Hamburg. Wenn Töne und Lautstärke nicht so wollen, wie sie sollen, helfen verschiedene Experten in einer deutschlandweit einzigartigen Einrichtung am UKE.

Wenn Birte Heckmann in dem Therapie-Raum an der Martinistraße in Eppendorf „Stopp“ ruft, dann hält man es durchaus für möglich, dass man die Ansage auch drei Straßen weiter noch hört. Ihre Stimme ist klar, kraftvoll und erreicht eine Lautstärke, für die andere wohl ein Megafon bräuchten.

Wenn Maria Diekhoff „Stopp“ ruft, dann klingt es anders. Irgendwie so, als ob der Ton einen Meter nachdem er ihren Mund verlassen hat, einfach auf den Boden fallen würde. Sie übt es wieder und wieder. Auch Namen ruft sie. Namen, die auch Schüler in ihrem Unterricht in einer Langenhorner Grundschule tragen könnten. Schüler, zu denen ihre Stimme manchmal nicht so durchdringt, wie sie es sich wünscht.

Heute ist Diekhoffs siebte Therapiestunde in der Hamburger Stimmklinik, die im vergangenen Herbst auf dem Gelände des UKE eröffnet hat. Einen Initialmoment, durch den sie sich für professionelle Hilfe entschieden hat, gab es nicht. Dafür ein jahrelanges Unwohlsein in vielen Sprechsituationen, in denen sie ihre Stimme als zu dünn, leise und wackelig empfand. Oft wurden die Probleme im Tagesverlauf schlimmer.

„Morgens geht es noch ganz gut, aber im Laufe des Tages bricht mir die Stimme immer häufiger weg“, sagt die 52-jährige Langenhornerin. „In der letzten Schulstunde strengt mich das Reden manchmal schon so an, dass ich mich ständig räuspern muss.“

Generell schwierig sind Situationen, in denen sie vor vielen Menschen sprechen muss. Und davon gibt es genügend: in der großen Dreifeldsporthalle, im Klassenzimmer, auf Elternabenden. „Und dann ärgert es mich, dass meine Stimme nicht so will wie ich, dann fürchte ich, dass ich dadurch weniger kompetent rüberkommen könnte“, sagt Maria Dieckhoff. Durch die Stimmklinik erhofft sie sich eine Besserung der Situation und einen souveräneren Umgang mit ihrer Stimme.

Diekhoff ist eine von vielen Lehrern, die an der Hamburger Stimmklinik betreut werden. Aber auch andere „klassische Sprechberufe“ sind vertreten, etwa Schauspieler, Sänger, Menschen in Führungspositionen und Pastoren. Ein großes Thema ist auch die „Altersstimme“, eine mit zunehmendem Alter dünner werdende Stimme also.

Eine Begründung dafür, warum so viele Menschen unter Stimmproblemen leiden, klingt erst einmal kurios: „Evolutionsbiologisch betrachtet, ist der Mensch nicht zum Dauersprechen gemacht“, sagt der Gründer der Stimmklinik, Dr. Markus Hess. „Die eigentliche Aufgabe des Kehlkopfes ist nicht das Sprechen, sondern der Schutz der Lunge“, so der Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Phoniatrie. „Auf die gesamte Geschichte der Menschheit gesehen, hatte die Stimme die längste Zeit die Hauptfunktionen, Feinde durch Laute abzuwehren und Aggressionen zu zeigen.“ Dass aus dem Kehlkopf ein Hochleistungs-Kommunikationsorgan wurde, wie wir ihn heute nutzen, sei vergleichsweise neu. Und ganz am Ende sei dann auch noch das Singen dazugekommen – im Grunde eine artfremde Betätigung.

Wie beim Sport kann jeder Mensch seine Stimme durch Training verbessern

Ob man im Laufe seines Lebens Probleme mit seiner Stimme bekommt, hängt mit einer Mischung aus Veranlagung und gelernten Verhaltensweisen zusammen. Grundsätzlich gilt: „Wie beim Sport kann jeder Mensch seine Stimme durch Training verbessern.“

In der Sitzung heute geht es um eine „klassische Auftrittsposition“. Die kennt Diekhoff gut. Sie simulieren eine Alltagssituation in der Schule, in der Diekhoffs Sprechbeitrag gerade von einer Kollegin anmoderiert wird: „Liebe Eltern, liebe Kollegen, jetzt wird unsere Kollegin Frau Diekhoff noch ein paar Worte zu Ihnen sprechen.“ Was jetzt passiert, kann sie manchmal nur schwer kontrollieren. Herzklopfen, Aufregung, sie zieht die Schultern nach vorne, drückt ihre Knie durch. Ihre innerliche und körperliche Anspannung spiegelt sich in ihrer Stimme wieder.

Ein Klassiker: „Wenn die Stimme von alleine nicht laut genug ist, dann probieren viele, mit Druck dagegen anzuarbeiten“, sagt Stimmtrainerin Birte Heckmann. „Das ist nicht nur kräftezehrend. Wenn dauerhaft falsch gegen die Stimme angearbeitet wird, kann aus einer funktionellen Stimmstörung auch eine organische werden.“

Stimmtrainerin Birte Heckmann gibt der Hamburger Lehrerin Tipps, zeigt ihr, wie sie allein durch eine bessere Kopf- und Körperhaltung ihre Stimme beeinflussen kann: Schultern zurück, Nacken verlängern, locker in die Knie gehen.

Teil des Trainings sind auch spezielle Stimmübungen. Bei einer soll Diekhoff zum Beispiel aus dem Fenster schauen und sich in der Ferne ein Ziel aussuchen, zu dem sie sprechen will und bis zu dem es ihre Stimme schaffen soll. Dafür muss sie lernen, ihre „Töne zu Ende zu bringen“.

Manchmal klappt das schon ganz gut. „Das Bewusstsein für die Situationen und Zusammenhänge ist da“, sagt Diekhoff. Ein wichtiger erster Schritt. Jetzt heißt es, Geduld zu haben. Es dauert seine Zeit, über Jahre antrainiertes Verhalten dauerhaft zu ändern. Aber für heute ist Diekhoff zufrieden.

Und nach der Sitzung bei der Stimmtrainerin steht sowieso erst mal das Wochenende vor der Tür. Eine Zeit ohne „Stopp“ sagen und Ansprachen halten. „Und so ohne Stress spielt dann auch die Stimme mit“, sagt Diekhoff. „Auf meine ,Wochenend-Stimme‘ ist Verlass.“