Heute vor 40 Jahren explodierten kurz nach dem Start die Triebwerke einer BAC 1-11. 99 Menschen überlebten. Das Abendblatt traf die Helfer aus Hasloh.

Hasloh. Manfred Maier ist als Erster am Ort des Grauens. Der Feuerwehrmann hat in seinem Garten in Hasloh an diesem frühen Abend des 6. September 1971 gerade eine Grundmauer aufgeschüttet. Ein gewaltiger Knall lässt ihn hochschrecken. Sekunden später sieht er in 800 Meter Entfernung eine riesige schwarze Rauchwolke in den Himmel steigen. "Da ist ein Tankwagen auf der Autobahn explodiert", denkt er und rast mit seinem Nachbarn zur Unglücksstelle.

Minuten später sind sie auf der Autobahnbrücke. Maier hat einen kleinen Feuerlöscher in der Hand, als ihm schlagartig klar wird, dass er damit nicht viel ausrichten kann: Auf der A 7 und den angrenzenden Weiden sind die Trümmer eines Passagierflugzeugs über mehrere Hundert Meter verteilt. Nicht weit von der Brücke entfernt liegt der abgetrennte Rumpf des Cockpits einer zweistrahligen BAC 1-11.

Manfred Maier und sein Nachbar laufen die Böschung hinunter. Maier wird in die Kanzel gehoben. Drinnen findet er Flugkapitän Reinhold Hüls, Kopilotin Elisabeth Friske und einen Bordmechaniker in ihren Sitzen. Alle drei leben. Es ist ganz still. Hüls will immer wieder durch die kleine Fensterluke vorne raus, doch Maier zieht ihn zurück und über die Sitze hinten aus dem Rumpf.

Dann will er auch die junge Frau aus dem Sitz heben, doch die weigert sich. Irgendwo auf dem Boden liegen ihre hübschen flachen Sandalen, die sie in Ägypten gekauft hat. Und ohne die, sagt sie, werde sie das Flugzeug ganz bestimmt nicht verlassen.

Plötzlich hört Maier irgendwo eine Explosion. Da wird auch er das erste Mal ein bisschen nervös. Vorher, sagt er, habe er nur funktioniert. Er haut der jungen Frau, die unter Schock steht, links und rechts was an die Ohren. Erst jetzt lässt sie sich aus dem Rumpf ziehen.

40 Jahre später stehen sechs ältere Herren auf der Autobahnbrücke bei Hasloh und schauen still über das Geländer. Unter ihnen auf der A 7 braust der Verkehr, doch die Gedanken der Männer sind ganz woanders. Sie haben immer noch nicht viele Worte für das Unfassbare, das damals quasi vor ihrer Haustür geschehen ist. Als der Pilot eines Düsenflugzeugs durch eine spektakuläre Notlandung auf der Autobahn eine noch viel größere Katastrophe verhindern wollte, haben die jungen Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr in Hasloh das getan, was stille Helden immer tun: Sie haben ohne viel Aufhebens engagiert ihren Job erledigt. Vorbereitet waren sie darauf nicht.

Um 18.19 Uhr hatte die voll besetzte Chartermaschine der Fluggesellschaft Paninternational in Fuhlsbüttel von der Startbahn 33 in Richtung Norden abgehoben. Das Ziel des Fluges Nummer 112 hieß Malaga. An Bord waren sechs Besatzungsmitglieder und 115 Passagiere, die sich auf ihren Urlaub in Spanien freuten. Doch bereits 60 Sekunden nach dem Start explodierte in 250 Meter Höhe das linke Triebwerk, kurz darauf fiel auch das rechte Triebwerk aus. Reinhold Hüls entschloss sich zur Notlandung auf der A 7, die damals bis Kaltenkirchen fertiggestellt war.

Die Maschine setzte mit einer Geschwindigkeit von mehr als 250 Stundenkilometern auf der Autobahn auf, doch die Brücke bei Kilometer 45,5 erwies sich als tragisches Hindernis. Beide Tragflächen wurden abgerissen, Seitenruder und Heck zerstört, der Rumpf zerbrach in drei Teile. Die Passagiere im mittleren Teil der Maschine hatten keine Chance.

Hans-Herbert Brandt, 60, und Dieter Inselmann, 72, wurden durch Sirenen alarmiert, die in Hasloh um 18.26 Uhr losgingen. "Funkmeldeempfänger oder gar Handys gab es damals noch nicht", sagen sie. "Manche von uns hatten ja noch nicht einmal einen festen Telefonanschluss zu Hause."

Kurt Günther, 82, hat einen "gewaltigen Knall" gehört. Er war vielleicht zwei Kilometer von der Unglücksstelle entfernt. Als die Feuerwehrleute an der Autobahnbrücke ankamen, schauten sie auf ein Schlachtfeld. "Zwischen unzähligen Wrackteilen lagen Schuhe und Taschen, aufgeplatzte Koffer und Berge von Gepäck", erinnern sich Hans-Werner Krohn, 75, und Helmut Böttcher, 74.

