugriff auf das Landwirtschaftsministerium Birkner sauer auf: "Mit Christian Meyer übernimmt ein bekannter Bauern-Schreck Verantwortung für eine Branche, von der Zehntausende von Arbeitsplätzen in Niedersachsen abhängen."