Hamburg. Schauen Mitbewohner und Vermieter weg, kann das geahndet werden. Experten raten zu helfen und Behörden sowie Angehörige zu informieren.

Die alte Nachbarin scheint körperlich topfit zu sein. Sie kauft alleine ein und trägt die Tüten ohne Mühe bis in den zweiten Stock. Nur ihre geistigen Fähigkeiten scheinen nachzulassen: Schon einige Male hat sie geklingelt, weil sie sich ausgesperrt hat, oder sie stand vor der Tür, weil sie ihre Bluse nicht zubekam – sie trug noch ihr Nachthemd darunter. Das sind typische Anzeichen einer Demenzerkrankung. Meistens erkennen Nachbarn an diesen Anzeichen überhaupt erst, dass ein Mitbewohner geistig stark abbaut.

Was sollte man also in solchen Fällen tun? „Den auffälligen Nachbarn ansprechen, Hilfe und Unterstützung anbieten – besser keine Vorwürfe machen“, empfiehlt Saskia Weiß von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Außerdem sollte bei allein lebenden Menschen die Familie auf das merkwürdige Verhalten des Angehörigen angesprochen werden. Zudem gilt es, die Vermieter zu informieren.

Sozialpsychiatrischer ist ein möglicher Anpsrechpartner

Auf sie können in solchen Fällen gleich mehrere Probleme zukommen. Sie müssen zum einen ihre Mieter beruhigen und zum anderen versuchen, Abhilfe zu schaffen, indem sie mit dem dementen Hausbewohner reden. Ein drittes Problem spricht Gerold Happ vom Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland an: Demente Mieter zahlen irgendwann möglicherweise keine Miete mehr, weil sie ihre Geld- und Bankdinge nicht mehr Griff haben.

Gerold Happ rät Vermietern, „den Mieter möglichst in der Lebensführung zu unterstützen, wenn man ihn gut kennt und vielleicht sogar mit ihm im gleichen Haus wohnt“. Klappt das nicht, sollten Angehörige oder Behörden eingeschaltet werden. Zuständig ist der Sozialpsychiatrische Dienst der jeweiligen Kommune. „Nur dieser darf von sich aus Kontakt zum Erkrankten aufnehmen, und er kann rechtliche Betreuung anregen“, sagt Saskia Weiß.

Polizei und Feuerwehr dürfen die Tür aufbrechen

Mieter wie Vermieter sind zur Hilfe verpflichtet, wenn ihnen auffällt, dass ein Hausbewohner abgemagert, verwahrlost und offensichtlich verwirrt herumläuft. Wer einfach wegsieht, riskiert, wegen unterlassener Hilfeleistung belangt zu werden. Im Notfall dürfen Vermieter von sich aus nicht in die Wohnung des Demenzkranken; es sei denn, dieser hat ihnen oder einem Nachbarn Schlüssel gegeben. Polizei und Feuerwehr haben das Recht, die Tür aufzubrechen.

Bei diesem Thema stellt sich auch die Frage: Wo sind die Grenzen des Erträglichen erreicht? Hier gibt es keine festen Regeln. Im Zusammenleben mit Demenzkranken „ist ein gesteigertes Maß an Rücksichtnahme und Toleranz gefordert“, sagt Beate Heilmann von der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Für die Expertin folgt daraus, dass Nachbarn „Defizite ihres Mitbewohners in gewissen Grenzen ertragen müssen“. Der Verlauf dieser Grenzen komme jeweils auf die Situation an.

Höhe der Mietminderung hängt vom Einzelfall ab

Überschritten werden sie nach Einschätzung von Heilmann, wenn Nachbarn jede Nacht um ihren Schlaf gebracht werden. Etwa, weil in der Wohnung über ihnen jemand ständig auf- und abläuft, die Möbel rutscht oder singend durchs Haus geistert. Das Maß des Ertragbaren sei auch bei Bedrohungen und Beschimpfungen erreicht.

„Nachbarn haben die Möglichkeit, von ihrem Vermieter zu verlangen, dass er dafür sorgt, dass Beeinträchtigungen unterbleiben“, sagt Ulrich Ropertz, vom Deutschen Mieterbund (DMB). Zu den Beeinträchtigungen gehört zum Beispiel Ruhestörung. Rein rechtlich betrachtet sind dies Mängel, die es dem Mieter erlauben, die Miete zu mindern, und die der Vermieter zu beseitigen hat – auch wenn er den Mangel nicht verschuldet hat. Vom menschlichen Schicksal abgesehen gehe es „um einen Instandsetzungsanspruch, vergleichbar dem tropfenden Wasserhahn“, sagt Beate Heilmann. Die Höhe der Mietminderung hänge vom Einzelfall ab.

Vermieter dürfen dem Demenzkranken im schlimmsten Fall die Wohnung kündigen. Voraussetzung ist aber, dass sein Verhalten für die anderen Hausbewohner unzumutbar ist und es Beschwerden gibt. Für den Rauswurf spielt es keine Rolle, dass der demente Mensch für sein Verhalten gar nichts kann, wie Heilmann erläutert. Allerdings ist grundsätzlich vor der Kündigung mindestens eine Abmahnung fällig. Solche Schreiben sollten dann an den gesetzlichen Betreuer geschickt werden, sofern es einen gibt.