Kritiker und Provokateur: Niedersachsens Umweltminister Sander (FDP) gibt sein Amt auf - er war Lieblingsfeind der Opposition.

Hannover. Kein Fleck auf der niedersächsischen Landkarte war in diesem Sommer vor ihm sicher: Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) inspizierte den Nationalpark Wattenmeer, den Harz und sogar einen Champignonbetrieb in Winsen, kontrollierte die Fortschritte beim Bau neuer Flussdeiche ebenso wie die Arbeit der Seehundaufzuchtstation. Die vielen Termine addieren sich zu einer Art Abschiedstournee, nach Abendblatt-Informationen wird der Minister im Spätherbst, auch wenn er darüber gerne hinwegschweigt und lächelt, seinen Hut nehmen.

Rund achteinhalb Jahre ist er im Amt und hat inzwischen reichlich Superlative angehäuft. Er ist der dienstälteste deutsche Umweltminister, der einzige Freidemokrat in diesem Amt, er ist mit 66 Jahren der Senior in der niedersächsischen Landesregierung, und er ist aus Sicht der Opposition die größte Fehlbesetzung am Kabinettstisch. Und kaum einem anderen macht das Amt unverändert so viel Spaß wie dem gelernten Lehrer und Landwirt.

Trotzdem wird er gehen, damit sein Protegé und Staatssekretär Stefan Birkner im Herbst den Landesvorsitz der FDP übernehmen kann. Der soll dann durch den Rückzug seines Förderers vom Chefsessel Gelegenheit haben, sich auch landespolitisch als Minister zu profilieren und mit dem Koalitionspartner CDU auf Augenhöhe zu agieren.

Als Rektor einer Hauptschule hatte Sander 2002 gerade die Altersteilzeit eingereicht, aber bei der Landtagswahl im Januar 2003 holte dann die FDP so viele Stimmen, dass sie ein zweites Ministeramt für sich reklamierte und bekam. Eine späte und unerwartete Karriere also für den Erdbeerbauern Sander: kein Berufspolitiker, sondern ein Mann, der mit bäuerlicher Direktheit auftritt und es so schaffte, zum Feindbild schlechthin zu werden für Umweltschützer, SPD, Grüne und Linkspartei.

Bei einem Besuch des geplanten Atomendlagers Schacht Konrad ließ er sich noch im ersten Amtsjahr mit dem Betriebsrat ablichten, ein T-Shirt in der Hand mit dem Symbol für Radioaktivität und dem Schriftzug "kerngesund". Er zeigte unverhohlene Sympathie für die Anliegen der Agrarwirtschaft, sodass die Opposition stichelte, das Land habe zwei Landwirtschaftsminister. Die Empörung erreichte ihren Höhepunkt, als der Minister im Herbst 2006 in die Elbtalaue reiste und mit der vom heimischen Hof mitgebrachten Motorsäge starke Büsche am Ufer des Stroms fällte - als Beitrag zum Hochwasserschutz. Über das "Kettensägenmassaker" empörte sich Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel, die Europäische Union leitete sogar ein Verfahren wegen Verstoßes gegen Naturschutzvorschriften im Biosphärenreservat Elbtalaue ein. Das Medienecho machte ihn vielleicht nicht populär bei Naturfreunden, aber die FDP-Klientel freute sich hörbar darüber, dass ihr Minister klare Kante zeigte. Sander selbst sieht das im Rückblick schmunzelnd ganz ähnlich: "Die Kettensäge hat meinen Durchbruch gebracht." Die Deutsche Umwelthilfe giftete damals: "Sander ist der erste deutsche Umweltminister, der den Kampf gegen die Natur für seine Kernaufgabe hält."

Mindestens ein halbes Dutzend Mal hat der Landtag über Anträge der Opposition zur Ablösung des Umweltministers debattiert. Sander selbst versucht diesen Superlativ mit Hinweis auf die Materie zu erklären: "Das Umweltressort ist nun mal ein konfliktbeladenes Ministerium."

Richtig ist aber auch, dass er Konflikte regelrecht liebt. Einen mehrjährigen Kleinkrieg hat er sich mit der SPD/Grünen-Stadtregierung der Landeshauptstadt geliefert. Hannover war die erste Stadt bundesweit, die eine Umweltzone mit strikten Fahrverboten für alte Autos einführte - aus der Sicht von Sander pure Ideologie. Mit intelligenten Ampelschaltungen, so seine Rechnung, seien die Umweltziele besser und ohne neue Lasten für die Bürger zu erreichen.

Deutlich wie kein anderes Kabinettsmitglied hat er sich zudem viele Jahre für die weitere Nutzung der Kernenergie ausgesprochen. Und als nach der Atomkatastrophe von Fukushima die verantwortlichen Politiker von CDU und FDP den Ausstieg aus der Kernkraft einläuteten, warnte er anfangs noch davor, nicht alle derartigen Überlegungen seien rational begründet. Inzwischen hat er seinen Frieden gemacht mit dem neuen Kurs.

Geht er, geht den Oppositionsparteien ihr Lieblingsfeind verloren und den Journalisten ein Gesprächspartner, der sie nicht nur regelmäßig mit knackigen Zitaten fütterte. Bei seinen Pressekonferenzen gab es regelmäßig Heringshäppchen, in Kirschwein eingelegt und auf Brot serviert, eine Spezialität seiner Frau, morgens frisch mitgebracht vom Bauernhof in Golmbach im Weserbergland.