Das bundesweit erste Schülerlabor für Geisteswissenschaften gibt es in Berlin. Hamburger Forscher wollen das Experiment kopieren. Was passiert dort?

Die Schüler staunten, dass sich Wissenschaftler ihr ganzes Forscherleben lang mit den Werken eines einzigen Autors befassen können", schmunzelt Dr. Yvonne Pauly, Initiatorin des bundesweit ersten "Schülerlabors Geisteswissenschaften". Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) hatte zu diesem Experiment eingeladen, die Nachfrage war groß - und der Erfolg steckt offenbar an. "Wir wollen im Jahr der Geisteswissenschaften auch ein Schülerlabor anbieten", kündigt Professor Heimo Reinitzer, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, im Gespräch mit dem Abendblatt an. Denn dieses Schülerlabor eröffnet Schülern die Möglichkeit, Arbeitsformen der Geisteswissenschaftler kennenzulernen und zu erproben. Doch was geschieht da?

In den Naturwissenschaften werden Schülerlabore seit Jahren angeboten. Bundesweit gibt es mehr als 170. Auch das Berliner Programm, das die fünf bis zwanzig Schüler binnen eines halben Tages im Gebäude der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften absolvieren, setzt auf experimentelles Arbeiten - wie in jedem anderen Labor auch. "Alle Aufgaben, die wir stellten, stellen sich auch im Berufsalltag von Sprachwissenschaftlern", betont Pauly. Dabei sollten die Schüler möglichst eigenständig herausfinden, wie Geisteswissenschaftler arbeiten. Gegenstand der Experimente vergangenes Jahr waren das Leben und Werk von Karl Philipp Moritz. "Ich wollte den Schülern den Autor nahebringen, den Johann Wolfgang von Goethe liebevoll als seinen ,kleinen Bruder' bezeichnete, der die erste psychologische Zeitschrift in Deutschland begründete, als Lehrer in Berlin wirkte und Mitglied der Akademie war", so Pauly, die an der kritischen Gesamtausgabe seines Werkes arbeitet. Eine ideale Gelegenheit für die Schüler, aus erster Hand auch mehr über den Berufsalltag einer Sprachwissenschaftlerin zu erfahren.

Zum Aufwärmen mussten die Schüler die Eckdaten des Lebenslaufs von Moritz notieren; zuvor hatte Pauly eine Einführung in sein Leben vorgelesen. Damit erarbeiteten sich die Oberstufenschüler die Basis, um zu verstehen, warum Moritz' Romane, wie beispielsweise "Anton Reiser", Leser bis heute faszinieren.

Das nächste Experiment: Die Schüler sollten einen Originaltext aus dem 18. Jahrhundert entziffern - der auch in der damals üblichen Rechtschreibung verfasst war - und in eine moderne Version übertragen. Es war ein Text, den auch Pauly noch nicht abschließend bearbeitet hatte. "Vor allem die dritte Aufgabe, einen textkritischen Kommentar zu verfassen, war eine Herausforderung", erinnert sich Pauly. Einige der Schüler hätten nach dem Vormittag eingeräumt, dass ihnen der Deutschunterricht an der Schule schon Spaß mache, aber dass sie sich nicht vorstellen könnten, als Sprachwissenschaftler zu arbeiten. "Vielleicht konnte ich ihnen den Schock ersparen, den ich erlitt, als ich an die Universität kam. So wissenschaftlich hatte ich mir mein Studium nicht vorgestellt", erinnert sich Pauly.

Die Berliner wollen ihr Projekt, das der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft mit 30 000 Euro fördert, auch dieses Jahr fortsetzen. Außerdem wollen sie das Themenspektrum erweitern. Geplant sind Schülerlabore zur Arbeit am Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, am Digitalen Wörterbuch oder am Goethe-Wörterbuch - alles Forschungsvorhaben der BBAW. So werden die Schüler nebenbei auch mehr über die Arbeit dieser ehrwürdigen Akademie erfahren.

Die Akademie im Internet: www.bbaw.de