Dazwischen Tote und Schwerverletzte, blutende Menschen und andere, die hilflos umherirrten. Ältere Menschen und Eltern mit ihren kleinen Kindern. "Es war irgendwie seltsam ruhig", sagt Kurt Günther, der Erste Hilfe leistete und die Überlebenden zu einer Sammelstelle brachte. "Man hörte kaum Schreie, es war fast ein bisschen unwirklich, als wenn das alles nur ein Film war, der vor unseren Augen ablief."

Als er später mit einem Feuerwehrwagen nach Quickborn fuhr, um den Tank an einem Hydranten wieder aufzuladen, traf er eine Frau aus der Nachbarschaft, die ihm erzählte, welch riesiges Glück sie gehabt habe. Sie fuhr mit ihrem Sohn im Auto auf der A 7, als der Junge rief: "Mama, fahr schneller, da kommt ein Flugzeug von hinten."

Mittlerweile waren neben zahlreichen Helfern von Polizei und Feuerwehr Tausende von Schaulustigen an der A 7 eingetroffen. "Bis spät in die Nacht kamen noch Menschen an die Absturzstelle. Manche hatten ihr Baby in der Tragetasche oder die Kinder auf den Schultern", sagt Dieter Inselmann. Die Katastrophentouristen standen oben auf der Brücke, suchten zwischen den Trümmern nach "Andenken" und behinderten die Retter nicht nur mit ihren Autos, die kilometerweit alle Zufahrtsstraßen verstopften, bei der Arbeit. Polizei und Bundeswehr riegelten schließlich das Gelände weiträumig ab. Im Scheinwerferlicht begann die Bergung der Toten.

Die jungen Feuerwehrleute fanden auch abgerissene Arme und Beine. Sie haben beobachtet, dass Menschen glaubten, eine Perücke hochgehoben zu haben, und dann feststellten, dass es sich um einen Kopf gehandelt hat. Sie haben in den Tagen und Wochen nach dem Einsatz keinerlei Hilfe erfahren. Gespräche mit einem Psychologen oder einem Pastor, um das Gesehene zu verarbeiten? Die Männer zucken mit den Schultern. "Wir haben das unter uns besprochen."

22 Menschen überlebten die Katastrophe nicht. Sie waren Opfer einer fürchterlichen Schlamperei geworden. Oder, wie es nach den Ermittlungen die Staatsanwaltschaft ausdrückte, Opfer einer "Kette pflichtwidriger leichtfertiger Handlungen und Unterlassungen".

Angesichts der voll beladenen Chartermaschine hatte sich Pilot Hüls zu einem sogenannten Nassstart entschieden, um die Schubkraft zu steigern. Dafür wird zur Kühlung demineralisiertes Wasser in die Brennkammern der Triebwerke gespritzt.

In Düsseldorf waren tags zuvor fünf Wasserkanister für die Hamburger Maschine ausgeflogen worden - von denen zwei jedoch durch mangelnde Aufsicht explosives Kerosin enthielten. Dieses gelangte in das Kühlsystem der BAC 1-11, obwohl ein Flughafenmitarbeiter in Fuhlsbüttel später aussagte, beim Einfüllen noch gewarnt zu haben: "Hier stinkt es nach Sprit."

Fünf Jahre nach dem Unglück verurteilte das Landgericht Kiel einen Elektriker und einen Flugzeugmechaniker, die in Düsseldorf Dienst hatten, zu je 1500 Mark Geldstrafe. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass sich beim Wartungspersonal in Düsseldorf die Schichten überschnitten, ohne dass die Verantwortlichkeiten klar geregelt waren. Wer aber die Kerosinbehälter zu den anderen Wasserkanistern ins Lager gestellt hatte, konnte nicht mehr aufgeklärt werden.

Als Manfred Maier die Kopilotin Elisabeth Friske aus dem Cockpit gerettet hatte, konnte er nicht ahnen, dass die junge Frau, die der erste weibliche Flugkapitän in Deutschland gewesen ist, knapp 16 Jahre später ganz in der Nähe ein zweites Mal mit einem Flugzeug abstürzen würde. Als Kopilotin flog sie am Pfingstsonntag 1987 in einer Cessna. Mit an Bord: der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU). Kurz nach 23 Uhr setzte die kleine Chartermaschine in Lübeck-Blankensee zur Landung an. Das Flugzeug streifte einen Sendemast, krachte auf eine Bahnlinie und explodierte kurz vor der Landebahn. Ministerpräsident Barschel und sein Sicherheitsbeamter überlebten, der Pilot und Elisabeth Friske jedoch starben in den Trümmern.

Die Notlandung von Flugkapitän Reinhold Hüls und seiner Kopilotin Elisabeth Friske auf der A 7 rettete 99 Insassen das Leben. Und die Retter? Hat sich nach dem Einsatz jemals einer bei den jungen Feuerwehrleuten aus Hasloh bedankt? "Na ja", sagt Manfred Maier, 71, "ich glaube, der Bürgermeister war da und hat 50 Mark in unsere Kasse getan." Und sonst? Maier, damals Gruppenführer, erzählt, dass eines Tages die Polizei vor seiner Tür stand. "Sie wollten von mir wissen, ob einer von meinen Leuten etwas von den Passagieren geklaut hat - und wo die Sachen geblieben sein könnten."