Unheilbar kranke Menschen müssen aus Hospiz ausziehen, weil sie angeblich nicht sterbenskrank genug sind. Zwei Fälle aus Elmshorn.

Elmshorn. Die Frau mit wachen blaugrauen Augen und den Lachfältchen zieht genüsslich an ihrer Zigarette. Von ihrer Terrasse aus kann sie die Enten auf dem Teich sehen. Die April-Sonne wärmt schon. Auf dem Tisch in ihrem Zimmer stehen Fotos von Pferden. Früher ist Ute M. gern geritten. Da lebte sie noch in ihrem Haus in Ellerbek. Doch dann stellten die Ärzte bei "Möhrchen", wie Ute M. von ihren Freunden genannt wird, einen Gehirntumor fest.

Im Krankenhaus konnten sie ihr nicht mehr helfen. Ute M. kam zum Sterben ins Johannis-Hospiz nach Elmshorn. "Hier ist mein Zuhause", sagt die 66-Jährige. Dank der Medikamente ist sie frei von Schmerzen, und das Personal erfüllt ihr jeden Wunsch. Die Mahlzeiten nimmt sie gemeinsam mit ihren Mitbewohnern ein. "Hier entstehen Freundschaften", sagt die Frau, die zeit ihres Lebens ein verschlossener Mensch war. Sie seien kurz, aber intensiv. In den letzten Minuten muss niemand allein sein. Das gibt ihr Frieden.

+++++Im Hospiz in Elmshorn lernt Möhrchen neu zu leben+++++

Drei Monate später. Die Hoffnungen und Wünsche, von denen Ute M. dem Abendblatt bei einem Besuch im Hospiz Ende April berichtet hatte, haben sich nicht erfüllt. "Möhrchen" musste Anfang Juli, zwei Wochen vor ihrem Tod, dort ausziehen, weil sie nach Maßstäben des deutschen Gesundheitssystems zu fit für das Hospiz war. Sie konnte bei einer Freundin unterkommen, baute jedoch zusehends ab, weil sie kein Essen mehr zu sich nahm. Einige Tage später ging es ihr wieder sehr schlecht. Schlecht genug, um im Hospiz erneut aufgenommen zu werden. Wenige Tage später starb sie.

Diese Entscheidung habe nichts damit zu tun, wie lange jemand im Hospiz lebe, versichert Hospiz-Leiterin Janet Dahlmann. "Aber wer eine Stunde mit dem Rollator draußen spazieren geht, gehört einfach nicht hierher", sagt sie. Alle vier Wochen fordern die Krankenkassen einen neuen Antrag auf Kostenübernahme, erklärt sie. Dazu müssten die Mitarbeiter des Hospizes und ein Arzt den Zustand des Patienten beurteilen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen prüft die Angaben. "Sind die Aufnahmekriterien nicht mehr gegeben, weil die Patienten schmerzfrei sind und ihre Symptome stagnieren, dann dürfen sie wieder zurück in ihr normales Leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben", sagt Janet Dahlmann. "Wir haben keine Tagesangebote wie die Pflegeeinrichtungen. Dort können die Gäste beispielsweise an Gedächtnistraining oder Gymnastik teilnehmen."

Das "Dürfen" setzt allerdings Freiwilligkeit voraus. Denn tragen die Krankenkassen die weiteren Kosten des Aufenthalts nicht, sind die Bewohner gezwungen, in ein Pflegeheim zu ziehen oder nach Hause zurückzukehren.

Am Freitag musste auch der 46 Jahre alte Andree B. sein Zimmer im Johannis-Hospiz räumen und in das Pflegeheim Haus Flora in Elmshorn umziehen. Daran konnte auch der Anwalt, den die Familie eingeschaltet hatte, nichts ändern. Dabei habe er sich im Johannis-Hospiz, wo er seit November lebte, sicher und zu Hause gefühlt, so seine Frau Heike. "Kann man einem Menschen das zumuten?", fragt sie in einem Facebook-Eintrag. "Muss ich in der Abschiedsphase kämpfen? Um Geld? Wo bleibt die Ethik in diesem Fall?" Sie kann nicht verstehen, warum die gesetzlichen Krankenkassen ihre Überschüsse nicht für solche Fälle nutzen. Die haben allein 2011 rund vier Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet.

+++++Familie Pieper paddelt für das Hospiz KinderLeben e. V.+++++

Auch seine Tochter Giulietta ist fassungslos: "Mein Vater, der einen Hirntumor hat, muss das Hospiz verlassen, weil er nach der Meinung der AOK zu lange auf Erden verweilt und die Kosten nicht mehr getragen werden."

Alles eine Frage des Geldes? Die Gesundheitskasse AOK Nordwest bestreitet dies. "Es gibt viele Krankheitsbilder, die zunächst das Schlimmste befürchten lassen, bei denen sich aber der Zustand der Patienten unter fachkundiger und spezialisierter Medikation und Behandlung stabilisiert, sodass eine Versorgung in der Familie oder einer vollstationären Einrichtung wieder möglich ist", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. Die Kasse beruft sich auf das Sozialgesetzbuch. Darin steht, sofern der Zustand des Patienten und der Familie trotz des schweren Krankheitsbildes eine gewisse Stabilität erreicht hat, ist eine Entlassung nach Hause möglich.

Mit einer solchen Lösung sparen die gesetzlichen Krankenkassen allerdings Geld. Denn für einen Hospizplatz zahlen sie abhängig von der Pflegestufe in Schleswig-Holstein im Durchschnitt 6510 bis 7700 Euro im Monat. Ein Patient mit Pflegestufe drei kostet dagegen 1550 Euro im Monat, egal ob Pflegeheim oder ambulante Pflege.

"Uns kommen Fälle wie die von Ute M. oder Andree B. deutlich häufiger zu Ohren als noch vor ein paar Jahren", sagt Elke Simon von der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz-Stiftung. "Wir sehen das sehr kritisch." Die Theologin rät Betroffenen, sich an die Organisation zu wenden. "Wir konnten in der Vergangenheit immer wieder helfen, da es immer auch einen Ermessensspielraum gibt. Und niemand sollte dafür bestraft werden, wenn es ihm in seiner letzten Lebensphase noch einmal kurzfristig besser geht."