Berlin. Neue Studien sollen dabei helfen, Angst besser zu verstehen. Für Wissenschaftler ist Humor die wichtigste Waffe gegen Panik und Furcht.

Das Herz rast, der Blutdruck steigt, die Muskeln ziehen sich zusammen, die Pupillen verengen sich, die Atmung beschleunigt, Schweiß bricht aus: Angst. Sie ist eine zentrale Emotion im menschlichen Leben, ohne sie hätten die Menschen kaum bis heute überlebt. Unsere Angst entsteht dabei aber nicht nur in bedrohlichen Situationen, die wir erleben. Wir können Angst vor bestimmten Dingen auch indirekt lernen, indem wir sie bei anderen beobachten.

„Das ist ja auch sinnvoll. Wir können ja nicht alles ausprobieren, sondern wir müssen aus Beobachtung lernen, um lebensgefährliche Situationen zu meiden. Angst ist also ansteckend“, resümiert Jan Haaker. Der Neurowissenschaftler arbeitet am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und zählt zu den leitenden Wissenschaftlern des Sonderforschungsbereiches „Furcht, Angst und Angsterkrankungen“, an dem auch Forscher aus Münster, Würzburg und Mainz mitwirken.

Erlernte Angst ist wirkliche Angst

Bereits vor zehn Jahren zeigten Wissenschaftler in den USA, dass erlernte Angst wirkliche Angst ist. Bei dem Versuch schluckten 22 der 43 Teilnehmer einen Wirkstoff, der die Wirkung der körpereigenen Schmerzmittel (Opioide) blockierte. 21 Teilnehmer erhielten ein Placebo, bei ihnen wirkten die Opioide. Danach schauten die Teilnehmer Filme, in denen Menschen Schmerzen erlitten – diese wurden scheinbar durch ein blaues Quadrat ausgelöst.

Das Ziel war: Die Teilnehmer sollten lernen, dass ein blaues Quadrat Schmerz bedeutet. Die Bilder der funktionellen Kernspintomografie (fMRT) zeigten: Diejenigen Teilnehmer, bei denen die Wirkung der körpereigenen Schmerzmittel ausgeschaltet war, reagierten wesentlich stärker auf die blauen Quadrate – und sogar noch drei Tage später.

Bessere Behandlungsmethoden entwickeln

Offen blieb die Frage, wie dieses Wissen aufgenommen wird. Gemeinsam mit schwedischen Kollegen machte sich Neurowissenschaftler Haaker daran, die Substanzen aufzuspüren, die diesen sozialen Lernprozess steuern. Das überraschende Ergebnis der Versuche: Körpereigene Schmerzmittel (Opioide) spielen eine Rolle, wenn Menschen durch Beobachten Angst erlernen.

Sie regulieren, ob ein Beobachter Angst entwickelt oder nicht. Die Studie wurde kürzlich in der renommierten britischen Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht. „Mit diesem Wissen können wir in Zukunft gezieltere Behandlungsmethoden für Menschen mit Angsterkrankungen entwickeln“, hofft der Neurowissenschaftler und Apotheker. Er möchte den Kanon der Medikamente gegen Angststörungen gern erweitern.

Medikamente und Psychotherapie gegen krankhafte Angst

Das ist auch dringend geboten. Denn neben den Depressionen zählen Angststörungen zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Scheinbar grundlos steigert sich bei manchen Menschen die Angst ins Unerträgliche. Etwa zehn Millionen Deutsche, insbesondere Jüngere, leiden. Fast jeder fünfte Mensch in diesem Land erlebt mindestens einmal in seinem Leben, dass sich in Geist und Körper alles auf Flucht, Kampf oder Versteinern fokussiert, obwohl es dafür keinen triftigen Grund gibt. Hilflos sind sie diesem Gefühl ausgeliefert.

Gegenwärtig helfen Medikamente und Psychotherapie, um krankhafte Angst zu besiegen. Antidepressiva und manchmal auch Beruhigungsmittel sollen helfen, das Leiden zu lindern. Kognitive Psychotherapie soll den Umgang mit der Angst erleichtern, Konfrontation mit den Auslösern der Furcht – also die Angst vor der Angst – nehmen. Das gelingt oftmals sehr erfolgreich, berichten die Experten.

Humor wichtigster Gegenspieler der Angst

Auch die Mediziner der Stuttgarter Fliedner Klinik setzen auf diese Kombination. Doch zudem bekommen die Angstpatienten hier ein spezielles Humortraining angeboten, eine Rarität in Deutschland. „Bestenfalls zwölf Kliniken bieten dieses Training an. Bei uns gehört Humortraining zu den Pflichtveranstaltungen im Rahmen der Therapie. Heiterer Humor ist der wichtigste Gegenspieler der Angst“, sagt Prof. Barbara Wild, Chefärztin der Tagesklinik.

Die Neurologin und Psychiaterin ist Pionierin des Humortrainings in Deutschland. Sie setzt im klinischen Alltag um, was der Psychiater Viktor Frankl schon vor 60 Jahren forderte. „Der Patient soll lernen, der Angst ins Gesicht zu sehen, ja, ihr ins Gesicht zu lachen.“

Patienten lernen, ihre Angst wegzulachen

Humor schaffe die Distanz, um sich nicht der Angst ausgeliefert zu fühlen. „Er verändert die Stimmung der Patienten stärker und dauerhafter als alle anderen Reize, die wir in der Psychotherapie nutzen können“, sagt die Herausgeberin des Fachbuches „Humor in Psychiatrie und Psychotherapie“. Besonders Patienten mit Angst- und posttraumatischen Belastungsstörungen profitieren von diesem Training.

Dabei wird im Humortraining möglichst wenig theoretisiert und möglichst viel erlebt. Dazu haben die Psychiater einen Baukasten an Spielen entwickelt, die im Gruppentraining eingesetzt werden. Beispiel: „Sie können sicher sein“, so Wild, „wenn der Erste in einer Gruppe einen Begriff nennt, der Nächste darauf spontan reagiert, der Nächste wieder darauf und so weiter, bricht irgendwann Gelächter aus. Das ist der Moment, in dem die Patienten keine Angst mehr spüren können. Ihre Muskeln entspannen, ihr Geist beschäftigt sich mit dem Wort, und ihre Seele ist heiter. Daher ist jede Erfahrung mit heiterem Humor ein Baustein gegen die Angst.“

Humor ist eine „Waffe der Seele“

Dieser leitet einen Perspektivwechsel ein – oder wie es der Komiker und Wortkünstler Karl Valentin formulierte: „Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.“ Wer kann dann schon bei der negativen verweilen? Zudem schützt Humor, erleichtert das Überstehen traumatischer Situationen. „Auch der Humor ist eine Waffe der Seele im Kampf um ihre Selbsterhaltung“, schreibt Viktor Frankl im Buch „. . . trotzdem Ja zum Leben sagen“. Er muss es wissen, er überlebte auch dank dieser Fähigkeit über zweieinhalb Jahre in Konzentrationslagern.

Vielleicht sollte Humortraining nicht nur in viel mehr Kliniken angeboten werden, sondern schon in Kindergarten und Schule. Als Prävention. Denn Menschen können nicht nur Angst, sondern auch Humor voneinander lernen.