Ein Computerprogramm spürt die besten Flächen für fehlende Schutzgebiete in Europa auf. Sechs Regionen haben noch Nachholbedarf.

Ein auffallender Widerspruch hat mich zu meiner Doktorarbeit inspiriert: Einerseits weist die Europäische Union immer mehr Naturschutzgebiete aus, anderseits sterben weiterhin Tier- und Pflanzenarten aus, verschwinden Lebensräume in einem beängstigenden Tempo. Das ist nicht nur für den Artenschutz problematisch, der Verlust von Biodiversität wirkt sich auch auf das Klima aus. Denn vielfältige, intakte Lebensräume wie Moore und Wälder binden Kohlenstoff, der sonst als Treibhausgas Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen könnte.

Wo noch Schutzgebiete fehlen, untersuche ich im Rahmen meiner Doktorarbeit. Dafür habe ich geprüft, was die EU bislang getan hat. Und habe festgestellt: Eines ihrer wichtigsten Vorhaben hat sie umgesetzt. 18 Prozent der europäischen Landfläche stehen unter Naturschutz; ein Prozent mehr als zugesagt. Doch ein wichtiges Ziel hat sie nicht verwirklicht. Sie hat nicht jeden Naturraum ausreichend berücksichtigt, nicht jede der 43 europäischen „Ökoregionen“ zu 10 Prozent unter Schutz gestellt. Bis 2020 muss das geschehen, dazu hat sich die EU verpflichtet.

Regionen, in denen eine Ausweitung der Naturschutzgebiete kostengünstig wäre.
Regionen, in denen eine Ausweitung der Naturschutzgebiete kostengünstig wäre. © Anke Müller

Sechs Ökoregionen haben Nachholbedarf. Zu ihnen gehören die „Buchenwälder der englischen Tiefebene“ oder die „Mischwälder des Po-Beckens“ – vergleichsweise kleine Regionen, Nischenlandschaften sozusagen. Überraschenderweise ist aber auch eine Region betroffen, die sich über ein ausgedehntes Gebiet und mehrere Länder erstreckt. Buchen, Eichen und Kiefern prägen die „atlantischen Mischwälder“, die sich von den Pyrenäen bis zur deutsch-dänischen Grenze erstrecken.

Es fehlen Moorwälder

Doch diese riesige Fläche ist nicht überall gleich. Neben Wäldern kommen in der Ökoregion auch Lebensräume wie Fließgewässer, Moore und Wiesen vor. Will man die europäische Artenvielfalt erhalten, muss man von jedem solchen Lebensraum einen Zipfel erfassen.

Noch ist das nicht der Fall. In den atlantischen Mischwäldern fehlen etwa Moorwälder vom Typ 91D0: Laubwälder mit Moorbirken oder Waldkiefern auf feuchten, nährstoffarmen und sauren Böden. Solche Wälder gibt oder gab es in Frankreich, Belgien, den Niederlanden – und auch in Norddeutschland waren sie einst weitverbreitet. Doch nach jahrhundertelanger Entwässerung steht es heute schlecht um sie.

Der Algorithmus musste erst geschaffen werden

Wer muss nun tätig werden, welches Land muss die fehlenden Naturschutzgebiete schaffen? Dafür gibt es keine Vorgaben. Sinnvoll wäre es jedoch, neue Schutzgebiete dort auszuweisen, wo die Ziele der EU kostengünstig erreicht werden können. Das ist meist dort möglich, wo das Land geringe Erträge bringt. Sind wirtschaftliche Interessen nicht so stark betroffen, akzeptieren die Landbesitzer mit dem Naturschutz verbundene Einschränkungen leichter. Seltene Tiere und Pflanzen haben oft auf wenig bewirtschafteten Flächen ein Refugium gefunden.

Für meine Doktorarbeit habe ich Landpreise für ganz Europa zusammengetragen und ein Computerprogramm entwickelt, das diese mit den Vorkommen schützenswerter Lebensräume abgleicht: Eine knifflige Angelegenheit, weil ich erst einen Algorithmus schaffen musste. Erst nach anderthalb Jahren traten Landkreise, Grafschaften, Countys oder Comtés hervor, in denen die Ausweisung neuer Schutzflächen empfehlenswert wäre. Einige liegen sogar vor den Toren Hamburgs, etwa im Landkreis Rotenburg. Insgesamt fehlt gar nicht viel, um die Ziele der EU zu erreichen. Nur 0,35 Prozent der europäischen Landfläche müssten noch unter Naturschutz gestellt werden: rund 15.000 Quadratkilometer – oder 20-mal die Fläche Hamburgs.

Die Forschung zum Klimawandel in Hamburg

Forscherin Anke Müller
Forscherin Anke Müller © MPI-M/B. Diallo | MPI-M/B. Diallo

Exzellenzcluster: Die Klimaforschung in Hamburg genießt internationales Renommee. Das Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg (CEN), das Max­-Planck-­Institut für Meteorologie, das Institut für Küstenforschung des Helmholtz-­Zentrums Geesthacht und das Deutsche Klimarechenzentrum bilden gemeinsam den Exzellenzcluster für Klimaforschung (CliSAP).

Präsentation Einmal im Monat präsentieren CliSAP-Forscher den Lesern des Hamburger Abendblatts Ergebnisse aus ihren Gebieten. Heute: Landschaftsplanerin Anke Müller. Sie promoviert an der Forschungsstelle Nachhaltige Umweltentwicklung der Universität Hamburg.