Hamburg. 2015 war laut des Deutschen Wetterdienstes das zweitwärmste Jahr seit 1881. Jahreszeiten verschieben sich, Keller laufen voll.

Die höchste jemals gemessene Temperatur in Deutschland: 40,3 Grad Celsius in der fränkischen Stadt Kitzingen. Zweimal innerhalb weniger Wochen, am 5. Juli und 7. August, wurde dort der Rekord im vergangenen Sommer gemessen. Auch andernorts war es heiß. Heißer als auf der Balearen-Insel Mallorca sogar. Berlin war dabei das wärmste und trockenste Bundesland. Und Weihnachten 2015 war dann eher Frühling als Winter. Am Heiligabend maßen die Meteorologen 16,8 Grad in Freiburg. Spielt das Wetter verrückt?

Der Deutsche Wetterdienst, kurz DWD, hat am Dienstag seine „Klima-Bilanz 2015“ vorgestellt. Demnach war das vergangene Jahr mit einer Mitteltemperatur von 9,9 Grad Celsius in der Bundesrepublik 1,4 Grad wärmer als 1881 – das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 135 Jahren (Berlin: 10,8 Grad). Und dabei gab nicht nur der Sommer mit seiner Hitze den Ausschlag.

Vielmehr war im November und Dezember bei den Wettervorhersagen oft der Für-die-Jahreszeit-zu-warm-Satz zu hören. Der Spätherbst und der erste Wintermonat waren außergewöhnlich mild. „Wir leben in Zeiten des beobachtbaren Klimawandels“, sagt DWD-Vizechef Paul Becker.

Früher haben Wetterforscher immer abgewunken, wenn man sie wegen einer Hitzewelle oder eines Sturms fragte: Ist das schon die Erderwärmung? Auch heute können sie noch nicht vorhersagen, ob Weihnachten in diesem Jahr wieder grün ausfällt, der Winter schnee- und eisfrei bleibt. „Kein Jahr ist wie das andere“, sagt Becker. Heißt: „Es kann gut sein, dass es in den nächsten Jahren wieder kälter wird.“

Die Tendenz aber sei klar: Die Erde heizt sich maßgeblich durch den Ausstoß von Treibhausgasen auf. Daran zweifelt kaum noch ein Experte, auch Becker nicht. Er warnt schon seit Langem, dass sich die Städter in Deutschland zum Beispiel auf extreme Hitze und tropische Nächte, die mit dem Klimawandel kommen, einstellen müssen. Das sonnenreichste Land war 2015 Baden-Württemberg mit 1862 Sonnenstunden, knapp 120 Stunden mehr als der Bundesdurchschnitt.

Es verschiebt sich einiges, ein Beispiel: die Jahreszeiten. So ist die Frage, wann der Frühling kommt, heute anders zu beantworten als in den Fünfzigerjahren. Voraussetzung: Man macht den Beginn nicht nur am Kalenderdatum fest, sondern daran, wann die ersten Pflanzen blühen. Zwischen 1951 und 1980 begann der Frühling in diesem Sinne im Mittel am 24. März, zwischen 1983 bis 2012 aber bereits am 19. März. Auch der Beginn des Winters hat sich verschoben – um drei Tage nach hinten. So steht es in einem Bericht zur biologischen Vielfalt des Bundesumweltministeriums, der schon aus dem Jahr 2014 stammt.

Auf den ersten Blick erstaunlich: Die Erderwärmung macht sich hierzulande sogar stärker bemerkbar als andernorts. Laut der DWD-Klimastatistik hat sich Deutschland seit 1881 um insgesamt 1,4 Grad erwärmt. International beträgt die Erwärmung aber nur „etwas unter einem Grad“, erklärt Paul Beckers Kollege Thomas Deutschländer, der beim DWD das Referat Hydrometeorologische Beratungsleistungen leitet. Das hänge mit der geografischen Lage zusammen: „Land erwärmt sich schneller als Wasser“, so Deutschländer.

Noch ein Fakt: Mit dem Jahr 2015 sind jetzt bereits 23 von insgesamt 25 Jahren seit 1991 zu warm, verglichen mit der internationalen Bezugsperiode 1961 bis 1990. Becker meint: „Für die Skiliftbetreiber wird es über die Jahre schwierig.“ Künftig könnten auf den Skipisten häufiger nur ein paar weiße Flecken und Streifen übrig bleiben. Womöglich halte sich dann nicht einmal mehr das künstliche Weiß aus Schneekanonen.

Am Jahresende mangelte es jedenfalls in der Schweiz und in Österreich genauso an Schnee wie in den deutschen Alpen. Die Wetterforscher konnten an ihrer Station Obere Firstalm in den Schlierseer Bergen auf 1369 Metern bis Ende des Jahres maximal eine Schneehöhe von 24 Zentimetern messen, üblicherweise wächst die Schneedecke dort von knapp zehn Zentimetern auf rund 70 Zentimeter bis Silvester an.

In Großbritannien regnete es derweil übrigens wie selten zuvor: Der Dezember auf der Insel war so nass wie keiner sonst seit 1910. Schottland sowie die nördlichen Landesteile von England und Wales gingen nach Weihnachten in Fluten unter.

Im Dezember, so erklärt DWD-Mitarbeiter Deutschländer, seien zwar immer wieder kräftige Tiefdruckgebiete von Westen her über den Atlantik gekommen. Diese seien dann aber vor dem europäischen Festland eher nördlich bis nordöstlich weitergezogen. In Deutschland und Mitteleuropa wirkte sich das ganz anders aus als auf der britischen Insel: Es blieb mild, trocken und sonnenreich.

Könnten die Kapriolen nicht auch mit dem Wetterphänomen El Niño zu tun haben? Eine Veränderung von Wasser- und Luftströmungen in der Nähe des Äquators und über dem Pazifik führt in diesen Wochen in vielen anderen Erdteilen zu bösen Überraschungen, zu Dürren im südlichen Afrika etwa oder Überschwemmungen in Südamerika. Doch da winken die Offenbacher Wetterforscher ab. El Niño habe in Deutschland keinen „statistisch belastbaren“ Effekt. Deutschland wandelt sich auch ohne Phänomen.

Bürger müssen sich gebietsweise auch an starke Niederschläge gewöhnen und daran, dass ihre Keller binnen Minuten volllaufen können. 2015 war zwar eigentlich trocken, regional herrschte „Dürre“, berichten die DWD-Experten. Vor allem den Landwirten und Flussschiffern machte das zu schaffen. Fiel aber Regen, dann „in Form einzelner Starkregenereignisse“. Den meisten Niederschlag gab es 2015 übrigens in Schleswig-Holstein, gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Hamburg, die sich den zweiten Platz teilen.

Die Klimaforschung geht davon aus, dass Starkregen zunehmen werde. Becker und seine Kollegen beim DWD werten derzeit die Radardaten der vergangenen 15 Jahre aus, um extreme Niederschläge – Intensität und Ausdehnung – erstmals kleinräumig zu analysieren. Dies soll Städten helfen, sich besser zu wappnen für das Wetter, das immer wieder verrückt spielen wird.