Berlin. Chlor greift die Schutzschicht der Erde an. Vor allem der Mensch hat es in die Atmosphäre gebracht. Das Gegensteuern hilft langsam.

Die gute Nachricht kam aus den USA. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) präsentierten ihre jüngste Beobachtung. „Wir können jetzt zuversichtlich sein: Das, was wir getan haben, hat die Erde auf den Weg zur Heilung geführt“, sagte Atmosphärenchemikerin und Studienleiterin Susan Solomon. Die schützende Ozonschicht in der Atmosphäre werde wieder stärker. Das Ozonloch könnte sich in den nächsten Jahrzehnten wieder schließen.

Anfang der 1980er-Jahre hatte die US-Raumfahrbehörde Nasa erste Lücken in der Ozonschicht über dem Südpol registriert. Fünf Jahre später, 1985, beschrieben britische Forscher die Existenz des Ozonlochs öffentlichkeitswirksam in einem Artikel der Zeitschrift „Nature“. Die Welt war alarmiert.

Reaktion mit Ozon zu Chlormonoxid

Ozon, ein Gas, das aus drei Sauerstoffatomen je Molekül besteht, kann auf Erden die Atemwege von Menschen und Tieren schädigen. Bei extremen Wetterlagen im Hochsommer wird mitunter vor hohen Werten in der Luft gewarnt. In der oberen Atmosphäre der Erde aber, zwischen zehn und 45 Kilometer Höhe, ist Ozon für das Leben wichtig. Obwohl es an keiner Stelle mehr als ein 100.000stel der Atmosphäre ausmacht, filtert es ultraviolette Strahlung aus dem Sonnenlicht heraus – und schützt das Leben auf der Erde so vor gefährlichen Verbrennungen.

Was bei der Zerstörung der Ozonschicht chemisch passiert, fand die Wissenschaft erst nach und nach heraus. Eine Kombination aus sehr niedrigen Temperaturen, Wolken in der Stratosphäre und dem ersten Sonnenlicht nach Ende der Polarnacht aktiviert über der Antarktis jene Stoffe, die das Ozon besonders effektiv zerstören können: FCKW, Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Chloratome, zu 80 Prozent durch den Menschen in die Atmosphäre gebracht, reagieren mit Ozon zu Chlormonoxid, wobei das Ozon in Sauerstoff umgewandelt wird und verschwindet. Es bildet sich ein Loch in der Schutzschicht, das schnell anwächst und sich im Laufe des Jahres wieder schließt.

196 Staaten traten dem Abkommen bei

FCKW sind sogenannte Treibgase. 1929 erfunden vom US-Ingenieur Thomas Midgley, wurden sie zunächst als Wundermittel gefeiert. Haarspray oder Deo konnten damit aus Dosen getrieben, Kühlschränke gekühlt oder Kunststoffe aufgeschäumt werden. FCKW waren billig, stabil, ungiftig für die meisten Organismen und nicht entflammbar. Sie wurden massenhaft eingesetzt. Doch dann kamen Zweifel auf, ob FCKW so harmlos sind wie angenommen. Mitte der 1980er-Jahre herrschte Klarheit.

Aufgrund internationaler Vereinbarungen ist es gelungen, die FCKW-Emissionen einzuhegen. 1987 verpflichteten sich 196 Staaten in einem internationalen Abkommen in Montreal (Kanada) zur Halbierung der FCKW-Produktion bis zum Ende des Jahrhunderts. 1990 wurde das Ziel verschärft. Die Herstellung sollte ganz eingestellt werden. Laut dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) halten sich fast alle Staaten an das Abkommen.

Ozonloch hängt von vielen Faktoren ab

Das Ozonloch über dem Südpol hat dabei seit jeher keine konstante Größe. Es hängt von vielen Faktoren ab – von Vulkanausbrüchen, Winden und Temperaturen. 2015 meldeten die Kontrollsatelliten trotz gegenteiliger Annahmen aus den Vorjahren plötzlich die zweitgrößte jemals gemessene Fläche. Mit 27 Millionen Quadratkilometer war das Ozonloch zweieinhalb mal so groß wie Europa.

