Hamburg. Mehr als 500.000 Menschen waren am 11. August 1999 in die selbst ernannte „Sonnenfinsternis-Hauptstadt“ Stuttgart gepilgert.

Es war, als ob da oben im Himmel jemand einen Dimmer betätigen würde - so schnell wurde es am Mittag des 11. August 1999 um 12.32 Uhr in Stuttgart dunkel - und zwar stockdunkel. Zwei Minuten und 17 Sekunden lang. Dann wurde das Licht über Stuttgart ebenso schnell wieder angedreht, und die Menschenmassen, die sich im Schlossgarten zum Jahrhundert-Ereignis der totalen Sonnenfinsternis versammelt hatten, jubelten, klatschten und pfiffen begeistert. Auch wenn die totale Sonnenfinsternis in Stuttgart eher das Fest der Regenschirme als der obligatorischen Sonnenschutzbrillen war, auch wenn von der legendären Korona der Sonne nichts zu sehen war – die Stimmung konnte der Regen nicht verderben.

Mehr als 500.000 Menschen waren damals in die selbst ernannte „Sonnenfinsternis-Hauptstadt“ gepilgert – um zu sehen, um zu staunen und natürlich um zu feiern. 2000 Jugendliche hatten bereits in der Nacht vor dem Naturschauspiel im Hauptbahnhof und der Umgebung in Schlafsäcken übernachtet. Die Hotels in Stuttgart und Umgebung waren restlos ausgebucht. Und am Morgen strömten immer neue Menschenmassen aus den fast 20 Sonderzügen, die die Deutsche Bahn auf den Weg in die baden-württembergische Landeshauptstadt geschickt hatte.

100.000 Menschen auf dem Schlossplatz

Als sich am Mittag der Himmel verdunkelte, drängten sich 100.000 Menschen auf dem Schlossplatz in der Stuttgarter Innenstadt. Es war so voll, dass die U-Bahnen in der darunter liegenden Station nicht mehr hielten – weil die Menschen ohnehin keine Chance hatten, nach oben ans schwindende Tageslicht zu kommen. Schon um neun Uhr morgens hatten sich die Amateur-Astronomen und Sonnenfinsternis-Fotografen im Stuttgarter Schlossgarten postiert. Immer wieder mussten sie ihre Ausrüstung mit Plastiktüten abdecken oder gar einpacken. Doch jedem heftigen Schauer folgten kurze – aber euphorisch bejubelte – Momente, in denen die Sonne durch die Wolken sichtbar wurde.

„Es hat sich trotzdem gelohnt!“ Reinhard Herden, Rentner und Mitglied der „Sternenfreunde Nordenham“, war nach der Totalititätsphase begeistert – obwohl er trotz seiner umfangreicher Ausstattung keinen Blick auf die Korona werfen und keines der begehrten Totalitätsfotos machen konnte. Doch am meisten haben die Menschen den Hobby-Astronomen begeistert: „Ich war richtig überrascht, mit welchem Jubel um mich herum die plötzliche Dunkelheit begrüßt wurde. Man sollte auch einmal das Verhalten der Menschen bei der Sonnenfinsternis wissenschaftlich erforschen.“ Eine Schwäbin neben ihm war allerdings empört: „Jetzt war Sonnafinschdernis, und i habs net g’seha.“

Fast eine komplette Schule angereist

Aus Wuppertal war gar fast eine komplette Schule angereist: Um 5.10 Uhr waren die mehr als 200 Schüler des Carl-Fuhlrott-Gymnasiums mit dem eigens Sonderzug gestartet – „um dann mittags im Regen zu stehen“, wie eine der Schülerinnen kurz vor der Finsternis lakonisch meinte. Deutlich enttäuschter war da schon Michael Noblett, der mit einem Riesenfernrohr aus den USA nach Stuttgart kam. Der Hobby-Astronom fluchte leise sich hin. Doch auch er nahm es schließlich mit Galgenhumor: „Ich gehe jetzt und trinke das teuerste Bier meines Lebens.“

Die Sonnenfinsternis 1999 ging dennoch in die Geschichte ein: Sie war nicht nur die letzte im alten Jahrtausend in Europa, sie war auch die Finsternis, die von mehr Menschen beobachtet wurde als jede andere Sonnenfinsternis in der Weltgeschichte.