Reza Abbasian schaffte einen zehnten Platz bei den deutschen Meisterschaften, muss aber um seine Zukunft in Deutschland zittern.

Harburg. Reza Abbasian, 20, nimmt Anlauf. In der Sporthalle in Göppingen, in der sich Tausende Zuschauer zu den deutschen Geräteturnenmeisterschaften eingefunden haben, wollen viele den Sprung des jungen Turners aus Nenndorf nicht verpassen.

Obwohl er außer Konkurrenz startet, betrachten Trainer und Talente schon sehr genau, welche Leistungen Abbasian, mehrfacher deutscher Jugendmeister im Mehrkampf, während der Wettkämpfe bringt. 23 Turner sind am Start. In Harburg drücken ihm viele der Mitglieder der Hausbruch- Neugrabener- Turnerschaft (HNT), der Verein, der ihn für die Meisterschaften gemeldet hat, die Daumen. Wie berichtet, wollte ihn der Deutsche Turnerbund (DTB) zunächst für die Veranstaltung nicht zulassen, gab nach einem Artikel des Hamburger Abendblatts doch noch grünes Licht.

Abbasian meistert eine der schwierigsten Übungen, den Überschlag mit Doppelsalto vorwärts. Und genau wie Turnstar Philipp Boy landet er zunächst auf den Füßen, fällt dann hin. Für Boy reichte es immerhin zum Titel am Pauschenpferd und am Boden. Abbasian steht am Schluss auf Platz zehn - eine ansehnliche Leistung, "denn in Gegensatz zu den anderen Sportlern konnte sich der 20-Jährige nur eine Woche lang intensiv auf die Meisterschaft vorbereiten", sagt Petra Schulz vom Hamburger Verband für Turnen und Freizeit, die sich beim DTB engagiert für Abbasian eingesetzt hatte und in Göppingen dabei war.

"Ich hätte noch besser sein können. Nichtsdestotrotz war es mir wichtig, mich hier zu zeigen", sagt Abbasian. Er setzt nun auf die deutschen Mehrkampfmeisterschaften der Männer am Sonnabend, 17., und Sonntag, 18. September in Einbeck. Dort ist er klarer Favorit, steht laut Wertung auf Platz eins. Auch ein Grund, weshalb er sich bei Bundestrainer Andreas Hirsch empfehlen wollte.

Auf Nachfrage des Hamburger Abendblatts mag der sich allerdings nicht zu Abbasian äußern. Nach Auskunft von DTB-Sprecher Torsten Hartmann will sich Hirsch kein Urteil anmaßen, weil er hierfür den Trainingsprozess und die Voraussetzungen Abbasians nicht ausreichend kenne.

Kein Urteil zum deutschen Jugendmeister im Mehrkampf? An anderer Stelle lobt Hirsch das positive Miteinander bei den Turnern, stellt heraus, dass "wir kämpfen können".

Das beweist Abbasian nicht nur im Sport, sondern auch an anderer Stelle. Wie berichtet, besitzt der deutsche Jugendmeister im Mehrkampf kein Aufenthaltsrecht, ist nur geduldet. Jeweils alle sechs Monate muss er sich von der Ausländerbehörde des Landkreises Harburg in Winsen eine Bescheinigung holen, dass er kein Aufenthaltsrecht besitzt, seine Abschiebung aber zurzeit nicht möglich ist. Damit er einen dauerhaften Aufenthaltstitel erhält, muss der gebürtige Iraner, der im Alter von zwölf Jahren mit seinem Vater nach Deutschland flüchtete, seinen Pass von der iranischen Botschaft holen. "Ich habe Angst, dass die mich da festnehmen und in den Iran verschleppen Mein Vater ist Regimegegner und wird dort verfolgt", sagt der Nenndorfer. Rechtsexperten halten dieses Szenario für unwahrscheinlich. Allerdings: "Wir raten unseren Mandanten, die vor so einem Problem stehen, dazu, zur Sicherheit jemanden aus der Familie oder einen Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe zur Botschaft mitzunehmen", sagt Philipp Napp, Fachanwalt für Strafrecht und erfahren mit Ausländerrechtsfragen.

Denn Abbasian ist kein Einzelfall. Das Problem der Kettenduldung für gut integrierte Ausländer wird zurzeit neu diskutiert. Der Schleswig-Holsteinische Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) forderte jüngst in den Medien: "Schluss mit der Kettenduldung, wer sich integriert hat, dessen persönlicher Einsatz muss auch durch eine Bleibeperspektive belohnt werden." Es gehe im Kern darum, eine faktisch vollzogene Integration aufenthaltsrechtlich zu würdigen. Als Voraussetzung nannte Schmalfuß sechs Kriterien: "Deutsche Sprachkenntnisse, langjähriger Aufenthalt in Deutschland, Sicherung des Lebensunterhalts durch aktive Teilnehme am Arbeitsmarkt, das Bekenntnis zur Demokratie, Teilnahme am sozialen Leben durch bürgerschaftliche Aktivitäten sowie Unterstützung der schulischen Integration der Kinder und Jugendlichen durch die Eltern", so Schmalfuß.

So weit will Uwe Schünemann (CDU), niedersächsischer Minister für Inneres und Sport, nicht gehen. "Minister Schünemann hält nichts davon, die Anforderungen an ein Bleiberecht immer weiter abzusenken, weil damit die Zielsetzung des Aufenthaltsgesetzes, nämlich die Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen, völlig aufgegeben würde", sagt Ministeriumssprecher Frank Rasche. Es müsse bei dem Grundsatz bleiben, dass Ausländer, die nach den Regeln des Ausländerrechts dazu verpflichtet sind, Deutschland wieder zu verlassen, nur dann im Wege einer Ausnahme- und Härtefallregelung hier bleiben dürfen, wenn sie sich durch eigene Arbeit versorgen können, ihre Identität geklärt ist und sie sich straffrei verhalten, so Rasche.

Bei der Arbeitserlaubnis wird es für den Nenndorfer schwierig. Er würde gerne eine Ausbildung bei der HNT oder bei einem anderen Verein beginnen. Das wird ihm allerdings durch ein Verbot der Ausländerbehörde untersagt. Aber es gibt Hoffnung. Auf Nachfrage des Hamburger Abendblatts sagt Birgit Behrens von der Kreisverwaltung Winsen: "Wir haben Reza Abbasian zu einem Gespräch eingeladen, bei dem wir ihm erklären, was zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis vonnöten ist. Wir sehen seine Integrationsleistungen."

Reza Abbasian gibt nicht auf. Der Bundesligaturner will Vorbild für andere junge Sportler mit Migrationshintergrund sein. So ist er Pate bei den Hamburg Gymnastics, den Wettkämpfen für Hamburger Grundschulklassen, an denen am Mittwoch, 26. Oktober, auch Harburger Jungen und Mädchen, darunter Kinder mit ausländischen Wurzeln, teilnehmen.

Für seine weitere sportliche Karriere will er einen kühlen Kopf, klare Gedanken und sich den Glanz in den Augen bewahren, so, wie es sich DTB-Trainer Andreas Hirsch auf der DTB-Homepage von seinen Spitzenturnern wünscht.