400 Kadaver wurden von Tiermedizinern untersucht. Jeder vierte Greif war an dem Schwermetall verendet - aus Schrotkörnern oder Geschosssplittern.

Als bedrohte Tierart darf der Seeadler in Deutschland nicht bejagt werden - den bleiernen Kugeln der Jäger erliegt er dennoch. Sein Tod ist kläglich und langwierig: Die scharfen Augen erblinden, aus dem grandiosen Flieger wird ein torkelnder Greif, der verhungert. "Eine solche Bleivergiftung ist in einem Viertel der Fälle die Ursache für den Tod von Seeadlern", sagt der Tiermediziner Oliver Krone vom Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, das zur Leibniz-Gemeinschaft gehört. Dies habe die Untersuchung von rund 400 in den vergangenen Jahren verendeten Tieren ergeben.

Die Greifvögel fressen die feinen Munitionsteile mit, wenn sie angeschossene Vögel schlagen. Zum Verhängnis werden ihnen aber hauptsächlich die Organe erlegter Wildtiere, die von Jägern zurückgelassen werden. Vor allem im Winter, wenn die Adler Schwierigkeiten haben, Beute zu machen, werden sie zu Aasfressern. "In den Überresten geschossenen Wildes stecken oft Schrotkörner oder Geschosssplitter", erklärt Krone. "Und die bestehen überwiegend aus Blei." Das Schwermetall wird von der Säure im Magen der Vögel aufgelöst und gelangt über die Blutbahn in die Organe. Bei größeren Mengen sterbe das Tier binnen drei bis vier Tagen, bei chronischen Vergiftungen mit kleineren Mengen könne der Todeskampf zwei bis drei Wochen dauern. Betroffen seien nicht nur Seeadler, sondern auch andere aasfressende Greifvögel. "Steinadler, Mäusebussarde, Rohrweihen und Rotmilane zum Beispiel."

Säugetiere wie Wildschweine und Jagdhunde seien weniger empfindlich. "Vom Menschen mal abgesehen", sagt Krone. Bei Kindern verursachten bereits zehn Mikrogramm Blei nachhaltige Hirnschädigungen. "Das ist die Splitterecke eines Schrotkügelchens." Auch vergeblich verschossene Munition birgt Gefahrenpotenzial: "In saurem Milieu kann sich das Blei amerikanischen Untersuchungen zufolge teilweise auflösen und sickert ins Grundwasser", erklärt Roland Zieschank von der Forschungsstelle für Umweltpolitik (FFU) an der Freien Universität Berlin. Er ist Partner in einem von Tiermediziner Oliver Krone geleiteten Verbundprojekt zu Bleivergiftungen bei Seeadlern, das auch Jägerschaft, Munitionsindustrie, Natur- und Artenschutz sowie staatliche Stellen einbezieht. "Wir reden da nicht über ein Randproblem", betont Zieschank. "In Deutschland werden Schätzungen zufolge jährlich mehr als 120 000 Kilo Schrot und Büchsenmunition verschossen." Ungefähr 340 000 Jäger seien registriert. "Bleifrei muss die Schrotmunition in den meisten Bundesländern nur an Gewässerflächen sein, weil Wasservögel die Kügelchen als Magensteinchen schlucken und sich so vergiften", erklärt Krone. Umweltverbände fordern seit Jahren ein Verbot der Bleimunition. Auch der International Council for Game and Wildlife-Conservation (CIC) sieht Handlungsbedarf. Die Menge des aufgenommenen Bleis bei terrestrischen Vögeln steige beständig. "Altbatterien will man ja auch nicht im Wald haben", sagt Zieschank. "Die Befunde zu den Vergiftungsursachen von Greifvögeln sind klar. Die Frage ist jetzt, wie man damit umgeht." Bleifrei tanken ist längst selbstverständlich, bleifrei trinken dank neuer Wasserrohre ebenso. Auch die Elektronikindustrie verwendet das giftige Schwermetall kaum mehr. Deutsche Polizisten schießen weitgehend bleifrei. "Beim Militär wird das wahrscheinlich auch demnächst kommen", sagt Matthias Vogel, Marketing-Direktor beim Schweizer Munitionshersteller RUAG Ammotec. Im deutschen Jagdwesen allerdings scheint eine Lösung nicht in Sicht. Im Sommer wurde ein Modellprojekt mit bleifreier Munition in Brandenburg abgebrochen, nachdem ein Jäger von einem Querschläger verletzt wurde. Munition ohne das Schwermetall sei nicht sicher genug, sagt Wolfgang Bethe, Präsident des Landesjagdverbandes Brandenburg. "Bleihaltige Geschosse drücken sich am Baum breit und verlieren so Energie." Teilweise kämen die Geschosse im spitzen Winkel in Richtung des Schützen zurückgeflogen. Der Landesjagdverband empfehle deshalb, auf bleifreie Geschosse zu verzichten. Ohnehin sei die Toxizität möglicher Ersatzstoffe nicht geklärt. Bethe: "Da wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben." Fraglich sei auch, ob bleifreie Geschosse ebenso sicher töteten. Viele Untersuchungen seien noch nötig, sagt Bethe, bevor die Jäger Alternativen erwögen.