Kernenergie: Rußland will damit Nachteile an Land umgehen. Kleinreaktoren auf Schiffen sollen marode Öl-Kraftwerke im Norden des Landes ersetzen. Präsident Putin plant, den Anteil des Stroms aus Atomenergie von 17 auf rund 25 Prozent zu steigern.

Bisher spülten vor allem Gas und Öl Devisen in die Kassen Rußlands, in Zukunft soll auch die Atomenergie die Wirtschaft des Landes stärken. Das vermuten jedenfalls Rußlandkenner nach der Ankündigung des russischen Kraftwerkbetreibers Rosenergoatom, im Hafen von Sewerodwinsk an der Küste des Weißen Meeres im Nordwesten des riesigen Landes bald ein schwimmendes Atomkraftwerk zu bauen.

Ausgerüstet mit zwei relativ kleinen Kernreaktoren mit einer elektrischen Leistung von zusammen 70 Megawatt, soll das Kraftwerk einen Militärhafen mit Strom versorgen, in dem russische Atom-Unterseeboote auf Kiel gelegt werden. Reaktoren in ähnlicher Bauart treiben seit vielen Jahren bereits russische Atomeisbrecher an.

Präsident Wladimir Putin hat ohnehin angekündigt, die Atomenergie im Lande weiter auszubauen. Heute liefern 31 Kernreaktoren 16 bis 17 Prozent des elektrischen Stroms für das Riesenreich, in Zukunft soll dieser Anteil auf 25 Prozent gesteigert werden.

Für den geplanten Vormarsch der Kernenergie bieten sich vor allem die Städte im hohen Norden des Landes an. Sie stöhnen schon heute unter den hohen Kosten für den Transport von Kohle, Gas oder Öl. Oft genug verhindern zudem extreme Wetterbedingungen die Lieferung von Brennstoff.

Das schwimmende Kernkraftwerk dagegen soll nur alle drei Jahre wenige Tonnen Uran als Brennstoff benötigen, diese können leicht auch im Sommer angeliefert werden.

Obendrein sind viele Ölkraftwerke im Norden Rußlands veraltet und marode. Natürlich könnte Rußland als Ersatz auch Mini-Kernkraftwerke an Land bauen. Das aber könne relativ aufwendig sein, erklärt Heinz-Peter Butz von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln: Im Einzelfall muß der Standort zum Beispiel auf Erdbebengefahren und Probleme mit dem Grundwasser oder mit dem Dauerfrostboden durchleuchtet werden. Auf dem Meer dagegen würden solche Vorarbeiten weitgehend entfallen. Obendrein stehen den technischen Anlagen im Meer praktisch unerschöpfliche Kühlwassermengen zur Verfügung.

Damit kann es zwar auch Probleme geben. Das mußten zum Beispiel die Atom-Ingenieure der DDR erfahren. Als sie ihre Kernkraftwerksblöcke in Greifswald mit dem salzigen Wasser der Ostsee kühlten, kämpften sie zunächst mit erheblicher Korrosion, weil die aggressive Flüssigkeit die Bauteile sehr rasch angriff. Durch unempfindlicheren Stahl oder Entsalzen des Wassers aber bekommt man solche Probleme rasch in den Griff, zeigten die DDR-Experten schon vor der Wende.

Erheblich größere Gefahren aber sieht die Umweltschutzorganisation Greenpeace in der Bauweise an sich. Werden die Mini-Kernkraftwerke in einem Schiff oder auf einem schwimmenden Ponton installiert, kann der Reaktor bei einer Kollision oder bei einem Feuer leicht beschädigt werden. Unter Umständen könnten dann große Mengen radioaktiver Substanzen direkt ins Meer gelangen und würden sich von dort wohl über große Entfernungen verteilen.

Die russischen Ingenieure kontern solche Bedenken mit einem aufwendigen Sicherheitskonzept: Dicke Stahlplatten ummanteln die modifizierten Leichtwasserreaktoren vom Typ KLT-40S, die seit vielen Jahren auf Atomeisbrechern laufen. Sie sollen ein Austreten von Radioaktivität verhindern. Fünf verschiedene Sicherheitssysteme können den Reaktor bei Störfällen abschalten, drei Systeme sorgen für die Kühlung.

Eine Doppelwandkonstruktion mit zahlreichen Sicherheitsschotten und Luftkammern soll das 140 Meter lange und 30 Meter breite Energieschiff unsinkbar machen. Trotzdem aber bleibt, wie bei jeder Technik, ein sogenanntes Restrisiko, das sich auf dem Meer naturgemäß schwieriger beherrschen läßt als an Land.

Rußland hat trotzdem gute Gründe, schwimmende Kernkraftwerke zu bauen. So lassen sich die Reaktoren samt Kontrollräumen und Sicherheitseinrichtungen in einer Werft relativ problemlos in Schiffe einbauen oder auf Pontons installieren. Von dort schleppt man die schwimmenden Atomkraftwerke dann zu ihrem Einsatzort, an dem sie an Land nur mit erheblich größeren Schwierigkeiten gebaut werden könnten. Stromleitungen an Land lassen sich dann einfach verlegen. Ebenso Heizungsrohre. Wenn der erste schwimmende Reaktor 2010 für umgerechnet knapp 300 Millionen Euro fertiggestellt ist, soll er nämlich auch die 200 000 Einwohner zählende Stadt Sewerodwinsk mit Fernwärme versorgen.

Insgesamt gibt es im Norden und Osten Rußlands Bedarf für rund 20 solcher Mini-Atomkraftwerke, die gut fünf Prozent der Leistung eines großen deutschen Kernreaktors bringen, berichtet die russische Zeitung "Iswestija". Einen Markt für solche schwimmenden Nuklearmeiler aber sehen die Russen keineswegs nur in ihrem Heimatland, sondern auch in den Wüstenländern der Erde. Dort könnte der Strom eines solchen Atomschiffs 240 Millionen Liter Meerwasser entsalzen und in Trinkwasser für eine Million Menschen verwandeln.

Der Clou an der Geschichte: Auch wenn ein solcher Atomreaktor vor der Küste des Iran oder von Saudi-Arabien, Indonesien oder den Philippinen liegt, verletzt Rußland den Atomwaffensperrvertrag nicht, wenn russische Experten das Kraftwerk betreiben und das Energieschiff nur geleast wird. Solche Exportchancen dürften einen weiteren triftigen Grund für den Bau der schwimmenden Atomreaktoren liefern.