Sie benutzen Drähte und Stöckchen als Werkzeug und finden auf Anhieb Walnüsse wieder, die sie verbuddelt haben - auch noch Wochen später unter einer dichten Schneedecke.

An Eleganz mangele es den Rabenvögeln, auch können sie weder klettern noch schwimmen - und aus ihren Kehlen kommt nur Gekrächze, auch wenn sie mit den Nachtigallen näher verwandt sind als mit Hühnern und Tauben. Eines aber einigt die Mitglieder der oft verkannten Familie: "Intelligenz, das ist ihre gemeinsame Stärke! Eine 'rabenschwarze Intelligenz'!", schwärmt Prof. Josef Reichholf. Sie seien die Primaten der Lüfte.

Der international renommierte Zoologe hatte schon als Kind eine zahme Dohle, und mit ihr entwickelte sich seine Begeisterung für die Rabenvögel, die sein neues Buch durchzieht - und mit vielen Vorurteilen aufräumt.

Beispielsweise, dass alle Raben gleich aussehen. Das gelte nur für den Blick des Menschen, nicht aber für die Raben. "Ein Schwarm, bestehend aus einem Dutzend oder mehr schwarzer Krähen, ist kein ungeordneter Haufen, sondern eine Gesellschaft, in der jeder Vogel jeden anderen kennt und einschätzen kann. Feinste Nuancen, vor allem am und ums Auge, liegen dem persönlichen Kennen zugrunde", schreibt Reichholf.

Die Schwarzgefiederten vermögen auch dem Blick eines Artgenossen zu folgen und einzuschätzen, ob er etwas sieht, was für sie interessant sein könnte. Sogar die menschlichen Blicke und Gesten können sie entschlüsseln, wie kürzlich erst britische Zoologen in der Fachzeitschrift "Current Biology" berichteten.

Mit diesem Verhalten toppen Dohlen sogar Schimpansen und Hunde, die uns unsere Gedanken eben nicht von den Augen ablesen oder menschliche Gesten für ihre Zwecke deuten können.

So ließen sich die Dohlen von einem Wechsel der Blickrichtung und einen Fingerzeig leiten, um schnell einen versteckten Leckerbissen zu finden. Im Verstecken von Futter sind die Rabenvögel übrigens spitze. Wilde Raben wissen ja nie, wann sie wieder Futter bekommen - aber sie wissen, dass es im Winter wenig zu futtern gibt. Also legen sie Vorräte an. Sie versteckten Walnüsse, wie Reichholf auf dem Gelände der Zoologischen Staatssammlung München beobachten konnte.

Dazu gruben sie auf einer offenen Rasenfläche zahlreiche fünf bis zehn Zentimeter tiefe Löcher, versenkten in ihnen Nüsse und deckten diese - nachdem sie sich mit einem schnellen Blick versichert hatten, dass keiner sie beobachtete - mit Moos zu.

Später fiel Schnee auf die Fläche, und die Löcher waren nicht mehr zu erkennen. Doch dann geschah etwas schier Unglaubliches. "Die Krähen landeten auf der frischen Schneedecke, machten ein paar Schritte, bückten sich, bohrten ein Loch durch den zehn bis 15 Zentimeter hohen Schnee - und holten punktgenau die Walnuss aus dem Versteck." Anscheinend haben die Vögel eine detaillierte Karte ihres Territoriums im Kopf, von der Menschen nur träumen können. "Der Mensch würde an der Aufgabe sicher scheitern, im September ein paar Dutzend Walnüsse auf einer freien Wiesenfläche zu verstecken und sie dann im Dezember wieder zu suchen - mit Schnee wie ohne", kommentiert Reichholf, der noch etwas entdeckte: Die Vögel lagerten nur essbare Nüsse ein. Offenbar achten sie schon bei der Auswahl darauf, dass sie nur gesunde Nüsse verstecken. Sie müssen sie "gewogen" haben, denn nur die schweren garantieren viel Inhalt.

Und die weisen Raben - die germanische Mythologie ist voller Geschichten über sie - sind auch Meister im Gebrauch von Werkzeugen. In München warfen Rabenkrähen aus zehn bis fünfzehn Meter Höhe Walnüsse zielgenau auf gepflasterte Innenhöfe, wo sie zersprangen. Die Krähen landeten in aller Ruhe und pickten die eiweißreiche Nahrung aus der Schale heraus. In den vergangenen Jahren beobachtete Reichholf, dass die Rabenkrähen die Nüsse aus geringerer Höhe auf stark befahrene Straßen warfen, vorzugsweise an Kreuzungen mit Ampeln. Fuhren die Autos los, zerquetschten sie die Nüsse. Die Vögel warteten die nächste Ampelphase ab und sammelten schnell die verwertbaren Reste ein. Dass Krähen zum Knacken der Nüsse Autos benutzen, "war bislang nur aus Japan bekannt, wo in Tokio die dickschnäbligen Haus- und Dschungelkrähen so vorgehen und Weltruhm mit ihrer Cleverness erlangten", notiert Reichholf.

Die beeindruckendsten Kunststücke vollbringen die Krähen aus Neukaledonien (Ozeanien). Sie sind wahre Meister im Herstellen von Werkzeugen. Sei verbiegen gezielt Drähte oder bearbeiten Stöcke, um an Nahrung zu gelangen. Und auf ihre Werkzeuge geben sie gut Acht.

Wer die Raben genauer kennenlernt, weiß, dass wir Menschen die Intelligenz nicht für uns allein reservieren können.


"Rabenschwarze Intelligenz", Josef H. Reichholf, Herbig, 253 S., 19,95 Euro.