Berlin. Wie schlimm steht es um die Erderwärmung? Klimaforscher Schellnhuber warnt vor einer düsteren Zukunft und fordert das Ende der Kohle.

Mindestens vier Eiszeiten gab es in der Erdgeschichte. Es könnten einige mehr gewesen sein, legt man andere Definitionen von Zeiten großer Vergletscherungen zugrunde. Die nächste jedenfalls wird ausfallen, glaubt der führende deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Zu sehr habe der Mensch an den Stellschrauben des globalen Klimasystems gedreht, sagte der Leiter des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zur Eröffnung des 9. Münchner Klimaherbstes. Nun sei der Mensch „eine so starke geologische Kraft geworden, dass er sogar Eiszeiten unterdrücken kann“. Wie schlimm also steht es um die Erderwärmung, knapp zwei Monate vor dem wegweisenden UN-Klimagipfel in Paris?

Die Kippschalter des Klimas: Wenn es kein Zurück mehr gibt

Schellnhuber gründet sein düsteres Zukunftsszenario auf den „Zündstoff“, den der Mensch in das Klimasystem eingebracht habe. Durch die Verfeuerung fossiler Energieträger habe der Mensch seit Beginn der industriellen Revolution 500 Gigatonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre geblasen und damit folgenschwer die Erwärmung der Erde angeheizt. Diese Menge reiche aus, um die nächste Kälteperiode zu verhindern, sagt Schellnhuber und verweist auf eine zentrale These der Potsdamer Klimaforscher: Gelinge es nicht, die Erwärmung der Erde über zwei Grad Celsius hinaus zu stoppen, gerate das Klimasystem außer Kontrolle. Dann überschreite die Menschheit jene Punkte, an denen die Folgen des Klimawandels nicht mehr beherrschbar seien. Bereits eine Erwärmung bis zu zwei Grad bedeute, dass der Meeresspiegel um schätzungsweise sechs Meter ansteige und viele Ökosysteme wie die Korallenriffe zerstört würden, führt Schellnhuber aus, „das sei so sicher wie das Amen in der Kirche“. Oberhalb dieser Grenze sei „kein Halten mehr“.

Tatsächlich beschreiben die PIK-Forscher neun mögliche „Kipp-Punkte“ (Tipping Points) des Klimas. Von ihnen glauben sie, dass sie einen sich selbst beschleunigenden Klimawandel in Gang setzen könnten, der nicht mehr rückgängig zu machen wäre. Vom Schmelzen des Meereises und der Eisschilde, dem Auftauen des Permafrostbodens bis hin zu Veränderungen in wichtigen Ökosystemen und Meeresströmungen: Die Phänomene sind mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten behaftet, das genaue Eintreffen und die Wirksamkeit der Prozesse noch nicht ausreichend erforscht. Das wiederum stärkt Klimaskeptiker. Längst ist es zum Ritual geworden, dass in den Wochen vor UN-Klimagipfeln die Auseinandersetzungen zwischen Mahnern und Zweiflern ihren Höhepunkt finden. Auch diesmal.

„Business as usual, das Weitermachen wie bisher“, sagt Schellnhuber, werde katastrophale Folgen haben. Falls die Menschheit den bisherigen Wachstumspfad weiter verfolge und alle Reserven an Kohle, Erdöl und Gas verfeuere, sei sogar mit einer Erwärmung um mindestens acht Grad zu rechnen. Dann würden selbst die gigantischen Eismassen der Ostantarktis abtauen. Die Besitzer der Bodenschätze, sie müssten enteignet werden.

Das Ende des Ewigen Eises prophezeien Potsdamer Forscher in ihren jüngsten Studien für den Fall, dass die verfügbaren fossilen Ressourcen aufgebraucht würden. „Die antarktische Eisdecke würde als Folge der Erderwärmung nahezu komplett abschmelzen und einen seit Menschengedenken noch nie dagewesenen Anstieg des globalen Meeresspiegels verursachen“, sagte die Leitautorin der Studie, Ricarda Winkelmann. In der Summe halte das Eis der Antarktis Wassermassen, die den Meeresspiegel insgesamt um 58 Meter steigen lassen könnten.

Letzte Ausfahrt Paris? Hoffen auf ein globales Abkommen

2015 ist das Schlüsseljahr für die internationale Klimapolitik, die unter dem Dach der Vereinten Nationen seit Jahrzehnten vergeblich um jenen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag ringt, der weltweit den CO2-Ausstoß begrenzt. Im Idealfall soll am Ende der Pariser Konferenz ein globales Abkommen für den Klimaschutz beschlossen werden. Es soll bindenden Charakter haben und 2020 in Kraft treten. Schon 2009 hatte die Klimadiplomatie Anlauf genommen: Der Gipfel in Kopenhagen, er scheiterte kläglich.

Viele Vorzeichen würden nun anders aussehen, sagen Analysten der Münchner Unternehmensberatung FutureCamp. Die einstigen großen klimapolitischen Rivalen USA und China würden gemeinsam die Vorbereitungen für ein internationales Abkommen unterstützen und hätten gemeinsam ihre Ziele für eine Klimapolitik nach 2020 verkündet. Tatsächlich will China spätestens 2030 den Höchststand seiner CO2-Emissionen erreicht haben und den Anteil an nicht fossilen Brennstoffen auf 20 Prozent steigern. US-Präsident Obama hat verkündet, die Emissionen innerhalb der nächsten zehn Jahre um 26 bis 28 Prozent im Vergleich zu 2005 zu reduzieren.

Doch bislang haben erst ein Dutzend Staaten Pläne übermittelt, mit welchen Schritten sie die Emissionen in den Griff bekommen wollen. Im Potsdamer Institut mahnen die Klimaforscher Fortschritte an. Die absehbaren Bemühungen jedenfalls seien nicht dazu geeignet, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Paris, sagte Schellnhuber in einem Interview, sei nur der Beginn – nicht das Ende – eines langen Weges.