Hamburg . Die Forscher diskutieren in Hamburg über die jüngsten Forschungsergebnisse. Öffentliche Vorträge zu aktuellen Experimenten.

Für Physiker gab es in den vergangenen Jahren einiges zu feiern. Erst gelang 2012 mit dem Teilchenbeschleuniger LHC in Genf der Nachweis des Higgs-Teilchens – eine Jahrhundertentdeckung. Denn die damit verbundene Theorie erklärt, wie Teilchen die Masse der Materie bilden: Planeten, Sterne und auch uns Menschen. Die beiden Begründer des Konzepts, der Schotte Peter Higgs und sein belgischer Kollege François Englert, erhielten 2013 den Physik-Nobelpreis – fast fünf Jahrzehnte nach der Veröffentlichung ihrer Ideen.

Vor drei Wochen gaben US-Forscher eine weitere Sensation bekannt: Mithilfe der beiden Ligo-Observatorien in den Bundesstaaten Washington und Louisiana hatten sie erstmals Gravitationswellen aus dem All nachgewiesen – fast 100 Jahre nach der Beschreibung dieses Phänomens durch Albert Einstein. Die Wellen entstehen insbesondere, wenn große Objekte beschleunigt werden, etwa bei der Verschmelzung von zwei Schwarzen Löchern und bei der Explosion eines Sterns am Ende seines Lebens.

Zu beiden Entdeckungen hatten auch Hamburger Forscher beigetragen. Bei einem „Physik-Gipfel“ in der Hansestadt diskutieren nun in dieser Woche rund 1400 Wissenschaftler aus der ganzen Welt, wie es weitergehen soll mit den Untersuchungen am Forschungszentrum CERN in Genf und mit der Analyse von Gravitationswellen. Denn trotz aller Fortschritte sind Forscher immer noch weit davon entfernt, die Entwicklungsschritte des Universums seit dem Urknall und dessen heutige Zusammensetzung ganz zu verstehen.

Von dem Treffen sollen auch die Hamburger profitieren: So wird es etwa einen öffentlichen Abendvortrag über aktuelle Experimente an den Grenzen der Physik geben (siehe Infowinkel) und zudem Vorträge sowie eine Podiumsdiskussion für Lehrer aus Hamburg und der Umgebung. Als besonderer Gast ist Barry Barish angekündigt. Der 79-jährige US-Physiker war lange führender Wissenschaftler des Ligo-Observatoriums. Er wird einen Fachvortrag auf Englisch halten, der ebenfalls öffentlich sein soll.

Ausrichter der Frühjahrstagung ist die Sektion „Materie und Kosmos“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Unter den Teilnehmern seien viele junge Forscher, die am Beginn ihrer Karriere stünden, sagt Tagungsleiter Johannes Haller. Der Physikprofessor von der Uni Hamburg gehört zu einer Gruppe von etwa 150 Forschern aus der Hansestadt, die an den Experimenten am LHC in Genf mitwirken.

Diskussionsstoff gibt es für die Forscher reichlich. Mit dem Nachweis des Higgs-Teilchens gilt zwar das Standardmodell der Teilchenphysik als bestätigt, das die Grundbausteine unserer Welt beschreibt und die Kräfte, die zwischen ihnen wirken. Doch mit dem Modell lassen sich nur etwa fünf Prozent des Universums erklären. Gemeint ist all das, was wir sehen, etwa Planeten und Sterne. Der gewaltige Rest ist für uns unsichtbar und vermutlich gefüllt mit der Dunklen Materie, welche die rotierenden Galaxien wie ein Kitt zusammenhält, und der stärkeren Dunklen Energie, die gleichzeitig dafür sorgt, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt.

Um diese Phänomene aufzuklären, simulieren Forscher in der kreisförmigen, 27 Kilometer langen Röhre des LHC Zustände, wie sie vermutlich kurz nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren herrschten, als alle Partikel entstanden, die heute bekannt sind – und womöglich solche, die wir bisher nicht kennen.

Die Dunkle Energie dürfte sich Forschern noch länger entziehen, da überzeugende Theorien für ihre Zusammensetzung fehlen. Besser ist es um Ansätze zur Erklärung der Dunklen Materie bestellt. Eine Erweiterung des Standardmodells bilden die Theorien der Supersymmetrie (Susy). Demnach hatten die bekannten Elementarteilchen einst massereichere Partner, die nur kurz nach dem Urknall auftraten. Das leichteste dieser Teilchen namens Neutralino könnte aber noch existieren und eines jener Partikel sein, aus denen Dunkle Materie besteht.

Bereits im ersten Durchlauf ab 2009 hatten die CERN-Forscher mit dem LHC versucht, Susy-Teilchen zu erzeugen – ohne Erfolg. Nun wollen sie noch näher an den Urknallzustand herankommen. Dafür sind höhere Energien nötig. Im Frühjahr 2015 fuhren die Forscher den LHC nach einem aufwendigen Umbau mit der fast doppelten Energie wieder hoch. „Wir können jetzt besser testen, ob sich die verschiedenen Susy-Theorien bestätigen lassen“, sagt Johannes Haller.

Ende 2015 meldeten die CERN-Forscher, sie seien auf einen unerwarteten Effekt gestoßen. Dieser könnte auf ein Teilchen hinweisen, das schwerer ist als alle bekannten Grundbausteine der Materie. Der gefundene Effekt ist allerdings zu klein, um von einer Entdeckung sprechen zu können; es könnte sich um einen Zufall handeln.

Definitiv von einer Entdeckung sprechen die Forscher der Ligo-Kollaboration. Dank ihres Nachweises von Gravitationswellen könnte nun eine neue Ära in der Astronomie anbrechen. Bisher basieren alle Erkenntnisse über den Kosmos auf elektromagnetischen Wellen, vom sichtbaren Licht bis zur Gammastrahlung. „Mit Gravitationswellendetektoren werden wir Dinge im Universum beobachten können, die mit bisherigen Teleskopen nicht zu erkennen sind, etwa Schwarze Löcher“, sagt Prof. Roman Schnabel vom Institut für Laserphysik an der Uni Hamburg, der mit fünf Forschern aus seiner Arbeitsgruppe zur Ligo-Kollaboration gehört. „In den nächsten Jahrzehnten werden wir Dinge sehen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.“