Bestand im Wattenmeer geht um 90 Prozent zurück. Naturschützer machen Fischerei verantwortlich und kritisieren Kieler Umweltministerium.

Neumünster/Husum. Den Muscheln im Nationalpark Wattenmeer geht es im wahrsten Sinne des Wortes mies. Mittlerweile sind nur noch zehn Prozent des einstigen Miesmuschelbestands vorhanden. Während bisher angenommen wurde, dass in diesem Ausmaß nur die sogenannten trocken fallenden Wattflächen betroffen sind, fanden Naturschutzverbände nun bei Stichproben heraus, dass die Situation viel schlimmer ist: Auch in den Gebieten, die ständig mit Wasser bedeckt sind, hat sich das Vorkommen natürlicher Miesmuscheln schon um 90 Prozent reduziert.

+++ Miesmuschelbestand gefährdert +++
+++ Echt mies, diese Muschel +++


"Das macht das Ganze noch dramatischer", sagt Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des Naturschutzbunds (Nabu) Schleswig-Holstein. Die Naturschutzverbände Nabu, Schutzstation Wattenmeer und WWF (World Wide Fund For Nature) sind sich einig: Die zu wenig reglementierte Muschelfischerei sei schuld. Von Raubbau ist gar die Rede. Mehr noch: Die drei Umweltverbände zeigen sich enttäuscht vom schleswig-holsteinischen Umweltministerium und werfen ihm vor, keine Rücksicht auf das Wattenmeer zu nehmen, das in diesem Jahr zum Weltkulturerbe ernannt wurde.

Erst im Sommer dieses Jahres haben die acht ansässigen Kutterbetriebe mit Fanglizenz zehn für sie sehr positive "Eckpunkte" mit dem Land Schleswig-Holstein vereinbart. Demnach sollen die Fischer in den kommenden 15 Jahren weiterhin auf 2000 Hektar des Nationalparks Miesmuscheln aufziehen und damit auch ernten dürfen. Zudem gibt es einen Passus, der ein Hintertürchen für uneingeschränkten "Besatzmuschelimport" offen lässt.

Zwar sollen die Fischer nur noch bis Ende 2016 Besatzmuscheln, welche die heimischen Lücken füllen sollen, unbegrenzt importieren dürfen, von 2017 an nur noch aus der Nordsee und von 2022 an ausschließlich aus dem Wattenmeer. Allerdings dürfen sie bei Nachschubproblemen eine Importgenehmigung für Besatzmuscheln aus anderen Gebieten beantragen.

"Für uns steht die Existenz auf dem Spiel", sagt Peter Ewaldsen, Vorsitzender der Erzeugergemeinschaft der schleswig-holsteinischen Muschelzüchter. Denn auch die Unternehmen bekommen das Problem zu spüren. In der vergangenen Saison haben sie weniger als 2000 Tonnen der Schalentiere geerntet - im Rekordjahr 1992 waren es noch 40 000 Tonnen. Bis Ende 2011 will das Kieler Umwelt- und Landwirtschaftsministerium feststellen, ob der Beschluss der Eckpunkte auch den für das Wattenmeer geltenden EU-Vorgaben entspricht.

"Aber ich gehe davon aus, dass das Ministerium das irgendwie durchwinkt", sagt Ewaldsen. Schließlich haben die Muschelzüchter viele Fürsprecher in der schwarz-gelben Landesregierung - allen voran Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU).

Hinter dem Zeitpunkt des Beschlusses vermuten Kritiker wie die Naturschutzverbände Kalkül. Im kommenden Sommer wird in Schleswig-Holstein gewählt. Ein Machtwechsel zur Rot-Grün ist möglich, und die Grünen sagen deutlich, dass sie den Muschelfang stoppen wollen. "Es ist abenteuerlich, unter den aktuellen Umständen die Fischerei fast unverändert fortzusetzen", sagt Hermann Schultz, Vorsitzender des Nabu Schleswig-Holstein. "Noch unverantwortlicher ist es, dies gleich für 15 Jahre festschreiben zu wollen und alles noch bis zum Jahresende übereilt zu entscheiden."

Hans-Ulrich Rösner vom WWF wirft dem Umweltministerium gar Versagen vor: "So kann es nicht weitergehen. Es muss ohne durch Wahltermine erzeugten Druck nach einer Lösung gesucht werden."

Die Umweltschützer warnen, dass mit den Schalentieren ein großer Teil der biologischen Vielfalt des Wattenmeers verschwindet. Denn die Miesmuschelbänke bilden Riffe, auf denen viele Organismen leben. Zudem sind sie Lebensgrundlage vieler Wattvögel, deren Bestände ebenso zurückgehen. Auch den Import von Besatzmuscheln sehen die Naturschutzverbände kritisch. "Es besteht ein großes Risiko, dass durch die Importmuscheln gebietsfremde Arten und Parasiten eingeschleppt werden", sagt Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des Nabu Schleswig-Holstein. Das könne das Ökosystem in dem Nationalpark grundlegend durcheinanderbringen.

Für den Vertreter der Muschelzüchter, Peter Ewaldsen, ist dieses Argument nur ein Vorwand, "um die Muschelfischerei zu zerstören". Der dramatische Zusammenbruch der Bestände habe andere Gründe. Vor allem räuberische Kleinkrebse, die sich stark vermehrt haben und Muschellarven fressen, seien ein Problem.