Als elfter Deutscher flog Alexander Gerst ins All. Mit seinen Fotos wollte der Geophysiker Leidenschaft für die Raumfahrt wecken. Nach 166 Tagen kehrte er zurück. Warum seine neuen Pläne wackeln.

Moskau. Er war wohl Deutschlands „Überflieger“ des Jahres: Alexander Gerst arbeitete sechs Monate lang auf der Internationalen Raumstation (ISS) und umrundete dabei die Erde mehr als 2500-mal. Mit seinen Fotos aus dem All von Städten, Landschaften und Wetterphänomenen begeisterte er im Internet Zehntausende. Immer noch ist der 38-Jährige überrascht vom Rummel um seine Mission. „Die Popularität ist weiter sehr ungewohnt“, sagt er. Vor Kurzem wettete Gerst mit seiner Freundin, dass ihn niemand auf der Straße erkennt – und verlor. „Alex ist jetzt beliebter als Angela Merkel“, sagt der Russe Maxim Surajew, der mit Gerst ein halbes Jahr auf der Raumstation verbrachte, augenzwinkernd.

Mit einem spektakulären Nachtstart war der Mann mit dem kahl geschorenen Kopf am 28. Mai an Bord einer russischen Sojus-Rakete vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan zur ISS geflogen. Dort betreute er rund 166 Tage lang wissenschaftliche Experimente und stieg als Höhepunkt zu Montagearbeiten in den freien Kosmos aus. „Wenn man weiß, dass zwischen sich und der Erde nichts ist als das Visier des Raumanzugs, ist das eine tolle Sache“, schwärmt der Geophysiker auch noch Wochen nach seiner Landung in Kasachstan am 10. November. Gerst war der elfte Deutsche im All – diese Zahl übertreffen nur die Raumfahrtgroßmächte USA und Russland.

Gerst berichtet vom „Schrecken des Amazonas“

Doch nicht jeder Blick aus rund 400 Kilometern Höhe ist angenehm. „Es war schrecklich, die abgeholzten Wälder im Amazonas zu sehen“, erzählt der Mann aus Künzelsau (Baden-Württemberg), der an der Universität Hamburg promovierte. Es habe ihn „wirklich schockiert“, wie viel von der „grünen Lunge“ bereits gerodet und abgefackelt worden sei. „Wenn Außerirdische die Umweltzerstörung, Kriege und Ländergrenzen auf unserem Planeten sehen würden, hätte ich wirklich Probleme, denen das zu erklären“, meint Gerst.

Es gehe nicht nur um die selbst gemachte Naturzerstörung: Der Erde drohe vielleicht einmal eine Katastrophe aus dem Weltall, betont der Raumfahrer. Es spreche viel dafür, dass auf dem öden Mars einmal ähnliche Bedingungen geherrscht hatten wie heute auf der Erde. „Wie kam es zu dieser Wüste? Droht das der Erde? Auch deswegen sollten wir den Mars erforschen“, sagt Gerst. Er hege keine Zweifel an einer bemannten Mission zum Roten Planeten – „wann das sein wird, darauf kann ich mich nicht festlegen. Weil dies eine gesellschaftlich-politische Frage ist.“

Erstmals seit ihrer Landung trafen sich Gerst, Surajew und der US-Amerikaner Reid Wiseman vor Kurzem wieder – zu Bilanzgesprächen im Swjosdny Gorodok (Sternenstädtchen) bei Moskau, wo sich bereits Juri Gagarin auf seinen historischen Flug ins All 1961 vorbereitet hatte. „Wir haben (...) Wiedervereinigung gefeiert, mit anderen Raumfahrern diskutiert und täglich bestimmt drei bis vier Stunden in der Banja (russisches Dampfbad) gesessen“, sagte Gerst der Agentur dpa. „Es war ein wenig wie nach Hause kommen.“

Gerst ist überzeugt vom Sinn der bemannten Raumfahrt – und will auch andere überzeugen. „Wir sind seit Jahrtausenden Entdecker, das liegt uns im Blut. Es ist ja auch unsere Pflicht, weil die Umwelt uns gefährlich werden kann“, sagt er. Den Kosmos erforsche der Mensch erst seit 50 Jahren. „Das heißt, wir stehen am absoluten Anfang der Möglichkeiten. Wir sind noch in den Pioniertagen der Raumfahrt.“

„Cygnus“ kurz nach dem Start explodiert

Rückschläge gehören dazu, räumt Gerst ein. Im vergangenen Herbst war erst der US-Raumfrachter „Cygnus“ kurz nach dem Start explodiert, wenige Tage später starb beim Absturz des Raumschiffs „SpaceShipTwo“ ein Testpilot. Gerst war zu dieser Zeit im Weltraum. „Natürlich haben wir auf der ISS darüber gesprochen. Aus diesen tragischen Rückschlägen lernt man aber. Wir arbeiten an der vordersten Front komplexer Technologien, das vergisst man vielleicht ab und zu.“

Wann der nächste Deutsche ins All reist, wird auch vom Schicksal der Raumstation abhängen. Bisher ist der Betrieb des schwebenden Labors nur bis 2020 gesichert. Bis dahin sind alle Flüge der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa) vergeben. Gerst würde aber für eine erneute Mission bereitstehen: „Letztendlich ist es nicht meine Entscheidung. Doch sollte man es mir anbieten, stehe ich selbstverständlich mit Freude zur Verfügung.“ Ein Buch über seine Zeit im All will er vorerst nicht schreiben. „Ich habe mir bisher nicht vorstellen können, dass das jemanden interessieren könnte“, sagt der Raumfahrer aus Leidenschaft.