Der Marktführer für Diätprodukte, die Firma Schneekoppe aus Buchholz, lockt nun mit Energydrinks und Mitteln zur Nahrungsergänzung.

Buchholz. Der Weg in die Vergangenheit führt steil nach oben und endet 1602 Meter über dem Meeresspiegel. Die Schneekoppe ist der höchste Berg im Riesengebirge, und oben auf dem Gipfel, wo die Grenze zwischen Tschechien und Polen verläuft, hat Hendrik Oevel mit seinen Mitarbeitern nach dem Aufstieg gemütlich bei einer Portion Pellkartoffeln zusammengesessen. Quark gab es dazu - und, was am allerwichtigsten ist: Leinöl. "Das ist ein altes und traditionelles schlesisches Gericht", sagt Oevel. Kein anderes Ziel wäre passender gewesen für diesen Betriebsausflug.

Leinöl und Leinsamen, vor allem aber die Schneekoppe, sind der Grundstein des gleichnamigen Unternehmens, das die meisten heute mit Müsli, Naturkost und Diätprodukten verbinden. 97 Prozent der Deutschen ist die Marke ein Begriff, nicht zuletzt auch wegen des markanten Schneekoppe-Rufs aus der Radio- und Fernsehwerbung. Mit dem Riesengebirge hat Schneekoppe heute allerdings nichts mehr zu tun. Der Firmensitz ist in Buchholz in der Nordheide, rund 30 Kilometer südlich von Hamburg. Und alles, was hier noch an den Ursprung erinnert, ist ein großes Foto des Berges, das im Konferenzraum hängt. Höhenluft gibt es deshalb ebenso wenig wie Almwiesen - das einzige Grün findet sich auf den unbebauten Flächen des Gewerbegebiets, in dem das unscheinbare zweistöckige Backsteinhaus einmal errichtet wurde. Wer ein gigantisches Müsli-Imperium mit riesigen Getreidespeichern erwartet hat, wird erst einmal enttäuscht.

"Hier in Buchholz kümmern wir uns um Entwicklung, Einkauf, Vertrieb, Marketing und Qualitätssicherung", sagt Hendrik Oevel, 42, der seit etwas mehr als einem Jahr Geschäftsführer bei Schneekoppe ist. "Die Ware wird ausschließlich von externen Auftragsproduzenten hergestellt." Schneekoppe hat deshalb auch nur rund 20 Mitarbeiter, sechs weitere sitzen in Österreich. 2009 hat das Unternehmen einen Umsatz von rund 27,5 Millionen Euro erwirtschaftet - angefangen hat alles jedoch mit einem Schlesier namens Fritz Klein, der 1927 erst Flachs am Fuß der Schneekoppe anbaute und dann deren reife Samen abpackte und verschickte. Geschrotete Leinsamen und Speiseleinöl sind deshalb heute die "Urprodukte" im Schneekoppe-Sortiment. "Und beides läuft nach wie vor super", sagt Oevel, "auch wenn Klein sein Unternehmen 1965 verkauft hat."

Heute, mehr als 80 Jahre nach dem Start, tragen rund 140 Artikel das Schneekoppe-Logo. Bei den Diätprodukten ist das Unternehmen Marktführer in Deutschland und Österreich und gehört auch bei Fruchtriegeln und Müslis zu den führenden Anbietern. "Schneekoppe ist zwar eine traditionelle Marke", sagt Oevel, "allerdings liegt mittlerweile auch eine feine Staubschicht darauf." Schon seit einigen Monaten bemüht sich das Unternehmen deshalb, möglichst auch junge Zielgruppen anzusprechen. "Das ist unsere Zukunft", ist Oevel überzeugt. Jüngster Coup ist ein Energydrink, der seit Frühjahr auf dem Markt ist. Laut Oevel liegt der Absatz über den Erwartungen des Konzerns. "Im Unterschied zu anderen Energydrinks verzichten wir jedoch völlig auf künstliche Zusätze wie Taurin oder Konservierungsstoffe", sagt Oevel.

Bio sind die Schneekoppe-Produkte zwar nicht, trotzdem versucht das Unternehmen mit seinem Bekenntnis zu natürlichen Inhaltsstoffen, eine ähnliche Entwicklung zu forcieren, die die Biobranche vor einigen Jahren eingeschlagen hat. Durch Produkte wie Bionade und Co. sind Ökolebensmittel in der Mitte der Gesellschaft angekommen und sogar im Discounter zu haben. Bewusster Lebensstil ist in, längst nicht mehr nur bei den Besserverdienern. In den USA tragen entsprechende Produkte das Label "all natural". Oevel hofft, dass diese Welle nun auch nach Deutschland schwappt. "Wir beobachten den Markt ja auch und stellen hier einen Wandel hin zu Gesundheitsaspekten fest."

Um die Verjüngungskur zu finanzieren, hat Schneekoppe vor wenigen Wochen eine Anleihe auf den Markt gebracht, die für zehn Millionen Euro frisches Kapital gesorgt hat. "Der größte Teil davon fließt ins Marketing." Gemeint ist damit Werbung in Printprodukten und im Radio, wo dann auch der alte Schneekoppe-Ruf reanimiert werden soll.

Dass der Bundesrat vor kurzer Zeit die sogenannte Diätverordnung gekippt hat, ist deshalb auch nur teilweise ein Problem. Demnach dürfen spezielle Diabetikerprodukte bald nicht mehr als solche gekennzeichnet werden. Rund 60 solcher Artikel fallen derzeit unter das Prodietasortiment von Marktführer Schneekoppe, zum Beispiel Diätgebäcke, Süßwaren oder Fruchtaufstriche. Nur die Top 20 dieser Produkte werden künftig weitergeführt, alle anderen komplett aus dem Sortiment gestrichen. Auch das soll zur Verjüngungskur des Konzerns beitragen. "So können wir unter das Image, dass Schneekoppe vor allem mit Diät zu tun hat, einen Strich machen", glaubt Oevel.

Die dann entfallenden Umsätze sollen mit neuen Produktlinien aufgefangen werden. Neben der Energysparte gibt es seit kurzer Zeit ein Apothekensortiment aus Nahrungsergänzungsmitteln, und schon etwas länger rund 30 glutenfreie Produkte für Allergiker. Laktosefreie Lebensmittel kommen Anfang 2011 dazu. Unter dem Strich stand Schneekoppe 2009 mit rund 111 000 Euro in den roten Zahlen. Das soll durch die Neuausrichtung nun anders werden. "Eine schwarze Null wäre am Ende des Jahres gut", sagt Oevel. Mittelfristig soll aus dem Unternehmen dann eine AG werden.

Hilfsmittel für den Erfolg sind die Gefühle. Bei den neuen Produkten, Etiketten und Namen geht es viel um Emotionen. "Herzensangelegenheiten" heißt eine neue Müslisorte, die bald in den Regalen steht - und den Anschluss an die großen Konkurrenten Dr. Oetker, Kölln oder Seitenbacher sicherstellen soll. Eigentlich ist ein Müsli bei Schneekoppe aber ein "Müesli", entspricht also der Schweizer Schreibweise für die Körnermischung. In den 60ern holte Schneekoppe als Erstes das Müesli aus den Alpen in die Bundesrepublik. Tradition verpflichtet eben. Wie bei einem Betriebsausflug.