Wahrscheinlichkeit: Und es gibt ihn doch! Neue Erkenntnisse bestätigen, was Kinder, Eltern und Großeltern schon immer wußten: Eine nicht ganz ernstgemeinte Geschichte über den Gabenbringer und Bartträger.

Gibt es ihn, oder gibt es ihn nicht? Das fragen nicht nur Kinder jedes Jahr vor Weihnachten. Vor einigen Jahren erregten Publikationen Aufsehen, in denen behauptet wurde, es könne keinen Weihnachtsmann geben. Denn der Weihnachtsmann hätte 976,7 Bescherungen pro Sekunde zu erbringen. Dies könnte er nur erledigen, wenn er mit mindestens der 3000fachen Schallgeschwindigkeit - immerhin 0,33 Prozent der Lichtgeschwindigkeit - reisen würde. Und das wäre sein sicherer Tod. Noch bevor er das erste Kind beschenkt hätte, wäre er zermalmt von den Brems- beziehungsweise Anfahrtsbeschleunigungen, verglüht durch die Luftreibung. Dieses Problem ist in die Fachliteratur als das bekannte "Weihnachtsmann-Paradoxon" eingegangen.

Es hat nicht an Kritik prominenter Forschergruppen an dieser simplen Abschätzung gefehlt. Die Berechnungen sind durchweg klassisch, es werden keinerlei relativistische Effekte berücksichtigt und außerdem keine Quanteneffekte.

Nun haben neuere Rechnungen eines amerikanischen Forscherteams unter der Leitung von V. N. Achtsman und Chris T. Kindl starke Hinweise darauf ergeben, daß gerade Quanteneffekte die Existenz des Weihnachtsmannes nicht nur zulassen, sondern sogar zwingend erfordern!

Bereits im Jahre 1957 hatte Hugh M. Everett, der sich intensiv mit der Quantentheorie auseinandergesetzt hat, in seiner Dissertation die Theorie der Paralleluniversen vorgeschlagen. Sie postuliert eine unermeßlich große Anzahl von Universen (daher wird sie auch als Multiversentheorie oder Vielweltentheorie bezeichnet). Die sogenannten Paralleluniversen unterscheiden sich jeweils untereinander durch gewisse Details.

Im vergangenen Jahrzehnt gewann die Vielweltentheorie zunehmend das Interesse der Kosmologen, da sich immer mehr Beobachtungen mit dieser auf den ersten Blick recht bizarren Theorie vereinbaren lassen (weitere Ausführungen in "Spektrum der Wissenschaft", 8/2003, S.34-45).

Für unser Thema interessant ist die Tatsache, daß sich unter den vielen existierenden Paralleluniversen auch sehr viele Universen befinden müssen, in denen Weihnachten gefeiert wird und solche, in denen Weihnachtsmänner vorkommen. Es kann ebenso nicht ausgeschlossen werden, daß unter bestimmten Bedingungen in einzelnen Universen eine extrem große Anzahl von Weihnachtsmännern existiert. Weiterhin kann man sich leicht überlegen, daß es zahllose Universen geben muß, in denen zwar Weihnachtsmänner vorkommen, in denen aber Weihnachten nicht gefeiert wird. Andererseits gibt es keinerlei plausible Gründe dafür, daß Weihnachten in jedem Universum gleichzeitig stattfindet (abgesehen davon, daß seit Einstein der Begriff "Gleichzeitigkeit" äußerst vorsichtig zu handhaben ist).

Wir haben also die Situation, daß es einerseits in allen Weihnachtsmann-Universen Weihnachtsmänner gibt, daß aber ein großer Teil von ihnen schlicht arbeitslos ist und daß die anderen nur an einem einzigen Tag des Jahres arbeiten. Wir haben somit mehr als genug Weihnachtsmänner und das physikalische Problem, welches zum Weihnachtsmann-Paradoxon geführt hatte, ist somit beseitigt. Übrig bleibt nur ein Transportproblem: Wie bringt man den Weihnachtsmann, welcher in seinem Universum unterbeschäftigt ist, in ein Universum, in welchem gerade ein aktueller Weihnachtsmann-Bedarf besteht?

Auch das Transportproblem löst die Quantentheorie: Die Weihnachtsmänner werden "gebeamt". Seit einiger Zeit weiß man, daß man unter Ausnutzung des Einstein-Podolsky-Paradoxons vermittels geeigneter Quantenverschränkung (eben durch "Beamen") eine Wirkung beschleunigungsfrei und momentan übertragen kann. Unlängst gelang es einer Wiener Forschergruppe unter Leitung von Prof. Anton Zeilinger, Photonen durch die Wiener Kanalisation unter der Donau ohne Zeitverzögerung zu teleportieren (weiteres in "Spektrum der Wissenschaft", 11/2004, S. 14-15).

