Kommission gibt Unzulänglichkeiten zu. Operation wurde abgebrochen. Bremerhavener Fall löst neue Debatte über Hirntod-Dokumentation aus.

Bremen/Berlin. Fast 11.000 schwerstkranke Menschen warten in Deutschland auf Spenderorgane. Jetzt gibt es Zweifel, ob die Ärzte bei potenziellen Spendern immer korrekt den Hirntod festgestellt haben. Die Folge ist absehbar: Die ohnehin wegen der Organspendeskandale an großen Unikliniken ab dem Jahr 2012 eingebrochenen Zahlen der Organspenden könnten noch einmal sinken.

Im Klinikum Bremerhaven soll die Entnahme von Organen mit der Öffnung des Bauchraums des Patienten bereits begonnen worden sein, obwohl der Hirntod nicht einwandfrei festgestellt war. Das berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Montag-Ausgabe. Laut Zeitung brachen die Ärzte, als ihnen das Versäumnis klar wurde, die Operation umgehend ab. Die Zeitung berichtet weiter, es habe bei den Ärzten und anderen Beteiligten Tränen gegeben vor allem ob das Restrisikos, dass der Patient noch Restaktivität des Gehirns gehabt und so auch schwerste Schmerzen erlitten haben könne durch die eben begonnene Organentnahme.

Dokumentation wichtigster Teil

Ein Sprecher des Gesundheitsressorts des Landes Bremen räumte ein, es habe formale Fehler in der Dokumentation gegeben. Diese Dokumentation ist der wichtigste Teil des Regelwerks in Deutschland für die Feststellung eines Hirntods. Er soll in der Regie der Deutschen Stiftung für Organtransplantationen (DSO) erfolgen. Nach dem Transplantationsgesetz müssen zwei Ärzte vor einer Organentnahme unabhängig voneinander den Hirntod des Spenders feststellen. Dazu müssen sie mehrere Tests machen, die beweisen, dass ein tiefes Koma vorliegt und dass die Spontanatmung und alle Hirnstammreflexe ausgefallen sind. „Das ist keine leichtfertige Entscheidung, die da getroffen wird“, sagte die Präsidentin der Bremer Ärztekammer, Heidrun Gitter. Das Verfahren dauere meist zwei Tage. Es sei daher unwahrscheinlich, dass jemand irrtümlicherweise für tot erklärt wird.

In den 90er-Jahre hat es in der Bundesrepublik einen breiten gesellschaftlichen Konsens unter Einbeziehung der beiden großen christlichen Kirchen gegeben für das Hirntodkriterium als Voraussetzung für die Entnahme von Organen. Seit Jahren gibt es jedoch immer wieder Diskussionen darüber, ob die Regeln zu lasch sind und ob nicht vor allem die Qualifikation der Ärzte, die diese Diagnose treffen dürfen, besser sein muss als gegenwärtig vorgeschrieben.

Dies ist die Stoßrichtung der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Ihr Verbandsvorsitzender Eugen Brysch forderte in Reaktion auf den Bremer Fall die Gründung von drei Kompetenzteams aus speziell qualifizierten Neurologen. Diese sollten grundsätzlich die letzte Prüfung auf einen Hirntod vornehmen: „Diese Teams müssen staatlich verantwortet beim Robert-Koch-Institut in Berlin angesiedelt werden.“

Kommission stellt doch Hirntod fest

Die DSO hatte dafür gesorgt, dass sich die bei der Bundesärztekammer in Berlin angesiedelte Überwachungskommission mit „Unklarheiten in Bezug auf die Hirntoddiagnostik bzw. ihrer Dokumentation“ beschäftigte. Laut „Süddeutscher Zeitung“ geht es dabei nicht nur um einen Einzelfall am Klinikum Bremerhaven: „Offenbar gibt es neben dem Bremer Fall weitere problematische Fälle, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß.“

Am frühen Abend teilte die Prüfungs- und Überwachungskommission, in gemeinsamer Trägerschaft von Bundesärztekammer, Deutscher Krankenhausgesellschaft und GKV Spitzenverband, mit, dass sie „nach eingehender Analyse einer infrage gestellten Hirntoddiagnostik in einem norddeutschen Krankenhaus auch unter Hinzuziehung weiterer unabhängiger Expertise festgestellt“ habe, „dass die Organspenderin vor geplanter Organentnahme hirntot war“. So hätten die seit Dezember laufenden Untersuchungen der Kommissionen bisher ergeben, „dass sämtliche Hirnfunktionen erloschen waren. Das haben eingehende Untersuchungen nach Anhörungen von Experten und die Sichtung der vorliegenden Unterlagen gezeigt.“

Unabhängig davon seien Unzulänglichkeiten in der Dokumentation festgestellt worden, „die zu Unsicherheiten bei den Beteiligten und schließlich zum Abbruch der Organentnahme geführt haben“. Für die Kommissionen sei das zwingender Anlass, weitere detaillierte Untersuchungen zum Ablauf sowie persönliche Anhörungen der Beteiligten schnellstmöglich abzuschließen. Die Kommission will unmittelbar nach Abschluss der Untersuchungen einen Bericht veröffentlichen.

Fachleute gehen davon aus, dass in Deutschland jeden Tag mindestens drei schwerstkranke Menschen sterben, weil es an Spenderorganen fehlt. Nachdem im Jahr 2012 bekannt wurde, dass an mehreren großen Transplantationszentren in Deutschland Ärzte die Akten manipuliert hatten, um ihren Patienten vorbei an den offiziellen Wartelisten Spenderorgane zu verschaffen, ging die Zahl der Spender von zuvor mehr als 900 auf 650 im Jahr zurück. Auch die Tatsache, dass die Krankenkassen neuerdings ihre Versicherten regelmäßig an die Möglichkeit erinnern, einen Organspenderausweis mit sich zu tragen, hat den Negativtrend bisher nicht stoppen können.