Der Ausbau der Stecke auf sechs Spuren soll früher fertig werden als geplant. Wissenschaftler widerlegen Image der Baustelle als “Todesstrecke“.

Sittensen. Die freundliche Begrüßung dient auch der Selbstvergewisserung. "Sind Sie gut durchgekommen?", fragt Lutz Hoffmann und freut sich sichtlich, dass der Gast ganz ohne Probleme durch Deutschlands längste Autobahnbaustelle aller Zeiten pünktlich ans Ziel gelangt ist. Hoffmann ist schließlich der Projektleiter beim Ausbau der A1 zwischen Hamburg und Bremen auf 72,5 Kilometer Länge. Sein Hauptquartier ist die Autobahnmeisterei auf halber Strecke in Sittensen.

+++ Die Akte A1: Großstaustelle Autobahn +++

Hoffmann ist seit vielen Jahren fünf Tage in der Woche auf Baustellen zu Hause, aber der Ausbau der A1 von vier auf sechs Spuren war dann doch Neuland - nicht wegen der Ausmaße der Baustelle, sondern ob der Begleitumstände: "Überrascht hat mich das öffentliche und hier vor allem das mediale Interesse, nie zuvor ist über einen Autobahnausbau auch nur annähernd so viel berichtet worden." Dabei fühlt sich das Baukonsortium "nicht immer fair behandelt", aber hat gelernt, damit zu leben: von der Katastrophenbaustelle über die Todesstrecke bis zur Staustelle, keine Reizvokabel fehlte in der Berichterstattung der vergangenen drei Jahre. Die Zahlen allerdings sprechen eine andere Sprache, es gab seit Beginn der Bauarbeiten deutlich weniger schwere Unfälle als in den Jahren zuvor.

Und dann ging es in der Berichterstattung ja auch immer um das Finanzierungsmodell in "Public Private Partnership" (PPP). Das Baukonsortium finanziert den kompletten Streckenausbau, wird für 30 Jahre auch Betreiber des Abschnitts mit Reparaturmaßnahmen, Unterhalt und Winterdienst, kassiert im Gegenzug ebenfalls 30 Jahre einen Teil der Lkw-Maut. Die Verträge sind streng vertraulich, und der Bundesrechnungshof konnte sich nicht so recht entscheiden, wer denn nun hier wen über den Tisch gezogen hat.

Aus der Sicht von Projektleiter Hoffmann überwiegen eindeutig die Vorteile des privaten Bau- und Betreibermodells, und zumindest an einem Punkt kann man den Stolz unschwer nachvollziehen: Schon der eigentlich vorgesehene Baufahrplan von September 2008 bis zum 31. Dezember 2012 für die längste jemals in Deutschland eingerichtete Autobahnbaustelle war ambitioniert, in staatlicher Planung wäre das nicht unter zehn Jahren zu schaffen gewesen. Aber obwohl noch ein Winter vor ihm liegt, ist Hoffmann jetzt optimistisch, dass seine Männer sogar noch schneller sind: "Zum Ende des dritten Quartals 2012 wollen wir fertig sein."

Rund 400 Millionen Euro verbaut das Konsortium. In der Hochzeit waren mehr als 400 Personen beschäftigt, jetzt sinkt die Zahl auf etwa 200, auch weil keine Planer mehr gebraucht werden: "Das PPP-Modell führt zu einer schnellen und qualitativ guten Realisierung der Strecke, alles andere ist Nonsens", sagt Hoffmann selbstbewusst. Wenn der Staat baut, müssen sich laut Hoffmann die Baufirmen an ein umfangreiches und hoch kompliziertes Leistungsverzeichnis halten, hier aber wurde ein Funktionsbauvertrag abgeschlossen. Der macht eindeutige Zielvorgaben, aber er lässt dem Konsortium mehr Freiraum: "Es gibt praktisch keine der sonst üblichen Streitfragen mehr."

Und noch eine gute Erfahrung hat Hoffmann gemacht: Die seit nun drei Jahren arbeitenden Teams haben sich immer besser aufeinander eingespielt. Wenn sie in diesen Wochen die letzten sechs von ursprünglich 26 Abschnitten der Richtungsfahrbahn nach Bremen aufreißen und die neue Straße bauen, ist dies der vierte Durchgang für die Beteiligten.

Mit Beginn der Bauarbeiten am 1. September 2008 ist auch der Betreibervertrag in Kraft getreten, darum hat das Konsortium ein hohes Interesse, die Strecke schnell fertigzustellen. Dann nämlich klappt auch die Refinanzierung besser, weil derzeit viele Lastwagen auf Ausweichrouten abwandern wegen der Staugefahr.

Unterdessen ist die A1 keineswegs die "Todesstrecke", als die sie manchmal bezeichnet wurde. Im 72,5 Kilometer langen Abschnitt der A1 gab es in den sieben Jahren vor Beginn der Bauarbeiten durchschnittlich 113 schwere Unfälle pro Jahr - laut Polizei ist dies das belastbarste Kriterium. In den jetzt drei Jahren Bauzeit waren es aber im Durchschnitt nur 88 schwere Unfälle. Im ersten Baujahr 2008 gab es zwei, dann acht Todesopfer, aber auch ganz ohne Baustelle waren es 2001 sieben Tote. Fast alle tödlichen Verkehrsunfälle seien nicht in den engen Baustellenbereichen, sondern auf normalen Spuren passiert, so die Polizei.

Bestätigt sehen sich die Planer in dieser Einschätzung durch eine neue Diplomarbeit von Eugen Diener. Der Diplomingenieur ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Straßenwesen der Technischen Universität Aachen und hat sich mit der häufig geäußerten Kritik auseinandergesetzt, ob die bislang größte Dichte von bis zu sieben Baustellenabschnitten auf 72 Kilometern die Autofahrer überfordert hat. Seine Antwort auf Abendblatt-Anfrage lautete Nein: "Es konnte kein ansteigendes Unfallgeschehen über die Länge der Arbeitsstellenfolge beobachtet werden." Er registrierte aber für die erste Ausbaustufe ein gegenüber anderen Baustellen um den Faktor 2,5 höheres Risiko leichter Unfälle. Dies führte er "vor allem" darauf zurück, dass die Fahrbahnbreiten besonders schmal gewählt worden waren. Diese Breiten werden vom Auftraggeber vorgegeben. Als die Behörde später eine Verbreiterung um einen Meter anordnete, sanken die Unfallzahlen sofort deutlich.