In einem Interview wies der bekannte Weihnachtsmannforscher Claus Santa darauf hin, daß sich hartnäckig Gerüchte hielten, wonach die Wiener Forschergruppe nunmehr ein Experiment plane, eine lebensgroße Weihnachtsmann-Attrappe durch die Teststrecke in der Wiener Kanalisation zu beamen. Das Experiment trage den Projektnamen "Der dritte Weihnachtsmann". Wenn dieses Experiment erfolgreich abgeschlossen sein wird - und kein Experte zweifelt daran, denn für den Physiker besteht zwischen einem Photon und einem Weihnachtsmann (abgesehen von der Größe) kein prinzipieller Unterschied - hat sich das Weihnachtsmann-Paradoxon nachweislich erledigt. Damit steht eindeutig fest: Es gibt den Weihnachtsmann.

Das ist noch nicht alles. Der hier vorgestellte Ansatz zur Lösung des Weihnachtsmann-Paradoxons hat noch weitere Vorteile. Die meisten erfordern zu ihrer Erläuterung das mathematische Gerüst der Quantentheorie und sollen hier nicht weiter vertieft werden. Daneben hat sich aber herausgestellt, daß zahlreiche, bislang unerklärbare Phänomene im Lichte dieser neuen Theorie einfach zu lösen sind.

Die Theorie erlaubt eine Antwort auf die Frage: Warum bekommt man zu Weihnachten nicht immer das, was man sich ausdrücklich gewünscht hat? Die Quantentheorie bietet eine einfache Lösung: Quantenzustände werden durch Wellenfunktionen beschrieben, und diese erlauben - nach der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation - nur Wahrscheinlichkeitsaussagen. Man wird also in Zukunft ganz analog wie in der Wettervorhersage von "Regenwahrscheinlichkeit" die Rede ist, "Geschenkwahrscheinlichkeiten" einführen müssen. Damit ist das Phänomen der unpassenden Geschenke zwar nicht beseitigt, aber plausibel erklärt - und der Umtausch nach Weihnachten gesichert.

Manchem älteren Beobachter des Weihnachtsmannes wird auch aufgefallen sein, daß dieser sein Äußeres im Laufe der Zeit dramatisch verändert hat. Während in Deutschland der "klassische" Weihnachtsmann in einem braunen Gewand auftrat, bei Bedarf auch Gebrauch von einer Rute machte und einen Pferdeschlitten benutzte, zieht der Weihnachtsmann heute ein rotes Gewand vor, verwendet keine Rute, und Rentiere ziehen seinen Schlitten. Frühere Hypothesen, nach denen der Farbwechsel des Weihnachtsmannes auf die allgemeine kosmische Rotverschiebung zurückzuführen sei, konnten durch Beobachtungen nicht bestätigt werden.

Die Quantenhypothese bietet hingegen auch für dieses Phänomen eine naheliegende Erklärung. Genauso wie wir auf der Erde einen globalen Wettbewerb beobachten, der auch zur Verdrängung von Marktteilnehmern führt, gibt es im Multiversum einen universalen Wettbewerb. Im Jahre 1930 taten sich Paralleluniversen, deren Markenzeichen der rotgekleidete Weihnachtsmann ist, zur Cocaversen-Gruppe als Universal Players zusammen (Der Autor möchte der bedeutenden Hamburger Weihnachtsmannforscherin Doris Hoffmann für diesen Hinweis danken). Seitdem hat der klassische deutsche Weihnachtsmann ständig Marktanteile verloren. Nach Aussagen von Analysten werden seine Aktien heute äußerst gering bewertet, und es wird erwartet, daß er alsbald seine Zahlungs- und damit auch Bescherunfähigkeit erklären wird.

Eltern, die im vorweihnachtlichen Einkaufsstreß mit ihren Kindern durch die Kaufhäuser hasten, werden von letzteren immer wieder durch die Frage irritiert, warum man dabei allerorts Weihnachtsmänner zu sehen bekomme, während es doch nur einen einzigen Weihnachtsmann, eben den Weihnachtsmann gebe. Nach der Lektüre dieses Artikels wird eine solche Frage niemanden mehr in Verlegenheit setzen können. Man kann den Kindern sogar eine Anzahl von Erklärungen für ihre Beobachtungen anbieten. Kleinere Kinder kann man durch den Hinweis auf die Wellennatur des Weihnachtsmannes, nach der eben die beobachteten zahlreichen Weihnachtsmänner lediglich Realisierungen einer einzigen universellen Weihnachtsmann-Wellenfunktion sind, leicht beruhigen.

Für ältere Kinder empfiehlt sich, insbesondere wenn für sie etwa Schwarze Löcher und der Urknall Alltäglichkeiten darstellen, die Parallelweltentheorie. Pädagogisch begabte Eltern werden dabei nicht versäumen, ihre Kinder bei dieser Gelegenheit auf die Existenz zahlreicher verschiedener Kulturen generell im gesamten Multiversum und speziell auch unter den Weihnachtsmännern hinzuweisen.

Als Fazit aus diesen hochbrisanten Forschungen, die noch längst nicht abgeschlossen sind, ergibt sich auf natürliche Weise ein Geschenkwunsch für das kommende Weihnachtsfest - ein umfassendes Lehrbuch über die Quantentheorie. Ohne ein solches ist man nicht imstande, Weihnachten angemessen zu feiern und auch nicht in der Lage, (weiterhin) an den Weihnachtsmann zu glauben.