Hamburg. Immer mehr Wohnanlagen in Hamburg zielen auf eine Zielgruppe ab, die nicht zahlungskräftig erscheint. Mieten beginnen dort bei 525 Euro.

Eigentlich hatte Simon Gleißner ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft gesucht. Doch im Internet hat der 19-jährige Student der Wirtschaftspsychologie vom hessischen Lampertheim aus vergeblich gesucht. „Oft habe ich auf meine Bewerbung nicht einmal eine Antwort erhalten“, sagt er. Doch die Zeit drängte für Gleißner, der nach zwei Semestern in Düsseldorf nach Hamburg an die private Hochschule European Business College (EBC) wechselt.

Zu seinem Glück stieß er auf eine Anzeige, dass in Wilhelmsburg das neue Studentenwohnhaus Woody mit 371 Ein-Zimmer-Apartments gebaut wurde – Hamburgs größtes in Modulbauweise errichtete Holzhaus. Hier fand er, was er suchte: ein 20 Quadratmeter großes Zimmer mit Schreibtisch, Einbauschrank, Bett, Kochecke und Bad. Alles für 525 Euro. Die Preise im Woody liegen zwischen 525 und 625 Euro, die 60 rollstuhlgerechten Apartments sind teurer. Die 19-jährige Praktikantin Hannah Kettler, die ihm die Besonderheiten des Woody erklärte, suchte ebenfalls lange ein Zimmer – allerdings in München. „Ich habe schließlich ein WG-Zimmer übers Internet gefunden, allerdings ist es ziemlich kostspielig.“

Laut Auswertung kostet ein WG-Zimmer derzeit 430 Euro

Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) werden in Hamburg für Studentenwohnungen aktuell zehn bis elf Euro pro Quadratmeter verlangt – mit steigender Tendenz. Das Moses Mendelssohn Institut kommt in einer Auswertung gemeinsam mit dem Portal wg-gesucht.de auf einen Preis von derzeit 430 Euro für ein WG-Zimmer.

Wie Simon Gleißner und Hannah Kettler geht es jedes Jahr Tausenden Studenten in Deutschland – in Hamburg sind es um die 10.000 Erstsemester. Sie suchen eine bezahlbare Bleibe. Es ist ein Glücksspiel, wie die 23-jährige Laura Niehren, Studentin der Erziehungswissenschaften, weiß. Sie hat 2014 mit viel Glück ein Zimmer in einem Studierendenwohnheim am Borgweg gefunden. „Ich habe mich damals drei Monate vor Semesterbeginn von Dachau aus beim Studierendenwerk beworben und alles auf dies Karte gesetzt.“

Sie hatte Glück, weil kurzfristig ein Zimmer am Borgweg frei geworden war. „Ein Zufall, ich hatte mich schon damit abgefunden, zunächst einen Monat auf einem Campingplatz zu wohnen und mich gleichzeitig um ein Zimmer zur Kurzzeitmiete beim Studierendenwerk zu bewerben. Mir war signalisiert worden, dass im November ein Zimmer frei werden würde.“

In Wilhelmsburg und auf der Veddel keine Zimmer frei

Auch in diesem Herbst stehen für Studenten, die noch keine Unterkunft gefunden haben, für 15 Euro pro Nacht Übernachtungsmöglichkeiten in einer Wohnanlage des Studierendenwerks zur Verfügung. Rund 1400 bis 1600 Studenten bewerben sich vor Semesterbeginn für ein Zimmer in einer der 23 Wohnanlagen der Einrichtung. Die verfügt über 3950 Zimmer zu Mieten von 233 bis 355 Euro.

Der Luxus ist mitunter überschaubar. „Wir teilen uns auf unserem Flur das Bad“, sagt Laura Niehren. „Aber wir sind eine gute Gemeinschaft und treffen uns oft.“ Zu den Anlaufstellen für zimmersuchende Studenten gehört in Hamburg auch das städtische Wohnungsunternehmen Saga, das auf der Veddel und in Mümmelmannsberg in Zusammenarbeit mit der Hamburgischen Investitions- und Förderbank und der Stadt Hamburg geförderte Studenten- und Azubiwohnungen mit zwei bis vier Zimmern für Wohngemeinschaften anbietet. Hier können Studenten für maximal 210 Euro ein Zimmer finden – wenn eines frei ist. Das Programm ist so beliebt, dass die Saga auf ihrer Internetseite mit Ausrufezeichen darauf hinweist, dass in Wilhelmsburg und auf der Veddel keine Zimmer mehr frei sind. „Sie können nach Beendigung der Ausbildung oder des Studiums behalten werden“, sagt Saga-Sprecher Gunnar Gläser. „Allerdings entfällt dann die Förderung, und es muss die reguläre Miete und Kaution gezahlt werden.“ Bewerben kann man sich um eine solche Wohnung nur als Wohngemeinschaft, da keine einzelnen Zimmer vermietet werden. Es wird dann mit jedem einzelnen Mieter ein Vertrag abgeschlossen.

Immobilienwirtschaft hat Marktsegment entdeckt

Mit 4,5 Prozent Anteil an der Hamburger Mieterschaft sind die Studenten in der Hansestadt eine kleine, in der Regel wenig zahlungskräftige Gruppe und damit als Marktteilnehmer wenig interessant. Dennoch hat die Immobilienwirtschaft sie als Marktsegment für sich entdeckt. Neue Studierendenwohnanlagen wie das Woody, gebaut von der Senectus GmbH und der Primus Developments GmbH, oder die Mikro-Apartments The Fizz, wie sie die International Campus AG für Studenten in Altona und in der Hamburger Innenstadt plant, erweitern das Wohnangebot, zielen aber auf eine Studentenschicht, die es sich erlauben kann, höhere Mieten zu zahlen.

Einige dieser Anlagen sind ausdrücklich mit dem Zusatz „Luxus“ versehen. Diese Mikro-Apartments stoßen auch auf Kritik. „Die Studierenden werden als ‚Asset-Klasse‘ begriffen“, rügt Jürgen Allemeyer, Geschäftsführer des Studierendenwerks Hamburgs. „Der Bau von neuen Wohnanlagen durch private Anbieter mit hochpreisigen Mieten könnte eine Mietdynamik fortsetzen, die das Niveau allgemein überproportional ansteigen lässt.“

Studenten aus dem Ausland mieten ohne Besichtigung

Andreas Boberski vom Zinshausteam & Kenbo sieht im Bau dieser Wohnanlagen nur ein vorübergehendes Phänomen: „Noch vor vier, fünf Jahren hat sich niemand an das Thema studentisches Wohnen herangewagt. Inzwischen entstehen überall solche Wohnanlagen. Keine Frage, der Bedarf ist da, außerdem sind die Margen sehr viel spannender als im klassischen Wohnungsbau. Man kann kleinere Einheiten bauen und diese deutlich teurer vermieten.“ Aber mittlerweile seien Spitzenrenditen für diese Art von Immobilien erreicht, und es gebe nur noch wenig Fantasie nach oben.

Torsten Rieckmann, Geschäftsführer der Senectus GmbH und Bauherr des Woody, gibt sich optimistischer. Die Nachfrage sei groß, insbesondere aus dem Ausland hätten sich viele Studenten gemeldet und gemietet, ohne die Wohnungen selbst besichtigt zu haben. „Am meisten interessiert die Studenten, wie schnell sie ihre Uni erreichen können und ob eine ausreichende Internetleistung gewährleistet ist.“