Satellitenbilder der Uno dokumentieren, wie rasant viele Millionen-Metropolen wachsen. Die Folgen: Naturzerstörung, Wassermangel, Armut.

Hamburg. Klaus Töpfer muß nur vor die Tür treten, um eines der drängendsten Probleme der Menschheit vor Augen zu haben: das explosionsartige und unkontrollierte Wachstum von Millionenstädten, vor allem in Entwicklungsländern. Töpfer, früher deutscher Umweltminister und seit 1998 Chef des Uno-Umweltprogramms (United Nations Environment Programme/Unep), hat seinen Dienstsitz in Nairobi, der Hauptstadt Kenias. Dort lebten 1963 noch 350 000 Menschen, heute sind es mehr als drei Millionen.

Nairobi steht beispielhaft für die Folgen: Etwa 60 Prozent der Einwohner leben in Slums oder illegal errichteten Siedlungen. Bis zu 400 Menschen müssen sich eine Toilette teilen. Dies beeinträchtigt nicht nur die Würde der Betroffenen, sondern birgt auch große Gesundheits- und Umweltrisiken. Im November 2000 vereinbarten die kenianische Regierung und die Uno ein Programm zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Slums. "Die Schlacht um eine nachhaltige Entwicklung, die eine stabilere Umwelt und ein gesünderes Lebensumfeld ermöglicht, wird vor allem in den Städten gewonnen oder verloren", sagt Töpfer.

Ob Nairobi, Kairo, Delhi oder Peking - die Bilder ähneln sich: Ein schier endloser Strom aus Autos, Motorrädern, Bussen und dreirädrigen Motorrollern drängt sich durch enge Straßenschluchten. Bettler hocken an Kantsteinen. Staubige, unebene Gehwege stehen in großem Kontrast zu dem klinisch sauberen Geschäftsviertel ein paar Blocks entfernt.

Schon heute leben etwa drei Milliarden Menschen in Städten. Im Jahr 2030 werden es nach Schätzungen von Unep fünf Milliarden sein. Städte wirken wie riesige, raumgreifende Organismen. Wie sehr Millionenstädte ins Umland wuchern, dokumentieren Satellitenaufnahmen, die die Unep in ihrem neuen Atlas mit dem Titel "Ein Planet, viele Menschen" veröffentlicht hat. Aber Städte fressen nicht nur Fläche, sie ziehen große Mengen an Trinkwasser, Lebensmittel, Holz, Metall und Baustoffen an und stoßen große Mengen an Abfall, Abwässern und Luftschadstoffen aus. Obwohl Städte nur etwa zwei Prozent der Landfläche der Erde einnehmen, verbrauchen sie gut drei Viertel der Ressourcen.

Das rasante Wachstum der Städte führt zu mehr Armut und mehr Arbeitslosigkeit, zur Überlastung der städtischen Infrastrukturen, fehlendem Zugang zu Grund und Boden, Einkommen und Wohnraum. "Die Armut ist eine der wichtigsten Ursachen für die Zerstörung der städtischen Umwelt", betont die Unep. Sie schätzt, daß etwa ein Viertel aller Städter unterhalb der Armutsgrenze lebt, ihr Einkommen also weniger als ein Dollar pro Tag beträgt.

Bereits heute gibt es weltweit 18 Megacitys, Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. Tendenz steigend. Angesichts solcher Größenordnungen reduziert sich das Leitbild für Hamburg zu einer "wachsenden Kleinstadt". Allein neun Megacitys liegen in Asien.

Einer der Shooting-Stars ist Peking mit derzeit 14 Millionen Einwohnern, darunter drei Millionen Zugereiste, die ihren dauerhaften Wohnort nicht in der Stadt haben. Nach einem 1993 verabschiedeten städtischen Entwicklungsplan sollte Peking erst 2040 die 14-Millionen-Grenze erreicht haben. Angesichts des dramatischen Zuwachses soll die jährliche Wachstumsrate von derzeit 2,5 Prozent auf 1,4 Prozent gesenkt werden, um die Lebensbedingungen erträglich zu halten.

Ein großes Problem ist in Peking die Wasserversorgung: Umgerechnet auf jeden Einwohner betragen die Wasserressourcen jährlich nur 300 Kubikmeter (m3) - Gebiete, bei denen der Wert unterhalb von 1700 m3 liegt, gelten international als wassermangelgefährdet. Zum Vergleich: In Europa verbrauchen Haushalte, Landwirtschaft und Industrie 1280 m3 pro Jahr und Kopf der Bevölkerung.

Ein zweites Problem ist der anschwellende Autoverkehr. Derzeit sind in Chinas Hauptstadt gut 2,2 Millionen Kraftfahrzeuge gemeldet - ursprünglich war ein Bestand von 1,3 Millionen Fahrzeugen für 2010 anvisiert. Um die Stadt zu entlasten, sollen in den Außenbezirken elf neue Städte wachsen, die nicht nur Wohnraum, sondern auch Standorte für die Industrie des expandierenden Chinas bieten.

Ein ähnliches Konzept verfolgt London, mit knapp 7,5 Millionen Einwohnern die größte europäische Metropole. Jährlich kommen gut 50 000 Menschen hinzu. Beim Spagat zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Verbesserung der Lebensbedingungen in der Stadt entstand das Konzept der "dezentralen Konzentration": Bestehende Subzentren sollen gestärkt werden. Auch wurden regionale Entwicklungskorridore festgelegt, zum Beispiel entlang der Themse.

Die neuen Siedlungsschwerpunkte sollen angesichts der stark gestiegenen Wohnungspreise vor allem günstigen Wohnraum schaffen. Zur Entlastung der Innenstadt verlangt London für Fahrzeuge mit weniger als neun Sitzplätzen seit zwei Jahren "Eintritt". Die Fahrer müssen tagsüber fünf Pfund (7,50 Euro) zahlen, um in die City zu gelangen.

Städte werden oftmals als Parasiten charakterisiert, die von den Erzeugnissen und Rohstoffen leben, die sie ihrem Umland oder ferneren Orten entziehen. Der kanadische Wirtschaftswissenschaftler William Rees hat den "ökologischen Fußabdruck" von Städten berechnet, also die Landfläche, die bewirtschaftet oder zerstört wird, um eine Stadt zu versorgen. Für das 170 000 Hektar große London errechnete er einen Wert von sage und schreibe 21 Millionen Hektar.