Hamburg. Familie Esser-Vitt hat den angesagten Hamburger Stadtteil Eimsbüttel verlassen. Nun leben die Vier preiswert im Reiherstiegviertel.

Alle reden vom Sprung über die Elbe, aber nur die wenigsten tun es! Kerstin (41) und Jost (40) Esser-Vitt gehören nicht dazu: Die beiden haben im Mai 2014 ihre Koffer gepackt und sind mit der damals gut dreijährigen Tochter Loki – ja, der Name ist bewusst angelehnt an Hamburgs Ehrenbürgerin Loki Schmidt – vom angesagten Eimsbüttel in das weniger trendige Wilhelmsburg gezogen.

„Und haben dies bislang nicht einen einzigen Tag bereut“, betont das Paar bei einem Treffen in ihrem bunt und fröhlich eingerichteten Zuhause.

Bei dem handelt es sich um ein betagtes Hausmeisterhäuschen auf dem Gelände des Veringshofs direkt am Veringkanal. Vermieter ist die Sprinkenhof GmbH, die dort stellvertretend für die Stadt einen von insgesamt 13 Gewerbehöfen betreibt.

Nachbarn sind Gewerbe- und Handwerksunternehmen

Das Haus der mittlerweile vierköpfigen Familie, gebaut um 1932, befindet sich am Rande des u-förmig angelegten Geländes. Ihre Nachbarn sind viele kleinere und mittlere Handwerksunternehmen und Dienstleister, die hier günstig Flächen anmieten können.

Für eine Familie mit kleinen Kindern nicht wirklich eine ideale Umgebung, oder? „Uns stört das nicht“, betonen Kerstin und Jost Esser-Vitt. Schule und Kita seien fußläufig erreichbar – und das Haus mit der Gewerbefläche im Erdgeschoss eigne sich perfekt, um ihre Idee von einer Art Pension umzusetzen.

Im Kinderzimmer geht es fröhlich zu. Die Wände wurden von einer Künstlerin aus dem Stadtteil gestaltet.
Im Kinderzimmer geht es fröhlich zu. Die Wände wurden von einer Künstlerin aus dem Stadtteil gestaltet. © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

„Wir bieten im Erdgeschoss, wo früher eine Werkstatt war, in der Woche einen Mittagstisch an. Und jeweils donnerstags und freitags lege ich – oder ein befreundeter DJ – Musik auf“, erzählt Jost Vitt. Später werde ich seine umfangreiche Plattensammlung im Wohnzimmer entdecken, und er wird mir die kleine „Minibar“ im Erdgeschoss zeigen.

Musik ertönt an zwei Tagen aus der Minibar

Die ist längst für viele in der Nachbarschaft zu einer Art Geheimtipp geworden. Welche Musik wird dort aufgelegt? „Das ist nicht an ein Genre gebunden“, sagt der 40-Jährige und hebt dabei – Simsalabim – den oberen Teil der Theke hoch: Darunter kommen zwei Plattenspieler zum Vorschein. Sehr plietsch!

Unversehens sieht man sich lächeln. Erinnerungen werden wach. Man fühlt sich geerdet in diesem Raum, in dem liebevolle Kreativität und der Wunsch, aus wenig mehr zu machen, spürbar wird. Tische, Sitzgelegenheiten sowie der Tresen wurden beispielsweise aus Holzplatten gefertigt, aus denen auch Bierzeltgarnituren entstehen.

Ein Teil der Minibar im Erdgeschoss, wo regelmäßig Musik vom Plattenteller gespielt wird.
Ein Teil der Minibar im Erdgeschoss, wo regelmäßig Musik vom Plattenteller gespielt wird. © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Und auch oben in der Wohnetage der Familie wird ein bunter Mix von Einrichtungsgegenständen sichtbar, der Retrocharme verbreitet. „Wir umgeben uns gern mit Möbeln oder Gegenständen der 60er-Jahre“, bestätigt das Paar.

Unterm Dach werden Betten vermietet

Von allem können sich Gäste überzeugen, die für wenige Euro pro Nacht eines der beiden Zimmer im Dachgeschoss mieten. Die junge Familie betreibt nämlich eine von Hamburgs ungewöhnlichsten und zugleich kleinsten Pensionen – zu der gehören neben weiteren Betten (beispielsweise in einem Baumhaus oder auf einem Schiff) auch die beiden Übernachtungsmöglichkeiten unter dem Dach.

Die Betten sind dabei in fröhlichem Gelb gehalten und mit sehr anlehnfreundlichen Kopfteilen ausgestattet. „Sie wurden nach unseren Wünschen von dem Hamburger Studio Plietsch entworfen“, erzählt Kerstin Esser-Vitt.

