Altertum: Wie der Transport der riesigen Obelisken auf dem Nil ablief. Ein Ingenieur aus Hamburg entdeckte das Geheimnis, wie Schiffe vor 3500 Jahren mehrere hundert Tonnen schwere Lasten verkraften konnten.

Kaum ein Thema bot Ägyptologen in der Vergangenheit soviel Raum für Spekulation wie die Frage, wie die alten Ägypter ihre riesigen Obelisken transportiert haben. Denn einige der kunstvoll gefertigten Granit-Riesen wogen mehrere hundert Tonnen. Wie wurden sie auf die Schiffe geladen? Und wie konnten die Schiffe überhaupt diese gewaltigen Lasten während der beschwerlichen Reisen auf dem Nil überstehen? Schließlich war es kein Ägyptologe, der diese Rätsel lüften sollte, sondern ein Hamburger Ingenieur: Dr. Ing. Armin Wirsching (72).

Der Ingenieur für Verkehrswesen und ehemalige Chef der Planung des öffentlichen Nahverkehrs bei der Hamburger Hochbahn hat sich in seinem Ruhestand seit 1998 mit der ägyptischen Kultur beschäftigt. 1999 veröffentlichte er seine Erkenntnisse über "Die Altägyptische Technologie zur Beförderung schwerer Steinlasten". Die alten Ägypter wären niemals, wie Transporteure heute, auf die Idee gekommen, die Obelisken für den Transport in Stücke zu schneiden. Wie aber haben sie die Granit-Riesen vor 3500 Jahren zu ihren Bestimmungsorten gebracht?.

Zunächst brachten ägyptische Transportschiffe die schwere Fracht von den Steinbrüchen bei Assuan mit der Strömung auf dem Nil zu den Tempeln und Pyramiden in den Norden. Nur drei Abbildungen dokumentieren solch einen Schwerlasttransport: eine Darstellung im Grab des Senedjem-Ib, eine im Tempel der Königin Hatschepsut und ein Relief am Aufweg zur Pyramide des Königs Unas in Saqqara. Das Relief zeigt mehrere Schiffe gleichen Typs, die je zwei Säulen geladen haben. Bisher nahmen Ägyptologen an, daß die Fracht auf dem Deck des Schiffes gelagert wurde. Doch Ingenieur Wirsching wählte eine andere Prämisse: "Sehr schwere Lasten konnten nur im Wasser hängend transportiert werden, wo der Auftrieb eine Gewichtsverringerung auf zwei Drittel bewirkte."

Nach seiner Theorie, die mittlerweile weithin anerkannt ist, wurden bis zu 80 Tonnen schwere Steine in einer Aufhängung zwischen zwei Schiffen knapp unter der Wasseroberfläche befördert: Zwischen beiden Schiffen bildete eine Lage Balken in Längsrichtung den sogenannten Tragbalken. Dieser ruhte auf mehreren Querbalken, die das Gewicht auf beide Schiffe übertrugen. Die Fracht wiederum befand sich auf einem Zugschlitten, der unter Wasser hing - befestigt mit Seilen am Tragbalken. Die Säulen konnten ohne einen Kran geladen werden: Dafür wurden beide Teilschiffe mit Ballast abgesenkt und über die im Wasser liegenden Säulen gezogen. Dann wurden die Säulen am Tragbalken befestigt, der Ballast wurde entfernt, die Schiffe schwammen auf und hoben die Säulen an.

Nachdem Wirsching die auf dem Relief aperspektivisch dargestellten Teile des Unas-Schiffes neu geordnet hatte, paßte alles ins Konzept. So stellen sich bislang nur unbefriedigend erklärte Balken an Bug und Heck als Verbindungsstücke dar, die ein Auseinanderdriften der Schiffe verhindern. Was bisher als umgelegter und daher bedeutungsloser Mast gedeutet wurde, entpuppte sich als Tragbalken zwischen den Schiffen.

Entsprechende Berechnungen ergaben aber, daß Doppelschiffe, wie das des Königs Unas, keine Obelisken tragen konnten. Diese erforderten mit einem Gewicht von bis zu 500 Tonnen eine erweiterte Konstruktion: ein Vierfach-Schiff. Zwei Doppelschiffe wurden mit schräggestellten, an den Enden verbundenen Querbalken, die ein giebelförmiges Tragwerk bildeten, zu einem großen Schiff verbunden. Solch ein Schiff dürfte das Obelisken-Schiff der Königin Hatschepsut gewesen sein, denn auf dem Bild im Tempel entdeckte Wirsching Einzelheiten, die sich nur mit seiner Theorie erklären lassen. Daß alle Darstellungen die Fracht an Deck zeigen, erklärt er so: "Die Bilder vom Transport hätten keinen repräsentativen Wert gehabt, wenn nichts zu sehen gewesen wäre."

Und so funktioniert der Obelisken-Transport heute: Fast 70 Jahre hatte man im ostafrikanischen Staat Äthiopien darauf gewartet, im April dieses Jahres war es soweit: Der 1937 von italienischen Truppen erbeutete "Obelisk von Aksum" wurde in einer spektakulären Transportaktion von Italien zurück nach Äthiopien gebracht. Etwa im dritten Jahrhundert n. Chr. erbaut, war der 24 Meter hohe und 160 Tonnen schwere Granit-Obelisk bis zu seinem Abtransport Teil einer Grabstätte in der nordäthiopischen Stadt Aksum.

Die schwergewichtige Trophäe mußte in mehreren Stücken auf dem Seeweg nach Italien geschafft werden. Selbst mit den heutigen Mitteln war für die Rückgabe ein Zerschneiden des Obelisken in drei Teile unumgänglich: Da der 1937 genutzte Seeweg wegen politischer Spannungen zwischen den Anrainerstaaten nicht offenstand, mußte der Luftweg gewählt werden. Zum Einsatz kam eine russische "Antonov-124" - eine von weltweit zwei Maschinen, die die jeweils 60 und 40 Tonnen schweren Teilstücke überhaupt transportieren können.

Mit seinen Untersuchungen hat sich der Hamburger Ingenieur in Ägyptologen-Kreisen einen Namen gemacht. Auch aktuell steht wieder ein Aufsatz vor der Veröffentlichung. Das Thema: "Techniken zum Aufrichten der Obelisken in Rom."