Ein Ausreißer, wie die MIT-Forscher nach Auswertung ihrer neuen Modelle vermuten. Ursache sei der Ausbruch eines Vulkans in Chile gewesen, des Calbuco. Das Fernerkundungsdatenzentrum des DLR hält diese Erklärung für plausibel. Neben der großen Anzahl zerstörerischer vulkanischer Aerosole habe es 2015 zudem außergewöhnliche Strömungen in den höheren Luftschichten am Südpol gegeben, so Mitarbeiter Dr. Frank Baier.

Fokus lag diesmal auf dem September

In diesem Jahr also verglichen die MIT-Forscher zur Bewertung der Lage die von Satelliten und Ballons gemessenen Daten mit neuartigen Modellrechnungen. Sie wollten herausfinden, wie hoch der Anteil natürlicher Schwankungen an den Veränderungen des Ozonlochs zwischen 2000 und 2015 war und welchen Anteil die gesunkene FCKW-Konzentration daran hatte.

Dabei fokussierte sich die Wissenschaft diesmal auf den Monat September, in dem der Ozonabbau in der Antarktis in jedem Jahr beginnt. „Im September hängt die Entwicklung sehr stark davon ab, wie viel Chlor in der Stratosphäre ist“, schreibt Susan Solomon in ihrem Bericht. In bisherigen Studien war vor allem der Oktober untersucht worden – der Monat der maximalen Ausdehnung.

US-Raumfahrtbehörde rechnet mit dem Jahr 2065

Für September konnte das Team diesmal explizit chlorgasabhängige Veränderungen am Ozonloch nachweisen: Es öffne sich über der Antarktis mittlerweile zehn Tage später als noch 2000. Ein weiteres positives Zeichen: Die durchschnittliche Fläche im September sei in den vergangenen 15 Jahren von 20 auf 16 Millionen Quadratkilometer geschrumpft, so der MIT-Bericht.

Den Erfolgen zum Trotz hat die Konzentration der FCKW in der Stratosphäre, die zur Jahrtausendwende ihren Höhepunkt erreichte, erst um wenige Prozent abgenommen. Da Fluorchlorkohlenwasserstoffe sehr langlebig sind, geht der Prozess sehr langsam voran. „Weil auch die Klimaerwärmung mit der daraus resultierenden Erwärmung niedriger Luftschichten bei gleichzeitiger Abkühlung der Stratosphäre Einfluss auf die Ozonschicht hat, aber niemand genau weiß, wie stark dieser Einfluss ausfällt, gibt es große Unterschiede in den Vorhersagen“, erklärt DLR-Forscher Baier. Je nach Modell gehen einige Wissenschaftler davon aus, dass das Ozonloch in 30 Jahren geschlossen sein könnte, andere, etwa von der Nasa, rechnen damit erst 2065.

Neuemission von Chlorgasen nicht ausgeschlossen

Auf lange Sicht gibt sich die Mehrheit der Wissenschaftler aber optimistisch. „Wir gehen davon aus, dass sich das Ozonloch reduzieren, wenn nicht sogar ganz schließen wird“, sagt Baier. Eine 100-prozentige Sicherheit dafür gebe es aber nicht. Die Physik der Atmosphäre und deren Entwicklung sei schlicht zu komplex, um exakte Vorhersagen zu treffen.

Und das gilt wohl auch, weil die Neuemission von Chlorgasen nicht ausgeschlossen ist. So fand die internationale Forschungsgemeinschaft bei Kon­trollmessungen in der Stratosphäre zuletzt neue langlebige Chlorsubstanzen, die wahrscheinlich bei der Produktion von FCKW-Ersatzstoffen in die ­Atmosphäre entwichen waren. Baier: „Erst die aktuellste, dritte Generation der Ersatzstoffe ist chemisch so konzipiert, dass sie zur Zerstörung der Ozonschicht gar keinen Beitrag leistet, weil sie die Stratosphäre nicht mehr erreicht.“