Familienanschluss ist damit zumindest im Veringhof inklusive. Der Slogan „Inselpension – Our Hamburg is your island“ ist damit sehr treffend. Dabei kommt das Paar noch nicht mal aus dem Norden, sondern aus dem Rheinland. „Stimmt. Wir haben an der Uni Siegen Raum- und Stadtplanung studiert“, bestätigt Jost Vitt.

IBA: Messe brachte das Paar in den Norden

Die Internationale Bauausstellung in Wilhelmsburg habe sie nach Hamburg geführt. „Als absehbar wurde, dass dort die Arbeit endet, habe ich den Tipp bekommen, dass es auf dem Veringhof ein Haus gibt, das schon seit Jahren leer steht“, erzählt der 40-Jährige.

Für ihn schloss sich damit der Kreis. „Denn ganz am Anfang meiner Hamburger Zeit habe ich hier auf dem Hof gearbeitet“ – und schon da geisterte bei dem Paar die Idee im Kopf, so etwas wie das Pixel Hotel in Linz aufzubauen.

Das hat sich einen Namen gemacht mit ungewöhnlichen Übernachtungsmöglichkeiten in der Stadt. Dann sind also alle Träume in Wilhelmsburg wahr geworden?

Nicht ganz. Das Paar träumt davon, das betagte Häuschen auf dem quirligen Betriebsgelände kaufen zu können. „Dann würden wir sehr viel mehr noch in das Haus investieren“, sagt es.

Keine Chance auf einen Kauf des Hauses

Viele Arbeiten müssten eigentlich gemacht werden – angefangen von der Dämmung der Fassade bis hin zur Dacheindeckung. „Die war eigentlich auch schon angekündigt worden“, erzählt Kerstin Esser-Vitt. „Wie schade, dass wir weiter zum Himmel heizen.“

Das Haus gehört der Sprinkenhof. Es steht auf dem Gewerbehof, wurde 1932 gebaut.
Das Haus gehört der Sprinkenhof. Es steht auf dem Gewerbehof, wurde 1932 gebaut. © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Die Rückfrage bei der Sprinkenhof GmbH zeigt: Die Chance auf Kauf der Immobilie ist gleich null. „Das Haus aus dem Gewerbehof herauszulösen, geht nicht“, teilt Sprecher Lars Vieten mit.

Dabei fügt er hinzu, dass dieses Mietverhältnis auf einem Gewerberaummietvertrag gründet und die Familie dort zu günstigen Konditionen wohnen könnte (10,54 Euro/m² brutto-kalt). Wenn Arbeiten am Objekt notwendig seien, würden die auch erfolgen, verspricht er, fügt aber sofort hinzu: „Nach Rücksprache mit Kollegen befindet sich das Objekt in einem seiner Baualtersklasse entsprechenden Zustand. Es besteht kein dringender Sanierungsbedarf.“

Das Miteinander ist spürbar im Viertel

Sei’s drum: Familie Esser-Vitt hat so oder so ihren Platz gefunden, wie es scheint. Dass direkt nebenan eine Flüchtlingsunterkunft entstanden ist, ist Kerstin Esser-Vitt, die früher in Wolfsburg ein Soziale-Stadt-Projekt betreut hat, „maximal egal“.

Worauf es ankomme, sei das Miteinander. „Und das wird hier gelebt.“ Dann sagt sie etwas, was hängen bleibt: „Wilhelmsburg und Superlative – das muss man sowieso nicht unbedingt zusammenfügen.“

Gibt es etwas, was sich das Paar für das Quartier wünscht? „Dass es wieder eine Fährverbindung zwischen der Ernst-August-Schleuse und den Landungsbrücken gibt.“ Dafür hätten sich viele Menschen auch eingesetzt, leider hätte eine Petition mit 6000 Unterschriften keinen Erfolg gehabt. „Dabei könnte man mit der Fähre in nur 15 Minuten in die Hamburger City gelangen.“

Zukunft des Veringkanals ist vielversprechend

Vielleicht würden dann auch noch mehr Hamburger zumindest den „Hüpfer“ in den Hamburger Süden wagen, um dort die grünen Ecken und Wasserlagen zu erkunden.

Viele führen dort noch ein Schattendasein – auch der Ve­ringkanal, für den sich viele Menschen im Quartier wünschen, dass er noch mehr zu einem kulturellen Ort wird.

„Die Veranstaltung dazu war neulich in der Zinnschmelze gut besucht“, erzählt Kerstin Esser-Vitt. Dort sei deutlich geworden, dass es viele Menschen gäbe, die ihre Ideen am Veringkanal verwirklichen wollten. „Es liegen jetzt alle Hoffnung bei der Kreativgesellschaft, die ein Konzept erstellen soll.“