Fusionsreaktor: 250 Millionen Euro Projekt in Greifswald erforscht neue Energiequelle. In rätselhaften Metallformen soll das Sonnenfeuer auf die Erde geholt werden. Ein Besuch auf der Baustelle.

Unter dem futuristisch geschwungenen Dach des Max-Planck-Instituts (MPI) für Plasmaphysik in Greifswald bauen Ingenieure gegenwärtig eine 250 Millionen Euro teure Maschine. Sie steht noch nirgendwo auf diesem Globus. Dieses Unikat wird darüber entscheiden, wie die Energiezukunft der Erde aussieht. Denn im äußersten Nordosten Deutschlands werden seit einigen Wochen die ersten Bauteile der Fusionsanlage "Wendelstein 7-X" montiert. Sie soll gemeinsam mit dem Forschungsreaktor ITER in Frankreich (wir berichteten) helfen, einen gut 60 Jahre alten Traum der Physiker zu verwirklichen: Energie aus Kernfusion.

Vorbild ist die Sonne. In ihrem Innern verschmelzen - fusionieren - ständig Atomkerne und setzen dabei Energie frei. Das Sonnenfeuer wollen die Ingenieure auch auf der Erde entzünden, um den Energiehunger der wachsenden Weltbevölkerung ohne Kohle, Erdöl und Erdgas, ja auch ohne Kernspaltung zu stillen.

Schuhe wechseln, roten Helm mit Schriftzug "Besucher" aufsetzen - erst danach ist das Betreten der Montagehalle erlaubt. Der helle Boden glänzt, die Luft ist angenehm frisch. "Unsere Klimaanlage filtert Staub und Pollen heraus. Denn wir brauchen fast Reinraumqualität. Staubablagerungen auf den Oberflächen der Bauteile können später das ganze Experiment gefährden", erläutert Dr. Lutz Wegener, der die Montage von "Wendelstein 7-X" leitet. Nach der Fertigstellung 2010 oder 2012 wird die Fusionsanlage mit allem Zubehör 2300 Quadratmeter beanspruchen. 345 der rund 1000 Mitarbeiter des eigentlich in Garching bei München beheimateten Instituts arbeiten an diesem ehrgeizigen Forschungsvorhaben.

Es geht um viel. "Wendelstein 7-X" ist ein Schlüsselexperiment, um die Frage zu beantworten: Wie können die hohen Temperaturen erzeugt und gehalten werden, damit Atomkerne verschmelzen. Denn dafür müssen die Kerne mit großer Geschwindigkeit aufeinander treffen. Das schaffen sie nur bei Temperaturen von bis zu 100 Millionen Grad Celsius. Bei diesen Höllentemperaturen werden die Atome eines Gases in ihre Bestandteile - positiv geladene Atomkerne und negativ geladene Elektronen - aufgetrennt. Ein solches Gas wird als Plasma bezeichnet. Es ist der Brennstoff des Kernfusionsreaktors.

Allerdings ist das Plasma ein tückischer Brennstoff. Es reicht nicht, ihn in eine Brennkammer einzufüllen. Vielmehr muß er von einem gigantischen Magnetfeld, das 70 exotisch verdrillte Spulen erzeugen, in eine spezielle Form gezwungen werden. Nur in dieser, so errechneten Supercomputer aus einer gigantischen Menge an Daten, kann die Fusionsreaktion ablaufen. "Denn Verunreinigungen im Plasma oder Verformungen des Plasmas führen dazu, daß der Fusionsprozeß zusammenbricht", erläutert Dr. Wegener. Die Techniker und Ingenieure arbeiten deshalb mit größter Sorgfalt - geradeso als würden sie ein Flugzeug bauen.

Daran erinnert auch die Produktionsanlage in der Montagehalle. In zwei orangefarbenen Montageständen - die aussehen wie kleine Containerbrücken - können parallel jeweils ein halbes Modul der Brennkammer mit Spulen sowie einer Superisolation ausgerüstet werden. Dann werden die beiden Halbmodule zu einem Modul zusammengefügt. Insgesamt fünf Module ergeben dann schließlich "Wendelstein 7-X".

"Genauigkeit ist Trumpf. Jede der sechs Tonnen schweren Spulen muß millimetergenau über das Plasmagefäß, wie die Brennkammer heißt, gefädelt werden", sagt Wegener. Dafür haben die Ingenieure ein Werkzeug, die "Spulenauffädeleinheit (SAE)", entwickelt. Die Feinabstimmung müssen die Arbeiter von Hand vornehmen. Dabei hilft ihnen ein dreidimensionales Vermessungssystem: Ein Laser-Tracker mißt bestimmte Punkte an der Spule, schickt die ermittelten Daten an einen Rechner, der sofort überprüft, ob die Spule in der richtigen Position hängt.

Da die Spulen supraleitend sind, funktionieren sie nur bei minus 269 Grad Celsius - die Außenwand des Plasmagefäßes kann aber bis zu 150 Grad Celsius heiß werden. Um die Temperaturunterschiede zu erhalten, ist eine Superisolation nötig. Deshalb folgt auf die Außenhülle ein Zwischenraum, in dem die mit Helium gekühlten Spulen liegen, sieben pro Halbmodul. Sie werden von einer weiteren Isolationsschicht umhüllt. Aus dieser ragen jede Menge Anschlüsse heraus. "Noch hat das Außengefäß 300 Löcher, in die Meß- und Einfüllstutzen gesteckt werden können. Damit können wir den Innenraum des Plasmagefäßes erreichen und das Plasma beobachten. Ein richtiger Reaktor würde sehr viel weniger Stutzen und Meßgeräte haben", sagt Wegener. Gegenwärtig stockt die Produktion der Module. Die Lieferung der Spulen, die von einer Firmengruppe aus Deutschland und Italien beziehungsweise aus England gefertigt werden, verzögert sich.

Doch auch so haben die Forscher genug zu tun. In der Nebenhalle, wo später die Fusionsanlage aufgestellt wird, liegen armdicke, schwarz ummantelte Stromkabel. Die sternförmig angeordneten Kabelbündel sollen später die Spulen mit Strom versorgen - jede einzelne mit 18 000 Ampere. "Gegenwärtig testen wir, ob die Stromversorgung klappt. Das größte Problem ist, wie wir die großen Magnetfelder, die die Stromkabel erzeugen, im Griff behalten", sagt der Elektroingenieur. "Wenn das Experiment einmal läuft, sollten keine Fehler mehr auftreten, sonst wird es richtig teuer."

Deshalb werden alle Bauteile einer sorgfältigen Eingangskontrolle unterzogen, die Qualität der Arbeiten wird ständig überprüft. Die Ingenieure hier lernen bereits viel darüber, wie eine richtiges Kernfusionskraftwerk zusammen gebaut werden könnte, sagt Wegener, während wir die Helme absetzen und die Schuhe wechseln.