Hamburg. Jährlich stehen in Hamburg 250 Hornhäute für eine Transplantation zur Verfügung. Gebraucht werden aber doppelt so viele.

Ein Blick wie durch Glasbausteine. Als hätte man einen ständigen Nebel vor Augen: Viele Menschen leiden unter einer sehr eingeschränkten Sehkraft. Die vorderste Schicht ihrer Augen, die Hornhaut, eigentlich klar wie Glas, ist bei ihnen getrübt. Um wieder richtig sehen zu können und damit eine bedeutende Steigerung ihrer Lebensqualität zu erfahren, hilft ihnen nur eine Transplantation der Augenhornhäute. „Nach der Operation kann ich jetzt auf dem linken Auge wieder gut sehen“, sagt Wolfgang Widmaier. Vor zwei Jahren wurde dem 78-Jährigen auf diesem Auge die innere Schicht der Hornhaut transplantiert.

So wie diesem Patienten soll jetzt möglichst vielen Menschen geholfen werden. „Transplantationen von Augenhornhäuten sind doppelt so häufig wie von allen anderen Organen zusammen“, sagt Prof. Klaus Püschel, Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts am Uniklinikum Eppendorf. „Ohne Niere kann man mit Dialyse eine vernünftige Lebensqualität haben, ohne Augenlicht nicht.“ Obwohl jährlich in Hamburg etwa 250 Augenhornhäute für Gewebespenden vorliegen, werde die doppelte Anzahl gebraucht. „Unser Ziel ist es, die Zahl der Spenden deutlich zu erhöhen.“

Der Unterschied zwischen Gewebespende und Organspende liegt darin, dass Gewebe wie Augenhornhäute, Herzklappen, Blutgefäße und Knochen auch noch eine gewisse Zeit nach dem Tod des Spenders entnommen werden können. Eine Organspende etwa von Herz, Niere, Bauchspeicheldrüse oder Leber ist indes nur möglich bei hirn­toten Patienten, die auf der Intensiv­station liegen und deren Kreislauf künstlich aufrechterhalten wird. „Alles mit Ausnahme des Gehirns kann transplantiert werden, auch Darm, Bauchspeicheldrüse, Hände, Arme und Gesicht“, erläutert Püschel. Leider fehle es oft am geeigneten Spender. Insgesamt sei die Zahl derer, die ihre Bereitschaft dazu in einem entsprechenden Spenderausweis erklären, rückläufig, so Püschel. Augenhornhäute, die die vordere durchsichtige Membran des menschlichen Auges bilden, werden seit 1904 transplantiert. „Es ist die älteste Methode der Verpflanzungen überhaupt.“

Verteilt werden die Augenhornhäute nach Dringlichkeit. Ein Beispiel für einen solchen Notfall ist ein Arbeitsunfall, bei dem es zu einer Verätzung der Hornhaut gekommen ist. Weiterhin kommen hinzu Infektionen durch Bakterien und Viren.

Wichtig sei es, Menschen vermehrt über die Möglichkeiten der Gewebespende zu informieren, betont Püschel. „Im Organspendeausweis ist sie extra aufgeführt. Trotzdem ist sie vielen Menschen noch unbekannt.“ Erforderlich sei vor allem, dass Ärzte, die den Totenschein für einen Verstorbenen ausstellen, „auch gezielt die Angehörigen danach fragen. Schließlich handelt es sich, wenn ein Spendeausweis vorliegt, auch um den letzten Willen des Verstorbenen.“ Ärzte sollten Gewebespender nach deren Tod in die Rechtsmedizin oder das nächste große Krankenhaus bringen lassen, betont Püschel.

Für Rentner Widmaier war die Möglichkeit der Hornhauttransplantation ein Segen. Vor dem Eingriff konnte er nicht mehr scharf sehen. „Autofahren und Radfahren waren nicht mehr möglich. Dann habe ich etwa ein halbes Jahr gewartet, bis eine geeignete Spenderhornhaut zur Verfügung stand“, erzählt Widmaier. Nach dem Eingriff am linken Auge hat es noch vier Wochen gedauert, bis er wieder gut sehen konnte. Auch am rechten Auge hat Widmaier sich operieren lassen. Für diesen Eingriff musste er ein Jahr auf eine Spenderhornhaut warten. „Wenn sich das Auge von der OP erholt hat, kann ich wieder alles machen. Das ist ein großer Gewinn an Lebensqualität.“

Bei einer neuen OP wird nur ein Teil der Hornhaut ersetzt

Da bei Widmaier die innerste Schicht der Augenhornhaut getrübt ist, setzten die Ärzte bei ihm eine neue Methode ein: Bei der DMEK (Descemet Membrane Endothelial Keratoplasty) wird nicht die gesamte Hornhaut durch ein Transplantat ersetzt, sondern nur ein Teil. „Dieses sogenannte Endothel besteht aus Zellen, die dafür sorgen, dass die Hornhaut durchsichtig bleibt“, sagt Dr. Stephan Schumacher, Leitender Oberarzt der Augenabteilung der Asklepios Klinik Barmbek. Bei der neuen Methode sind nur wenige winzige Schnitte nötig. „Durch den größten Schnitt von drei Millimetern wird das Transplantat in die Vorderkammer des Auges geschoben, vor der Iris entfaltet und mithilfe einer Luftblase gegen die Innenseite der Hornhaut gedrückt. In den Tagen nach der OP saugt sich das Transplantat fest, die Luftblase wird vom Körper resorbiert“, erklärt Schumacher. Bis der Patient wieder gut sehen kann, dauert es in der Regel drei bis sechs Wochen.

Gegenüber der herkömmlichen OP-Methode bietet dieses neue Verfahren einige Vorteile. Bei der herkömmlichen Methode wird ein komplettes Stück Hornhaut transplantiert und in das Auge eingenäht. „Das bedeutet, dass nach einem und anderthalb Jahren weitere Eingriffe nötig sind, um die Fäden zu entfernen. Außerdem kann es nach der herkömmlichen OP bis zu einem halben Jahr dauern, bis der Patient wieder gut sehen kann. Es besteht zudem ein höheres Risiko für Infektionen, Hornhautverkrümmungen und Abstoßungsreaktionen“, sagt Schumacher. Die neue Methode hilft nur, wenn das Endothel betroffen ist. Bei Hornhauttrübungen in den anderen Schichten, die zum Beispiel als Folge von Herpesinfektionen oder Verletzungen auftreten, muss die geschädigte Hornhaut mit der herkömmlichen Methode ersetzt werden.

Da es einen großen Mangel an Spenderhornhäuten gibt, ist es auch möglich, Augenhornhäute eines Spenders für zwei Patienten zu nutzen. Die begrenzte Zahl der zur Verfügung stehenden Hornhäute führt auch dazu, dass die Patienten oft lange auf die OP warten müssen. „Zurzeit liegt die Wartezeit bei mindestens einem halben Jahr“, sagt Schumacher. Auch Sabine L., die an einer Hornhauttrübung auf beiden Augen leidet, musste anderthalb Jahre auf ein Transplantat warten. „Ich sah alles wie durch einen Glasbaustein und hatte auch immer mehr Schwierigkeiten bei meiner Arbeit“, sagt die 51-Jährige, die in einem Dienstleistungsunternehmen arbeitet und den ganzen Tag am Bildschirm sitzt. Am 1. September 2015 konnte sie dann endlich operiert werden. „Im Laufe des folgenden halben Jahres hat sich mein Sehvermögen nach und nach verbessert. Die Farben und die Umrisse wurden wieder schärfer. Und der ständige Nebel vor den Augen ist auch verschwunden.“