Die geplante Verkleinerung der Bundeswehr soll die Kasernen im Norden besonders treffen - der Protest an der Küste gegen die Pläne ist groß.

Hamburg/Berlin. Thomas de Maizière ist kein Mann der schrillen Töne. Er ist ruhig, diskret, solide. Jemand, der Verlässlichkeit ausstrahlt. Auf genau diese Eigenschaft setzt der CDU-Politiker auch bei seinem Großprojekt, der Bundeswehrreform. Deren Eckpunkte hat er bereits verkündet, im Herbst sollen konkrete Entscheidungen über Standorte gefällt werden. Alles Schritt für Schritt. So, wie es der Minister geplant hat.

Jetzt hat de Maizière allerdings für Aufregung gesorgt. Mit zwei Sätzen, die Norddeutschland zum Verlierer der anstehenden Truppenreform machen könnten. "Auf die Länder mit den meisten Dienstposten pro Einwohner kommen sicherlich größere Einschnitte zu als auf jene, in denen weniger Bundeswehr angesiedelt ist", sagte de Maizière dem Hamburger Abendblatt im Wochenend-Interview. Hochgerechnet ergeben sich für Schleswig-Holstein 9,1 Dienstposten pro 1000 Einwohner, für Mecklenburg Vorpommern sind es 8,5 und für Niedersachsen 6,9 Posten. Die drei norddeutschen Flächenländer stehen damit bundesweit an der Spitze.

Führende Politiker aus dem Norden fürchten eine Benachteiligung der Küstenländer - und wehren sich. "Es ist klar, dass die Verkleinerung der Bundeswehr auch bei uns zur Schließung von Standorten führen wird. Ich erwarte von der Bundesregierung allerdings eine gerechte Lösung, die den Norden nicht benachteiligt", sagte der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), dem Abendblatt. Sein Land und Schleswig-Holstein hätten die höchste Zahl an Dienstposten pro Einwohner, "weil wir zusätzlich zu den Kasernen in der Fläche auch noch die Marinestützpunkte an der Küste haben". Der Norden müsse eine höhere Stationierungsdichte behalten. Schleswig-Holsteins CDU-Chef Christian von Boetticher betonte, die Zahl der Dienstposten könne nur eines von mehreren Kriterien bei der Entscheidung über die Standorte sein. "Im internationalen Aufgabenspektrum wird die Marine eher wichtiger werden. Ich bin sicher, dass auch diese Kriterien in die Entscheidungsfindung mit einfließen werden und Schleswig-Holstein deshalb auch zukünftig überdurchschnittlich viele Dienstposten pro Einwohner haben wird." Schleswig-Holsteins besondere geografische Lage müsse auch zukünftig Berücksichtigung finden.

Die Bundeswehrreform ist die größte Neuausrichtung der Truppe in ihrer 56-jährigen Geschichte. Die Armee schrumpft von derzeit 220 000 auf 185 000 Soldaten. 170 000 von ihnen sollen Berufs- und Zeitsoldaten sein, weitere 15 000 sind freiwillig Wehrdienstleistende. Zum Dienst verpflichtet wird niemand mehr: Seit 1. Juli ist die Wehrpflicht offiziell ausgesetzt. Von den heute 76 000 zivilen Stellen sollen künftig nur noch 55 000 übrig bleiben. Die künftige Größe und Verteilung der Standorte dürfte für de Maizière dabei zu einem harten Stück Arbeit werden. Denn nicht nur im Norden ist man auf einen größtmöglichen Erhalt der Standorte erpicht - auch in anderen Ländern haben die Regierungschefs unlängst klargemacht, dass sie nicht bereit sind, auf ihre Kasernen zu verzichten. Vor allem Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gibt sich unnachgiebig. 68 Standorte hat er in seinem Land - so viel wie nirgendwo sonst. Sein Vorteil: Auf 1000 Einwohner kommen nur vier Bundeswehr-Dienstposten - also deutlich weniger als im Norden.

In Schleswig-Holstein sind es insgesamt 40 Standorte, in Niedersachsen 46, in Mecklenburg-Vorpommern 24. Vor allem in den kleineren hat man jetzt Bauchschmerzen, wie es nach der Reform weitergeht. Und dabei geht es um weit mehr als nur den Mikrokosmos Kaserne: Für strukturschwache Regionen ist ein Bundeswehrstandort ein wichtiger Faktor. Die Soldaten und zivilen Beschäftigten müssen schließlich wohnen, essen, einkaufen - und sie zahlen Steuern. Der Wegzug Hunderter Familien kann in kleinen Gemeinden zu schweren Einbußen führen - nicht nur für die öffentlichen Kassen, sondern auch für den Dienstleistungssektor. De Maizière hat deshalb versprochen, die Bundesländer bei der Feinplanung zu beteiligen, die im Oktober abgeschlossen sein soll.

Doch Spekulationen gibt es bereits jetzt. So gilt die Zusammenlegung des Führungsstabes der Marine in Bonn, des Flottenkommandos in Glücksburg und des Marineamts in Rostock-Warnemünde als sicher. Unklar ist nur, wo die neue Behörde angesiedelt wird - Rostock oder Kiel gelten als heiße Kandidaten. Die Marineschule in Flensburg-Mürwik könnte künftig zur zentralen Anlaufstelle für die Marineausbildung ausgebaut werden. Dass die Bundeswehr auch weiterhin für den Katastrophenschutz zuständig ist, könnte für den Standort Husum zum Vorteil werden: Hier lagert schweres Gerät, das bei Sturmfluten an der Nordsee zum Einsatz kommt.

Für Niedersachsen wurde bereits eine Verlegung von rund 1000 Fallschirmjägern von Oldenburg nach Seedorf diskutiert. Zudem gibt es Gerüchte, nach denen der Stab der 1. Panzerdivision mit 400 Mann von Hannover nach Oldenburg verlegt werden soll. Für das Land kommt erschwerend der Abzug der britischen Streitkräfte hinzu: Rund 13 000 Soldaten aus dem Vereinigten Königreich werden Niedersachsen bis 2020 verlassen. Es besteht also ein Interesse daran, möglichst wenige der 54 900 Bundeswehrangehörigen im Land zu verlieren. Ministerpräsident David McAllister setzt darauf, dass die Entscheidung noch nicht gefallen ist. "Der Verteidigungsminister hat angekündigt, nach Anhörung der betroffenen Länder im Herbst eine Entscheidung zu treffen", sagte der CDU-Politiker dem Abendblatt. "An allen Spekulationen, die dazu im Vorfeld angestellt werden, beteilige ich mich nicht."