Männer, die über 1,95 Meter sind, leben mit einem 3,3-fach höheren Risiko, Hodenkrebs zu bekommen.

Wer größer als der Durchschnitt ist, lebt mit beneidenswerten Vorteilen. Denn die Statistik ist aufseiten der langen Menschen: Wer groß ist, verdient mehr und ist erfolgreicher im Beruf als jene, die um Kopfeslänge überragt werden. Und große Menschen leiden zum Beispiel seltener unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Doch es gibt eine bislang unentdeckte Kehrseite für jene, die mit einem stattlichen Gardemaß beeindrucken - zumindest für die Männer. "Wer größer als 1,95 Meter ist, lebt mit einem 3,3-fach höheren Risiko, an Hodenkrebs zu erkranken", sagt Prof. Dr. Klaus-Peter Dieckmann (57), Chef-Urologe im Albertinen-Krankenhaus in Hamburg-Schnelsen.

Hinter dieser Feststellung steckt weit mehr als eine Laune der Statistik. Der Mediziner und sein Team haben bei ihrer weltweit größten Studie zu diesem Thema das für Laien überraschende Ergebnis sogar erwartet.

Im Kern ihrer Untersuchung ging es dabei um die Frage: Warum leiden in den westlichen Wohlstandsländern auffällig mehr junge Männer an Hodenkrebs als zum Beispiel Gleichaltrige in Asien, in Afrika oder Südamerika, "wo Hodenkrebs praktisch nicht vorkommt", so Dieckmann.

Da war es naheliegend, die Unterschiede in der Ernährung, etwa zwischen Japanern und Westeuropäern, als einen möglichen Auslöser für Hodenkrebs in Betracht zu ziehen. Und tatsächlich hatten frühere Studien gezeigt, dass überall dort, wo Menschen reichlich Käse und Milch verzehren, auch auffällig mehr Männer unter Hodenkrebs leiden.

Doch gesicherte Daten über die Essgewohnheiten von Menschen zu bekommen ist unter wissenschaftlichen Aspekten höchst problematisch. Deshalb sannen Dieckmann und sein Team auf einen "methodischen Trick".

"Wer sich hochwertig ernährt und die genetische Veranlagung zu einem Gardemaß in sich trägt, erreicht auch deutlich mehr Körpergröße", sagt der Mediziner aus dem Albertinen-Krankenhaus in Schnelsen.

Die These der Hamburger Wissenschaftler: Wenn eine hochkalorische Ernährung in der frühkindlichen Phase einen späteren Hodenkrebs begünstigt, dann müssten die Hodenkrebs-Patienten tendenziell auch größer sein als gleichaltrige Geschlechtsgenossen sonst.

Der Einfluss der Ernährung auf die Körpergröße funktioniert jedoch nur in den ersten zwei bis drei Lebensjahren. Danach beeinflusse eine reichhaltige Ernährung nur noch das Körpervolumen, aber nicht mehr das Längenwachstum, ergänzt Prof. Dieckmann.

Wie aber kann man das wissenschaftlich überprüfen?

Die erste Schwierigkeit: Hodenkrebs ist eine seltene Erkrankung, trotz des erschreckend ansteigenden Trends der vergangenen Jahre.

4700 Neuerkrankungen sind es derzeit bundesweit im Jahr. 3500 waren es noch vor gut drei Jahren. Das bedeutet aber auch: Keine Klinik hat so viele Patienten, dass sich mit deren Daten gesicherte Erkenntnisse gewinnen lassen.

Deshalb beschafften sich Dieckmann und sein Team die Angaben aus rund 200 Krankenhäusern und konnten schließlich 6415 Fälle aus vier Jahren auswerten - ein Rekord bei Studien zu dieser seltenen Erkrankung.

Die Körpergröße wird in den Kliniken standardmäßig erfasst, weil sie neben dem Gewicht zum Beispiel bei operativen Eingriffen auch bedeutsam für die Dosierung des Narkosemittels ist.

Um Daten über die Körpergröße gesunder gleichaltriger Männer zu bekommen, die sich für einen direkten Vergleich eignen, wurden außerdem die Werte von 38 490 Rekruten mit identischen Geburtsdaten herangezogen. Diese stellte das Institut für Wehrmedizinalstatistik in Andernach zur Verfügung.

Das Ergebnis bestätigte die These der Medizinforscher überraschend eindeutig: Nur Männer mit einer Körpergröße von 1,75 Meter bis 1,79 Meter leben mit dem statistisch zu erwartenden Normalrisiko (Wert 1,0). Bei einer Größe unter 1,70 Meter sinkt dieses Risiko sogar, an Hodenkrebs zu erkranken (auf 0,764). Auffällig ist dann dieser Wert: Mit dem höchsten Risiko, Hodenkrebs zu bekommen, leben junge Männer, die größer sind als 1,95 Meter (3,322-fach erhöht).

Dennoch warnt Dieckmann auch übergroße Männer vor unberechtigten Ängsten. "Kein Großwüchsiger muss nun befürchten, bald an Hodenkrebs zu erkranken." Denn trotz eines erhöhten Risikos bliebe die Zahl der Erkrankungen insgesamt so gering, dass sich etwa Reihenuntersuchungen nicht rechtfertigen ließen. Zumal dieser Krebs in der Regel erst erkennbar sei, wenn sich auch typische Symptome einstellten: vergrößerte Hoden oder fühlbare Knoten. Dennoch liefere die Studie hochinteressante Ergebnisse auf dem Weg, die Ursachen von Hodenkrebs weiter zu erforschen.

Festzuhalten sei: Eine reichhaltige Ernährung im frühen Kindesalter kann zur Hodenkrebsentstehung beitragen. Dazu passt eine andere Beobachtung: Im Zweiten Weltkrieg sank die Zahl der Erkrankten.

Doch in der Ernährung sieht der Medizinprofessor nur ein Puzzlestück bei der Entstehung des bösartigen Tumors. Er glaubt, bereits während der Entwicklung des Embryos im Mutterleib werde eine Weiche in Richtung der späteren Erkrankung gestellt, und zwar durch "hormonelle Verschiebungen bei der Mutter". Ein Mehr an Östrogenen könnten im Hoden zu den Vorstufen des Krebses führen, gefördert dann durch eine "gute" Ernährung. Und die wiederum würde auch erklären, warum Deutschland neben Dänemark die höchste Häufigkeit bei Hodenkrebs hat.

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