Schizophrenie: Mit der Körpersprache Freude ausdrücken. Bei schizophrenen Patienten arbeiten die Hirnareale, die für Wahrnehmung und den Ausdruck von Gefühlen zuständig sind, nicht richtig. Im “Theaterprojekt“ sollen diese Fähigkeiten erlernt werden.

Die rothaarige junge Frau steht in einem großen lichtdurchfluteten Raum. Sie strahlt über das ganze Gesicht und hat die Arme weit ausgebreitet. Sieben Augenpaare nehmen ihre Haltung kritisch unter die Lupe und beurteilen, wie sie ihre Aufgabe erfüllt hat: mit Gesicht und Körpersprache Freude ausdrücken. Was zunächst anmutet wie die Probestunde einer Theatergruppe, spielt in Wirklichkeit in der Altonaer Tagesklinik der Psychiatrischen Abteilung des Asklepios Westklinikums Rissen. In einem neuen Forschungsprojekt üben hier Patienten, die an Schizophrenie erkrankt sind, ihre Gefühle auszudrücken.

Der Hintergrund: "Bei der Schizophrenie gibt es eine Form, die schleichend beginnt und vor allem dadurch gekennzeichnet ist, daß die Patienten immer weniger Gefühle empfinden und ausdrücken können, immer weniger Interessen pflegen und sich aus dem sozialen Leben zurückziehen", sagt Stefan Berg, Diplom-Psychologe in der Tagesklinik. Aber auch bei der anderen Form der Schizophrenie, die meist plötzlich mit Halluzinationen und Denkstörungen beginnt, die nach einiger Zeit wieder abklingen, können solche Störungen des Gefühlslebens auftreten. Diese können die Kommunikation mit anderen Menschen erheblich beeinträchtigen und zu Problemen am Arbeitsplatz und in der Familie führen "Wenn solche Patienten ihre eigenen Gefühle nicht wahrnehmen, können sie in Gesprächen mit anderen auch nicht erkennen, wie ihr Gegenüber sich gerade fühlt. Das heißt, sie spüren auch nicht, ob jemand es gut mit ihnen meint oder gerade wütend auf sie ist. Und auf der anderen Seite kann der Gesprächspartner am Gesicht des Schizophrenen nicht erkennen, welche Gefühle seine Worte in dem anderen auslösen. Die Ursache dieses Phänomens ist, daß bei schizophrenen Patienten bestimmte Hirnareale, die für die Wahrnehmung und den Ausdruck von Gefühlen zuständig sind, nicht richtig arbeiten", erklärt Berg.

In dem Theaterprojekt in Altona sollen die Patienten diese Fähigkeit jetzt ganz vorsichtig und unter Anleitung wieder lernen.

Wie genau das funktioniert, erklärt die Theatertherapeutin Regina Haeger: "Die Patienten müssen drei unterschiedliche Stufen bewältigen. Der erste Schritt: Anhand vorgegebener Fotos sollen sie in Mimik und Körpersprache das Gefühl Freude in unterschiedlicher Stärke nachahmen." Das reicht von einem zarten Lächeln bis hin zu heller Begeisterung, die den ganzen Körper erfaßt. "Dabei gehen wir in kleinen Schritten vor, das heißt: In einer Sitzung von eineinhalb Stunden wird nur an Stufe eins, dem ersten Ausdruck von Freude mit der Mimik, gearbeitet", erläutert die Theatertherapeutin. Dabei sollen die Patienten ein Gespür dafür bekommen, was in ihrem Gesicht vor sich geht, wenn sie dieses Gefühl spielen. In den nächsten Stufen geht es dann darum, wie der gesamte Körper mit dem Gefühl der Freude in Verbindung gebracht wird. "Das Ziel ist, Übereinstimmung von Mimik und Gestik zu erreichen." Dabei arbeiten die acht Mitglieder der Gruppe paarweise zusammen und korrigieren sich gegenseitig. Wenn sie das Gefühl haben, ihre Darstellung ist rund und stimmig, präsentieren sie diese allein vor der gesamten Gruppe. Im zweiten Schritt lernen die Patienten das Gefühl am lebendigen Modell: "Das bedeutet, ich stelle mich auf die Bühne und spiele ihnen Freudestufe eins vor. Sie schauen sich diese Vorgabe an und gehen dann auf die Bühne und ahmen sie nach."

Das klingt zunächst wie eine Trockenübung, bei der Freude mechanisch dargestellt wird, ohne daß dabei wirklich ein Gefühl im Spiel ist. Doch mit dieser Strategie wollen die Therapeuten verhindern, daß die Patienten von eigenen Gefühlen und Erinnerungen aus der Vergangenheit überwältigt werden und dann den Boden unter den Füßen verlieren. "Wenn sie sich in kleinen mechanistischen Schritten langsam an das Gefühl herantrauen, entsteht auch Freude. Und über das Handeln zum Gefühl zu gelangen ist für sie weniger gefährlich", erklärt Haeger.

Nach diesem Grundsatz funktioniert dann auch die dritte Stufe, das Rollenspiel: "Die Patienten bekommen die Aufgabe, eine andere Person darzustellen, die Freude empfindet. Dabei besteht nicht die Gefahr, daß eigene Gefühle und Erinnerungen zu sehr in den Vordergrund treten", betont Haeger. "Das hilft ihnen dabei, Gefühle so zu dosieren, daß sie erträglich bleiben. Durch diese vorsichtige Annäherung können die Patienten auch in ihrem Alltag sich wieder mehr den eigenen Gefühlen zuwenden und auf die der anderen achten", ergänzt Berg. Nach jeder Sitzung reden die Gruppenmitglieder darüber, wie sie diese Übungen empfunden haben.

Gestartet wurde das Forschungsprojekt zu Beginn des Jahres. Jetzt arbeiten die Therapeuten bereits mit der zweiten Gruppe. "Jede weitere Gruppe wird acht Wochen nach diesem Konzept arbeiten mit jeweils einer Sitzung von eineinhalb Stunden pro Woche", sagt Haeger. In der ersten Sitzung werden die Teilnehmer in das Konzept eingeführt. Dann werden in jeweils drei Sitzungen das Gefühl Freude und in weiteren drei das Gefühl Trauer geübt. In der letzten Sitzung sollen dann die Teilnehmer jedes dieser Gefühle in einem kleinen Rollenspiel darstellen.

"Unser Ziel ist es, mit diesen Übungen die betroffenen Hirnareale wieder in einen Gleichklang zu bringen und so den Patienten wieder zu einem besseren Gespür für sich selbst zu verhelfen", erklärt Berg.

Prof. Michael Sadre-Chirazi-Stark, Chefarzt der Psychiatrie am Asklepios Westklinikum Rissen, hat diesen Forschungsansatz "Theatertherapie" zusammen mit Dr. Volkmar Sippel aus Krakau in Polen mitgebracht, wo schon seit 20 Jahren mit dieser Methode gearbeitet wird. "Wir wollen zeigen, daß dies auch hier bei uns funktioniert und unsere Patienten davon profitieren. Uns interessiert dabei auch, welche der Medikamente, die unsere Patienten als Rückfallschutz einnehmen, besonders das emotionale Gespür fördern und trotzdem Schutz vor emotionaler Überlastung bieten."

Wer an einer Schizophrenie leidet und an diesem Projekt teilnehmen möchte, kann sich unter Tel. 398 60 20 melden und dort weitere Informationen erhalten.