Wissenschaft 2006: In Berlin wurde das Jahr der Informatik eröffnet. Ob im Handy, Internet, Auto oder in der Medizin: Jeder von uns nutzt die Informatik - meist unbewußt.

Was ist Ihnen heute an Informatik begegnet?" "Keine Ahnung damit kenn' ich mich nicht aus. Mein Sohn beschäftigt sich mit Computern . . ." Der kurze Taxifahrer-Test, den Professor Joachim Treusch auf dem Weg durch Berlin machte, brachte es einmal mehr an den Tag: Jeder nutzt die Informatik, aber keiner weiß es.

Der Chef des Forschungszentrums Jülich und Vorsitzende der Initiative Wissenschaft im Dialog war in missionarischer Mission unterwegs in Berlin. Der Professor erklärte dem Taxifahrer, was alles an Informatik in seinem Funkwecker werkelt. Er schilderte, wie Software dafür sorgt, daß nicht der Nachbar am Bankautomaten das Geld des Taxifahrers abholt und was an Informatik alles in seinem GPS-Navigationssystemen und im MP3-Player arbeitet. Der Professor war auf dem Weg, das Wissenschaftsjahr 2006 zu eröffnen - das "Informatikjahr".

Das Wissenschaftsjahr begann also eigentlich im Taxi - unbeachtet von der Öffentlichkeit. Das paßt zur unsichtbaren Wissenschaft der Informatik, die mit zahlreichen Veranstaltungen im Laufe des Jahres ein wenig sichtbarer gemacht werden soll. Ganz anders als der offizielle, feierliche Auftakt am Berliner Alexanderplatz mit Sekt, leckeren Häppchen und feierlichen Reden.

"Die Informatik ist allgegenwärtig und prägt unseren Alltag", sagte Bundesbildungsministerin Annette Schavan in ihrer Eröffnungsrede. Die Beispiele reichen von Handy und Internet bis Antiblockiersystem im Auto und den Techniken der modernen Medizin. Ein Viertel der Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft, so Schavan, entfallen auf diesen Innovationsmotor. Rund ein Fünftel aller Patentanmeldungen fallen bereits heute auf die Informatik - Tendenz steigend. Und: "Mehr als die Hälfte der Industrieproduktion sowie mehr als 80 Prozent der deutschen Exporte hängen von der Informations- und Kommunikationstechnologie ab", sagte Annette Schavan. 2006 werde hier in Deutschland nach Auskunft des Branchenverbandes Bitkom ein Umsatz von 137 Milliarden Euro erreicht.

Bei der Informatik denken die meisten Menschen sofort an den PC und die großen Namen SAP, IBM, Microsoft oder Apple. "Das ist zwar richtig, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit - insbesondere in Deutschland", so die Forschungsministerin. Hier spiele sich ein bedeutender Teil der Informatik im Maschinen- und Anlagenbau ab - einem der wichtigsten Standbeine der deutschen Wirtschaft.

Das Informatikjahr ist nach dem Einsteinjahr 2005 das bereits siebte Wissenschaftsjahr. Das Wissenschaftsjahr 2006 wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit der Initiative Wissenschaft im Dialog, der Gesellschaft für Informatik sowie mehr als 100 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur veranstaltet. Aus Hamburg beteiligen sich unter anderem das Deutsche Elektronen-Synchrotron (Desy) und der Elektronikkonzern Philips. Das Forschungsministerium unterstützt das Wissenschaftsjahr mit 5,5 Millionen Euro.

Im Mittelpunkt steht das Ziel, die Neugier und das Interesse für die digitale Entwicklung in unserer Gesellschaft zu wecken. Im Verlauf des Jahres gibt es zentrale Veranstaltungen und zahlreiche bundesweite Aktionen (wie etwa der Tag der Technik oder die Rundreise eines Informatik-Informationsschiffes)

"Man fühlt sich als Informatiker schon etwas unsicher, wenn man hier so ganz ohne seinen Freund Powerpoint etwas erzählen soll", scherzte der Präsident der Gesellschaft für Informatik, Professor Matthias Jarke, in seinen Begrüßungsworten. Der gebürtige Hamburger, der im ersten Jahrgang des Informatik-Studiums an der Universität Hamburg studierte und heute an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen lehrt, will mit dem Informatikjahr auch etwas gegen die "zunehmende digitale Spaltung unserer Gesellschaft" tun. Der Umgang mit der Informationstechnologie, so Jarke, sei längst zur vierten Kulturtechnik geworden. Den Menschen, die diese Technik nicht beherrschen, wären immer größere Teile unseres modernen Lebens verschlossen.

"Eines der wichtigen Anliegen des Informatikjahres ist es, das Interesse der Mädchen in diesem Land zu wecken", sagte Prof. Jarke. "Nur zehn bis 15 Prozent der Informatikstudenten sind junge Frauen", bedauert der Präsident der Gesellschaft für Informatik, die bundesweit 25 000 Mitglieder hat. Professor Jarke fordert, bereits Kinder im Alter von zehn bis elf Jahren mehr über die Informatik zu informieren.

"Die Digitalisierung, also die Darstellung der Welt auf Basis von Nullen und Einsen, hat völlig neue Möglichkeiten zur Informationsverarbeitung geschaffen", sagt Informatik-Präsident Matthias Jarke.

Auf der Rückfahrt im ICE von Berlin nach Hamburg sind feierlichen Reden und Sekt wieder weit weg. Das Informatikjahr ist hier Alltag: Fast alle um mich herum hacken ihre Gedanken in ihre Notebooks hinein. Andere arbeiten eifrig ihre E-Mails am Blackberry ab. Die meisten Fahrkarten, die der Schaffner kontrolliert, wurden über das Internet gebucht und am PC ausgedruckt. Immer wieder klingelt ein Handy. Und wenn die Verbindung abreißt, wird sie hektisch wieder aufgebaut. Die Kommunikationstechnik muß doch schließlich funktionieren - auch wenn man sich letztlich nichts zu sagen hat.

Nur der graumelierte Herr mir gegenüber bleibt unbeirrt und still. Er liest tief versunken in seinem Buch.