Landgericht Lübeck stellt Verfahren wegen fahrlässiger Tötung ein. Chirurg hatte “versehentlich“ den falschen Lungenflügel abgetrennt.

Lübeck/Großhansdorf. Es war ein Kunstfehler, aber er geschah "unter großem Druck und in einer dramatischen Situation": Mit dieser Begründung hat das Landgericht Lübeck gestern das Verfahren gegen den ehemaligen Chefarzt der Thoraxchirurgie im Krankenhaus Großhansdorf (Kreis Stormarn) eingestellt. In dem Verfahren ging es um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Die Einstellung erfolgt nach Zahlung einer Geldauflage. 28 000 Euro soll Chefarzt Detlev B., 63, an zwei karitative Organisationen überweisen.

Dramatisch war die Situation im Operationssaal in der Tat. An jenem 18. April 2008 war dort ein damals 69 Jahre alter Patient gestorben. Ihm sollte ein Teil des vom Krebs befallenen rechten Lungenflügels herausoperiert werden - nicht vom Chefarzt B., sondern vom Oberarzt Martin N. Der machte sich an die Arbeit, doch nach gut einer halben Stunde platzte B. in den Operationssaal. "Ich übernehme", soll er gesagt haben. Doch dann machte er sich nicht am rechten, sondern am gesunden linken Lungenflügel zu schaffen. B. durchtrennte den linken Hauptbronchus, also die Verbindung zwischen dem linken Lungenflügel und der Luftröhre. Damit konnte der Patient nicht mehr beatmet werden - und starb.

Für Helga von Lukowicz, die Vorsitzende Richterin der VII. Großen Strafkammer, hat B. den linken Hauptbronchus "versehentlich" durchtrennt. "Die Kammer ist sich sicher, dass B. der Ansicht war, den richtigen Bronchus durchschnitten zu haben", sagt sie. Der Chefarzt sei unter Druck gewesen, weil es bei dem Patienten zu einer massiven Blutung gekommen sei, die er habe stillen wollen. "B. befand sich in einer Situation, in der binnen Sekunden Entscheidungen getroffen werden mussten", sagte die Richterin.

Und weil es eben nicht so leicht war, in dieser Lage richtig zu entscheiden, reichte das Verschulden von B. nicht aus, um ihn zu verurteilen. Zugleich aber hat er eindeutig einen Fehler gemacht, weshalb ebenso wenig ein Freispruch infrage kam.

Bei der Einstellung des Verfahrens übte die Richterin Helga von Lukowicz deutliche Kritik an der Staatsanwaltschaft. "Die Anklage hätte zweieinhalb Jahre früher erhoben werden können", sagte sie. Dass es so lange gedauert habe, sei für den Angeklagten "eine erhebliche Belastung" gewesen. Das Gericht habe dies bei der Festsetzung der Geldauflage berücksichtigen müssen.

Jenseits der Frage von Schuld oder Unschuld hatte der Prozess interessante, bisweilen auch beängstigende Einblicke ins Innenleben eines Krankenhauses geliefert. B., der mittlerweile die Thoraxchirurgie eines Bielefelder Krankenhauses leitet, hatte es sich in Großhansdorf mit vielen Mitarbeitern verscherzt, wie Zeugen berichteten. Auch das Verhältnis zu seinem Kollegen N., der an jenem 18. April die Operation begonnen hatte, war schlecht. B. traute N. chirurgisch nicht viel zu. Wollte B. seinem Kollegen an jenem Tag einmal zeigen, wer Chef ist und wie man es richtig macht? Zeugen sagten, dass die beiden nicht miteinander gesprochen hätten. N. trat wortlos zur Seite, als B. die Operation übernahm. Der wiederum "wühlte sich" bei der OP durch, wie er später im Gerichtsaal wortreich erklärte - doch im Operationssaal war er stumm geblieben.

Und weil der Operateur hinter einem Vorhang steht, und weil für die Operation zwar ein Schnitt gemacht wird, dieser Schnitt aber nicht so groß ist, als dass der Assistent sehen kann, was der Chef gerade vorhat, wäre es wohl hilfreich gewesen, wenn B. den Schwestern und den anderen Ärzten im Saal angekündigt hätte, was er als Nächstes zu tun gedenkt. Tobias K., damals als Anästhesist dabei, hat dem Gericht auf die Frage, ob der Tod des Patienten hätte verhindert werden können, sehr überzeugend Folgendes geantwortet: "Ich habe oft darüber nachgedacht, was ich hätte anders machen können. Aber der Tod hätte nur verhindert werden können, wenn B. gesagt hätte, dass er jetzt den linken Hauptbronchus durchtrennen will."

Er hat es nicht getan. Auch nach der Operation lief einiges schief. Oberarzt N. fertigte einen falschen OP-Bericht an, der den Tod als Verkettung unglücklicher Umstände darstellte. Er habe es "aus Angst, aus Feigheit" getan, so N. vor Gericht. Er sagte es mit einem fragenden Unterton, so als wisse er den Grund nicht genau. Erst im August 2008 hat er dann Anzeige erstattet.

Bei Detlev B. hat das Verfahren Spuren hinterlassen. Im Gerichtssaal ergriff er gestern noch einmal das Wort. "Ich habe keine Erklärung für das Geschehen", sagte er. "Der 'Exitus in tabula' (Tod auf dem Operationstisch, Anm. der Red.) ist das Schlimmste, was einem Chirurgen passieren kann."