Richter sprechen Angeklagten Michael B. zum zweiten Mal frei. Ein Unbekannter muss die Schülerin Sonja aus Ostendorf getötet haben.

Verden. In TV-Krimis sind Morde mithilfe von DNA-Spuren schnell gelöst. Wenige Blutstropfen oder Hautschuppen reichen oft aus, um Täter überführen zu können - und das auch noch viele Jahre nach dem blutigen Verbrechen. Viele ungeklärte Fälle wurden so später doch noch gelöst. Die scheinbar eindeutigen Spuren können aber auch trügerisch sein. Diese genetischen Fingerabdrücke führen nicht immer zum Täter, sondern können auch Unschuldige belasten.

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mord an der Schülerin Sonja im Kreis Rotenburg rückten sie einen früheren Bekannten der Jugendlichen, Michael B., ins Visier der Ermittler. Zweimal musste er sich wegen der grausigen Tat vor Gericht verantworten, fast zwei Jahre saß er in Untersuchungshaft. Am Mittwoch sprach das Landgericht Verden den 43-Jährigen frei und bestätigte damit ein Urteil des Landgerichts Stade von vor zwei Jahren.

"Die Kammer hat festgestellt, dass der Angeklagte es nicht gewesen ist, der Sonja getötet hat", sagte der Vorsitzende Richter Volker Stronczyk am Ende des langwierigen Verfahrens. Für die Tatzeit habe der gelernte Messtechniker ein Alibi. Denn als Sonja in den frühen Morgenstunden des 23. August 1987 gestorben sei, sei der damals 19-Jährige längst mit seiner früheren Freundin zu Hause gewesen. Deshalb müsse ein Unbekannter die Jugendliche ermordet haben.

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Zeugen hatten die Haushaltswirtschaftsschülerin zuletzt lebend vor einer Disco in Bremervörde gesehen. Am nächsten Tag entdeckten ein Bauer und seine Frau ihre Leiche etwa 20 Kilometer entfernt auf einem Feld. Der Mörder hatte Sonja geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt. Ihr nackter Körper war von mehr als 60 Messerstichen übersät. Ein bestialischer Mord.

Einen Tag später meldete sich der Bekannte von Sonja bei der Polizei. Er sagte aus, dass er mit ihr an jenem Abend in seinem Auto auf dem Parkplatz der Disco Sex gehabt hatte. In Verdacht geriet Michael B. damals nicht - zu Recht, sagte Richter Stronczyk. "Die Polizei überprüfte das Alibi." Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass der damals 19-Jährige als Täter ausscheidet.

Doch das änderte sich 2008. Kriminalspezialisten untersuchten eine dunkle Socke und ein Seil auf DNA-Spuren, mit denen der Mörder Sonja geknebelt und gefesselt hatte. Auf ihnen finden sie den genetischen Fingerabdruck des inzwischen in Venezuela lebenden Mannes. Die Polizei lässt ihn in Südamerika festnehmen. Doch schon im ersten Prozess in Stade zweifelt eine Gutachterin an den Beweisen, die den Angeklagten am stärksten belasten.

Die Professorin für Rechtsmedizin hält es für möglich, dass die Ermittler das Erbmaterial des Verdächtigen - das beim Sex an Sonjas Körper haften geblieben war - versehentlich bei ihrer Arbeit von der Leiche auf Seil und Socke übertragen hatten. Da die DNA-Analyse noch weitgehend unbekannt war, hatte die Polizei damals nicht so sauber gearbeitet wie heute. So zeigen Fotos einen Gerichtsmediziner, wie er mit blutigen Handschuhen das Seil anfasst.

Den Freispruch des Landgerichts Stade hebt der Bundesgerichtshof jedoch kurze Zeit später auf, und in Verden geht das ganze Verfahren wieder von vorne los. Monatelang hört die Kammer zahlreiche Zeugen, die sich nach so langer Zeit kaum erinnern können. Sie besichtigt die Disco und holt zwei zusätzliche DNA-Gutachten ein, die den Zweifel an den verdächtigen Spuren weiter erhärten.

Ein Experte findet auf der Socke das Erbmaterial von mindestens vier Menschen - dem Angeklagten kann er die Spuren nicht eindeutig zuordnen. Die Richter heben daraufhin den Haftbefehl gegen den heute 43-Jährigen auf. Am Ende sprechen auch sie ihn frei. Ein Schlussstrich unter den Fall Sonja ist damit aber noch nicht gezogen. Die Staatsanwaltschaft will prüfen, ob sie erneut in Revision geht. Sie hatte eine Jugendhaftstrafe von sieben Jahren für Michael B. gefordert.

Ob der Mord an der 16-Jährigen jemals aufgeklärt wird, ist fraglich. Bereits während des Verfahrens regte das Gericht an, die DNA-Spuren auf der Socke mit der Sexualstraftäterdatei abzugleichen. Ein Ergebnis brachte das nicht. "Dabei kam heraus, dass es tausend mögliche Täter gibt", sagte Staatsanwalt Nils Lahmann. Die Spuren sind einfach zu uneindeutig.