Hamburg. Rund 37 Millionen Menschen leben weltweit mit dem tödlichen Virus. Wie Forscher nun Infizierte von HIV befreien wollen.

Im Kampf gegen die HIV-Infektion ist Hamburger und Dresdner Forschern möglicherweise ein entscheidender Schritt gelungen. Sie haben eine molekulare Schere entwickelt, mit der das Erbgut des Virus aus der infizierten menschlichen Zelle herausgeschnitten werden kann. Die Ergebnisse dieser Studie wurden am Montag in der Fachzeitschrift „Nature Biotechnology“ veröffentlicht. „Die Arbeit hat das Potenzial, die bisherige Therapie zu verändern und das erste Mal eine Heilung zu erzielen“, sagte Prof. Joachim Hauber, Leiter der Abteilung „ Antivirale Strategien“ am Hamburger Heinrich-Pette-Institut, Leibniz Institut für Experimentelle Virologie (HPI), die zusammen mit Systembiologen der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden die Studie durchgeführt hat.

Die HIV-Infektion, die zur Immunschwächekrankheit Aids führen kann, ist weltweit ein großes Problem: Zurzeit sind 37 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert. Jährlich kommen zwei Millionen Neuinfektionen hinzu. Bekannt sind zwei Arten von HI-Viren, HIV 1 und HIV 2. Die meisten HIV-Infizierten haben sich mit dem HI-Virus 1 angesteckt. Einen Impfstoff gegen die Infektion gibt es nicht. Die bisherige Therapie besteht darin, mithilfe von Medikamenten die Vermehrung des Virus zu unterdrücken.

Können HIV-Patienten bald auf Tabletten verzichten?

Damit lässt sich zwar die Krankheit in vielen Fällen gut behandeln, aber die Patienten müssen lebenslang Tabletten schlucken und leiden auch unter Nebenwirkungen. Den Krankheitserreger beseitigen kann diese Behandlung nicht.

Das Schwierige ist, das Virus aus den Zellen zu entfernen. Denn es baut seinen Bauplan in das menschliche Erbgut ein. An diesem Punkt setzen molekulare Scheren an, Enzyme, die das Erbgut des Virus aus der menschlichen Zelle, der Wirtszelle, herausschneiden können. Solche Ansätze waren aber bisher nur wenig effektiv oder hatten Nebenwirkungen.

Wie Hauber erklärte, können die bisherigen Scheren nur ein Prozent des in die Zelle integrierten HIV-1-Erbguts erkennen. An HIV-infizierten Mäusen ist die Wirkung bereits nachgewiesen Die neue molekulare Schere, welche die Forscher in den vergangenen drei Jahren entwickelt haben, die sogenannte Designer-Rekombinase Brec1, kann über 90 Prozent des HIV-1-Erbgutes aus dem menschlichen Erbgut herausschneiden. Bei dem relevantesten Untertyp B sogar mehr als 94 Prozent.

So funktioniert die neue Therapie bei HIV-Infektionen

Und das funktioniert folgendermaßen: Das Enzym erkennt die beiden Enden des HIV-Erbgutes in der Zelle, trennt sie aus dem menschlichen Erbgut heraus und führt sie so zusammen, dass ein Ring entsteht. Dieser Ring wird dann in der Zelle abgebaut. Dafür, dass die Schere auch an ihren Bestimmungsort gelangt, sorgt eine Genfähre. Sie besteht aus einem Virus, das gentechnisch so verändert ist, dass es ungefährlich ist. Diese Genfähre verfügt über eine weitere Besonderheit. „Sie enthält einen Schalter, der auf HIV anspricht“, erklärte Hauber.

Das bedeutet, Brec1 wird nur dann produziert, wenn die Zelle auch wirklich mit dem Virus infiziert ist. Dass diese neue Methode funktioniert, haben die Forscher bisher an Zellen von HIV-positiven Patienten und an HIV-infizierten Mäusen nachgewiesen. So haben sie Mäusen blutbildende menschliche Stammzellen injiziert und die Tiere dann mit dem HI-Virus infiziert.

Eine Gruppe der Tiere wurde mit der molekularen Schere behandelt, die andere erhielt keine Therapie. Im Vergleich über einen Zeitraum von 20 Wochen nach der Infektion zeigte sich, dass bei den unbehandelten Tieren die Zahl der nachgewiesenen Viren anstieg und die Zahl der T-Zellen (Untergruppe von weißen Blutkörperchen, die besonders von Hi-Viren befallen werden) abnahm.

Studie mit HIV-Patienten in Hamburg geplant

Bei den Tieren, die mit der molekularen Schere behandelt wurden, sank die Zahl der Viren unter die Nachweisgrenze und die Zahl der T-Zellen nahm nach anfänglichem Absinken wieder deutlich zu. Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler jetzt eine erste Studie mit HIV-Patienten starten. Für die Therapie wird den Patienten ein Wachstumsfaktor verabreicht, der dafür sorgt, dass möglichst viele Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut wandern. Dann wird dem Patienten Blut abgenommen.

„Daraus werden die blutbildenden Stammzellen isoliert, in die dann die Genfähren mit der molekularen Schere eingeführt werden“, sagte Hauber. Im nächsten Schritt erhält der Patient sein eigenes Blut wieder zurück. „Das hat den Vorteil, dass keine Abstoßungsreaktionen zu befürchten sind“, sagte der Wissenschaftler. Die Stammzellen wandern dann zurück ins Knochenmark und bilden dort neue Zellen, in deren Erbgut auch der Bauplan für die molekulare Schere enthalten ist sowie der Schalter, der bei Anwesenheit von HI-Viren die Produktion von Brec1 auslöst.

HIV: Wissenschaftler sprechen von Heilung

In Hamburg soll eine kleine Studie mit zehn Patienten beginnen „Die erzielten Ergebnisse stellen die Grundlage für erste klinische Studien zur Heilung von HIV-Patienten dar, die in absehbarer Zeit in Hamburg durchgeführt werden sollen“, sagte Hauber. Zunächst soll eine kleine Studie mit zehn Patienten beginnen. „Wir hoffen, dass wir dieses Jahr noch starten können“, sagte Dr. Jan Chemnitz, Wissenschaftler in der Abteilung „Antivirale Strategien“ des HPI. Zunächst müssen für diese Studie noch Investoren gefunden werden, denn sie wird ungefähr 15 Millionen Euro kosten.

„Allein die Genfähren kosten schon fünf Millionen Euro. Es gibt nur zwei Firmen in Europa, die so etwas produzieren“, sagte Dr. Ilona Hauber, ebenfalls Wissenschaftlerin in der Abteilung „Antivirale Strategien“ . Das große Ziel sei die Heilung, aber es sei auch ein Erfolg, wenn Patienten, die damit behandelt würden, keine weiteren Medikamente mehr einnehmen müssten, die die Virusvermehrung hemmen, sagte Chemnitz. Wenn alles optimal läuft, könnte nach seinen Worten die molekulare Schere frühestens in sieben bis acht Jahren als Medikament zur Verfügung stehen.

Bis dahin sind noch einige Hürden zu nehmen. So müssen nach der ersten Studie weitere mit größeren Patientenzahlen durchgeführt werden. Erst wenn nachgewiesen ist, dass das Medikament gut verträglich und wirksam ist, kann es für eine Therapie zugelassen werden. Hauber erhofft sich auch politische Unterstützung: „Wir sind darauf angewiesen, dass die Behörden diesem Vorhaben wohlwollend gegenüberstehen. Hiermit haben wir für Hamburg eine Chance, bei der Entwicklung neuester Therapien dabei zu sein.“