Wissenschaftler können bereits gezielt Geschwister schaffen, die als eine Art menschliches Ersatzteillager dienen. Wie kam es dazu? Und was heißt das ethisch?

Der erste Mensch nach Maß heißt Adam. Er kam im August 2000 im US-Bundesstaat Colorado zur Welt. Adam Nash ist das Kind der Synthese aus moderner Reproduktionsmedizin und Gentechnik, geschaffen, um seiner sechs Jahre älteren Schwester Molly das Leben zu retten. Kurz nach seiner Geburt zogen Ärzte das Blut aus seiner Nabelschnur, um daraus Stammzellen zu isolieren. Diese erhielt Molly, die an einer erblichen Form von Anämie litt und nicht genügend Knochenmarkzellen bilden konnte, einen Monat später. Das rettete ihr das Leben. Seitdem sind weitere Adams entstanden. Jetzt ist es in Großbritannien auch gesetzlich erlaubt, ein Baby künstlich zu zeugen und als Ersatzteillager zu selektieren.

Der Einstieg in dieses neue Zeitalter der menschlichen Fortpflanzung begann 1978, dem Geburtsjahr von Louise Brown. Erstmals wurden menschliche Embryonen in ihrem frühesten Entwicklungsstadium außerhalb des weiblichen Körpers zugänglich. Zunächst sollte mit den Retortenbabys, für die Fortpflanzungsmediziner im Labor Ei- und Samenzellen künstlich verschmolzen, nur unfruchtbaren Paaren geholfen werden. Heute wissen wir: Mit Louise Brown begann das Zeitalter der alten Mütter, der Leihmütter, der Eizellspenderinnen, der Stammzellforschung und der Embryonenforschung. Und mit der frühen Selektion künstlich gezeugter Embryonen mit modernen Gentests begann 1990 das Zeitalter der Embryonen-Selektion, das Zeitalter von Adam.

Bei der Präimplantationsdiagnostik wird meist am dritten Tag nach der künstlichen Befruchtung eine Zelle des Embryos entnommen (Blastomerbiopsie). Der Embryo besteht dann aus vier oder acht Zellen. Nach der Entnahme der Zelle wird das Genom gentechnisch durchleuchtet.

So wurde Adam Nash aus 15 Embryonen, die im Labor hergestellt worden waren, ausgewählt und seiner Mutter eingesetzt. Die anderen 14 Embryonen fielen durch, nicht weil sie krank waren, sondern weil sie nicht die genetische Ausstattung hatten, um der kleinen Molly zu helfen.

"Das Prinzip finde ich ethisch vertretbar, sofern mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass ein Kinderwunsch besteht, die Eltern den Einsatz der Technik wünschen und eine unabhängige Kommission jeden Einzelfall prüft und erlaubt", sagt Professor Klaus Diedrich, Direktor der Uni-Frauenklinik Lübeck und ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Noch ist es in Deutschland verboten, in der Petri-Schale hergestellte Embryonen auf ihre genetische Qualität zu überprüfen. "Das ist auch richtig so. Ein Kind als Ersatzteillager auszuwählen verstößt gegen die Menschenwürde des Kindes", urteilt Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Hamburger Ärztekammer. Er sorgt sich auch um die psychische Gesundheit des Kindes. Was passiert, wenn das Kind erfährt, dass es nur geboren wurde, weil es genetisch passte? Zwar werden auch schon jetzt Kinder geboren, die nur den Egoismus ihrer Eltern erfüllen sollen. Doch diesem Schicksal können sie entkommen. Der britische Beschluss öffnet hingegen die Tür zum zweckdienlichen Kunstkind, das mit diesem Schicksal leben muss.

"Das ist eine völlig neue Dimension, weil die Kinder nicht um ihrer selbst willen gezeugt werden", sagt Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Kinder- und Jugendpsychosomatik am Uniklinikum Eppendorf. "Damit werden ethische Grenzen überschritten, die nicht überschritten werden sollten."

Nun ist Großbritannien erfahren in Tabubrüchen, jedenfalls aus kontinentaler Sicht. Doch im angelsächsischen Raum wird das kaum jemand so sehen. Denn in der dortigen Denktradition bestimmen vielfach Nützlichkeitsabwägungen die Entscheidungen. Der "Vater" des Utilitarismus (vom lateinischen Utilitas, übersetzt Nutzen), der englische Philosoph und Jurist Jeremy Bentham (1748-1832), formulierte als Handlungsprinzip: Jene Handlung müsse als ethisch wertvollste beurteilt werden, die das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl der Menschen erziele. Das Prinzip der uneingeschränkten Menschenwürde ist mit dem Ansatz unvereinbar. "Sobald wir ein Prinzip als unverletzlich ansehen, kehren wir der Moral den Rücken zu", kommentiert denn auch der bekannte Bioethiker John Harris (Manchester).

Einmal mehr zeigt sich, dass in Europa dringend eine ethische Debatte geführt werden muss.


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