Schleswig-Holsteins wichtigstes Verkehrsprojekt ist acht Monate vor der Landtagswahl nicht unter Dach und Fach. Auch andere Vorhaben wackeln.

Kiel. Die Wirtschaft in Schleswig-Holstein wird langsam nervös. Die schwarz-gelbe Landesregierung kommt beim wichtigsten Verkehrsprojekt im Norden, der Autobahn 20, nicht so recht voran, und bei der Landtagswahl in acht Monaten klopfen die Grünen an die Regierungstür. Die Öko-Partei würde die A 20 am liebsten stoppen, ebenso wie die Fehmarnbelt-Querung und die Elbvertiefung.

"Die Infragestellung oder Verhinderung von wichtigen Verkehrsprojekten geht zulasten der Wertschöpfung im Norden und kostet damit Arbeitsplätze", sagte der Präsident der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein, Uli Wachholtz, dem Abendblatt. "Ich erwarte von allen Parteien, dass sie Verantwortung für die Zukunft unseres Landes zeigen."

+++Bau der A 20 verzögert sich weiter+++

+++Die A 20 soll in einen Trog, nicht auf den Damm+++

Größtes Sorgenkind der Wirtschaft ist die A 20. Die Ostseeautobahn ist in Mecklenburg-Vorpommern (273 Kilometer) seit 2005 fertig, führt in Schleswig-Holstein trotz fast zeitgleichen Planungsstarts 1992 bisher nur über Lübeck bis kurz vor Bad Segeberg (39 Kilometer). Die restlichen sechs Abschnitte bis zu einem Elbtunnel bei Glückstadt sind seit Jahren in Planung.

Verkehrsminister Jost de Jager (CDU) will zwar in den nächsten Monaten erste Planfeststellungsbeschlüsse vorlegen, wird es aber bis zur Wahl im Mai absehbar nicht schaffen, auch nur einen einzigen Abschnitt rechtssicher unter Dach und Fach zu bringen. Denn allerorts drohen Klagen und damit langwierige Gerichtsverfahren.

"Wenn wir bei der A 20 weiter wären, müssten wir uns jetzt weniger Sorgen machen", bilanziert der CDU-Verkehrspolitiker Hans-Jörn Arp.

Die Grünen machen keinen Hehl daraus, dass sie die Autobahn für einen teuren Irrweg halten. "Es wäre sinnvoll, die A 20 etwa bei Bad Bramstedt qualifiziert zu beenden", bekräftigt der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Andreas Tietze.

Grünen-Fraktionschef Robert Habeck sieht das ähnlich, will sich aber nicht verkämpfen. "Wir wissen, dass wir in dieser Frage keine politische Mehrheit haben." Wie CDU und FDP pocht auch die SPD auf die A 20, um die strukturschwache Westküste ans Verkehrsnetz anzubinden.

Habeck weiß allerdings auch, dass über den Weiterbau der A 20 letztlich in Berlin entschieden wird, und zwar nach Kassenlage. Die ist denkbar schlecht. Im Bundesverkehrswegeplan (bis 2015) stehen für Neu- und Ausbau von Autobahnen bundesweit etwa zehn Milliarden Euro bereit. Angemeldet sind Projekte für 28 Milliarden Euro. Eine feste Finanzzusage gibt es bisher lediglich für ein einziges Teilstück der A 20, die Südumfahrung Segebergs. Loslegen können die Bagger aber auch dort nicht. De Jager musste vor Kurzem einräumen, dass der für Herbst angekündigte Planfeststellungsbeschluss erst im nächsten Frühjahr vorliegt.

Bis zu einem Baubeginn dürften dann nochmals viele Monate vergehen, weil der Beschluss absehbar beklagt wird. Die Gemeinde Klein Gladebrügge stört sich am A-20-Lärm, der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) kritisiert den Trassenverlauf durch das Travetal, und der Nabu (Naturschutzbund) fürchtet um die Fledermäuse in der Region. "Ich rechne mit einer Klage", sagte Nabu-Geschäftsführer Ingo Ludwichowski. Gleichwohl geht er davon aus, dass die Autobahn 20 zumindest bis Bad Bramstedt gebaut wird, um sie an die Autobahn 7 anzuschließen.

