Der erfolgreiche Turner Reza Abbasian aus dem Iran ist im Landkreis Harburg integriert. Aber der Ausländerbehörde reicht das nicht.

Winsen/Luhe. Die Kreisstadt Winsen hält große Stücke auf Johann Peter Eckermann, dort geboren am 21. September 1792. Der Dichter und Freund Johann Wolfgang von Goethes musste in jungen Jahren allerdings auf einflussreiche Winsener setzen, damit er aus seinen Talenten etwas machen konnte. Denn einst war er mit seinem Vater hausierend durch die Stadt gezogen. Ein Schicksal, das Reza Abbasian , 20, aus Nenndorf im Landkreis Harburg gut nachempfinden kann.

Der gebürtige Iraner ist erst seit neun Jahren in Deutschland, lernte die deutsche Sprache, machte einen Realschulabschluss. Außerdem gehört er zur Turnerelite Deutschlands, geht außer für die Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft für einen Bundesligaverein, die Kunstturnervereinigung Straubenhardt, an der Seite von Sportstar Fabian Hambüchen an den Start.

+++ Reza Abbasian darf zu den Deutschen Meisterschaften +++

Er gilt nicht nur für seinen Trainer Edwin Palnau als große Olympia-Hoffnung. Und er ist vierfacher Deutscher Jugendmeister im Geräteturnen - ohne Deutscher zu sein.

Was paradox anmutet, ist bizarre bürokratische Realität. Denn Abbasian hat keine Aufenthaltsberechtigung, sondern ist nur geduldet. Jedes halbe Jahr muss er bei der Ausländerbehörde der Kreisverwaltung in Winsen neue Anträge stellen, damit er nicht abgeschoben wird. Er erhält vom Amt monatlich 12,66 Euro Taschengeld und Wertgutscheine über 112 Euro. Diese darf er nur in wenigen Geschäften einlösen. Außerdem lebt er von Zuwendungen der Turnerschaft, die ihn mit Sportkleidung und Schuhen ausstattet.

Beide Vereine haben ihm bereits Ausbildungsplätze angeboten. Ein Gastronomiebetrieb möchte Abbasian gerne sofort einstellen. Es gibt nur einen Haken: Der Spitzensportler darf keinen Job annehmen. Die Ausländerbehörde kann es ihm nicht erlauben. Geduldete dürfen keinen Beruf ausüben. Auch muss sich der vierfache Deutsche Jugendmeister im Geräteturnen eine Genehmigung besorgen, um am Sonnabend bei den Deutschen Meisterschaften in Einbeck antreten zu dürfen.

Und so sitzt Reza Abbasian einmal mehr auf einer Bank vor dem Gebäude der Kreisverwaltung im Schlosspark. Es soll ein Gespräch mit Ronald Oelkers, dem Leiter des Ordnungsamts, geben. "Wir haben Abbasian eingeladen, weil wir ihm erklären wollen, was zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis vonnöten ist. Wir sehen seine Integrationsleistung", sagt Verwaltungssprecherin Birgit Behrens. Der 20-Jährige ist misstrauisch. "Als ich 18 Jahre alt geworden bin, musste ich zur Ausländerbehörde. Dort sollte ich ein Papier unterschreiben, dass ich freiwillig in den Iran zurückwill. Das hab ich nicht gemacht", sagt er. 2009 wurde seinem Vater, der erst vor Wochen seinen ersten Job in einem Gasthaus bekam, ein dauerhafter Aufenthaltstitel aufgrund der Menschenrechtskonvention zugestanden. Rezas Asylantrag wurde von den Winsener Behörden abgelehnt. "Sie schreiben mir, ich als Kind habe mich nicht politisch engagiert, also werde ich nicht politisch verfolgt. Da könne ich wieder in den Iran zurück."

Für den jungen Nenndorfer ein Horrorszenario. "Die würden mich sofort verhaften. Jeder weiß doch, dass es unter Präsident Ahmadinedschad furchtbar ist." Der 20-Jährige hat erfahren, was Terror bedeutet. Im Dezember 2002 flüchtete er mit seinem Vater Abdullah aus dem iranischen Kazac nach Deutschland. "Wir mussten weg. Mein Vater wurde politisch verfolgt", sagt er.

Irgendwann in einer Nacht packten die Verwandten für den damals Elfjährigen und seinen Vater eine Tasche mit dem Nötigsten zusammen, dann ging es los. Die Mutter blieb, konnte erst acht Jahre später nachkommen. Deutschland sollte das Ziel sein, ein Land, "in dem nicht die Religion, sondern in dem der Mensch, in dem die Leistungen des Einzelnen zählen", sagt er.

Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in einem Oldenburger Wohnheim fanden sich Vater und Sohn im 3000 Einwohner großen Nenndorf wieder. Beide ohne deutsch zu sprechen, ohne Freunde und Kenntnis über die gesellschaftlichen Strukturen in ihrer neuen Umgebung. "Wir haben eine schöne Wohnung bekommen. Ich kam gleich in die Realschule", sagt Abbasian. Stolz zeigt er seine Zeugnisse. Im Sportunterricht konnte er von Anfang an glänzen, mit dem Turnen hatte im Alter von fünf Jahren begonnen.

"Eine Lehrerin schickte mich dann zum TSV Buchholz, dort wurde ich gefördert." Und fand schnell neue Freunde. Deren Eltern gaben schon mal Geld dazu, damit der kleine Reza bei Ferienfreizeiten oder anderen Unternehmungen nicht abseits stehen musste. Immer wieder werden in seinen Zeugnissen sein freundliches Wesen und sein Ehrgeiz hervorgehoben. Eigenschaften, die ihn in seiner sportlichen Karriere schon sehr weit gebracht haben - die aber bei der Ausländerbehörde nicht viel gelten. "Ach ja, wir haben im Landkreis noch andere tolle Sportler. Das sagt ja noch lange nichts über die Integrationsleistung aus", sagt Behördensprecher Georg Krümpelmann.

"Für eine gelungene Integration ist es vonnöten, dass er sich seinen iranischen Pass vom Konsulat in Hamburg besorgt", sagt Krümpelmann. Dann würde es schnell gehen mit einem dauerhaften Bleiberecht und mit einer Arbeitserlaubnis. Doch Abbasian befürchtet, dass der Iran keine Papiere aushändigt, und teilt diese Ängste Amtsleiter Oelkers mit. Und während Oelkers dem Abendblatt gegenüber zubilligt, dass eine Bescheinigung über die Bemühungen, die erforderlichen Papiere zu besorgen, ausreiche, wird Abbasian im Gespräch etwas anderes mitgeteilt. "Die sagten, ich solle in diesem Fall meine Geburtsurkunde besorgen. Dazu müsste ich aber in den Iran zurück."

Mit der Arbeitserlaubnis ist es dann wieder nichts geworden. Immerhin hat der Meisterturner die Erlaubnis erhalten, zu den Wettkämpfen nach Einbeck zu fahren. Ein Mitarbeiter händigt ihm lächelnd die Zusage aus.

Abbasian will sich nun mit seinem Anwalt Tyll Mackenberg beraten, was zu tun ist. Trotz aller Rückschläge hält er an seinem Lebenstraum fest. Er will künftig bei olympischen Wettkämpfen für Deutschland, für sein Heimatland antreten, für das Land, in dem nicht die Religion, sondern in dem die Leistungen des Einzelnen zählen.