Ob und wie es mit dieser Autobahn westwärts weitergeht, hängt vor allem vom Herzstück der Trasse, dem Elbtunnel, ab. De Jager will den Planfeststellungsbeschluss für die Elbquerung noch unbedingt vor der Wahl vorlegen und so einen großen Pflock für den Bau der gesamten Trasse einschlagen. Ob de Jager das Meisterstück gelingt, ist allerdings so offen wie die Finanzierung des Projekts, das mit mindestens 800 Millionen Euro mehr kostet als der ganze Rest der Autobahn 20.

In Kiel wird inzwischen eine Lösung favorisiert, die den Bund teuer zu stehen kommen würde. Berlin soll 500 Millionen Euro aus Steuergeldern zahlen und den Rest aus einer üppig bemessenen Lkw-Maut finanzieren. Vereinbart hatten Land und Bund ursprünglich, den Elbtunnel ohne öffentliche Mittel von einem Privatbetreiber bauen und bezahlen zu lassen.

Auf der Streichliste der Grünen steht auch das andere große Verkehrsprojekt in Schleswig-Holstein, der Fehmarnbelt-Tunnel. Die Öko-Partei lehnt eine feste Querung des Belts als ökologisch und ökonomisch unvertretbar ab und setzt auf einen verbesserten Fährverkehr, will sich aber auch bei diesem Vorhaben nicht öffentlich verkämpfen. Hinter vorgehaltener Hand wird bei den Grünen eingeräumt, dass man im Fall einer Regierungsbeteiligung beim Belttunnel Kopenhagen wie Berlin etwas "in die Suppe spucken" könnte, zumal es beim möglichen Koalitionspartner SPD einen starken Flügel gibt, der die feste Querung ebenfalls stornieren möchte. Machtlos wäre eine rot-grüne Landesregierung nicht. Sie muss in den nächsten Jahren im Auftrag des Bundes zusammen mit den Dänen den Planfeststellungsbeschluss für den Tunnel eintüten und den besonders umstrittenen Ausbau der Bahnstrecke von Puttgarden bis Lübeck mittragen.

Sperrfeuer gibt es auch gegen die Elbvertiefung. "Der Nabu wird auf jeden Fall klagen", versichert Ludwichowski. Schützenhilfe könnten in Schleswig-Holstein mitregierende Grüne liefern, etwa falls Hamburg Ausgleichsflächen für den Eingriff in den Strom benötigt. Das Plädoyer der Wirtschaft, die auf die Bedeutung des Hamburger Hafens für Betriebe und Jobs auch im Umland hinweist, wird von den Grünen zwar gehört. Sie bevorzugen aber ein norddeutsches Hafenkonzept, damit der Bund nicht in Elbe und Weser, in Hamburg und Wilhelmshaven investiert. Die Zukunft gehöre eher Wilhelmshaven mit seinem tiefen Jade-Weser-Port, meint Tietze. "Die Schiffe werden immer größer und können eines Tages Hamburg auch im Fall einer Elbvertiefung nicht mehr anlaufen."

Auf Projekte in anderen Bundesländern setzen die Grünen auch im Kampf gegen A 20 und Belttunnel. Grund: Die beiden Mega-Projekte kosten zusammen bis 2020 mehr als 2,5 Milliarden Euro und sind, weil Schleswig-Holstein jedes Jahr lediglich etwa 50 Millionen Euro Neubaumittel aus dem Bundestopf zustehen, nur zu finanzieren, wenn Berlin zulasten anderer Bundesländer Extra-Schecks ausstellt. "Wer alles will, kriegt am Ende nichts", warnt Tietze die Befürworter von A 20 und Belttunnel.

Habeck geht einen Schritt weiter und macht deutlich, dass auf einer Prioritätenliste die Autobahn 21 mit einer Elbquerung bei Geesthacht ganz oben stehen müsste. Die Ostumfahrung Hamburgs ist deutlich günstiger als die A-20-Westroute. Grund ist die Elbe: Bei Geesthacht ist sie keine 300 Meter breit, bei Glückstadt mehr als 2000 Meter. Was Habeck nicht sagte: Bei einer Entscheidung für die Ostumfahrung wäre die Autobahn 20 tot.