Feierabend für Deutschlands Mann im All: Nach 166 Tagen auf der ISS kehrt Alexander Gerst zur Erde zurück. Er freut sich auf Pizza und Waldläufe.

Moskau. Am Ende seiner Mission wird es für den deutschen Astronauten Alexander Gerst am kommenden Montag wohl rasend schnell gehen. Nach dem Abkoppeln von der Internationalen Raumstation (ISS) soll die Sojus-Kapsel zunächst ungebremst zur Erde fallen; Luftreibung wird die Schutzschicht dabei auf 1000 Grad Celsius erhitzen. Massive Kräfte werden den 38-Jährigen und zwei weitere Rückkehrer in die Sitze drücken, bis Fallschirme den Sturz abstoppen. Etwa vier Stunden nach dem Abdocken in rund 400 Kilometern Höhe soll die Sojus dann in Kasachstan landen. Am Abend wird Gerst schon in Köln erwartet.

Die Rückkehr in der schwer zu manövrierenden Kapsel gilt technisch als extrem anspruchsvoll – auch, weil es in der Sojus „so eng ist wie zu dritt in einer Telefonzelle“, sagt der Ex-Astronaut Thomas Reiter. Der 56-Jährige, inzwischen Direktor für bemannte Raumfahrt bei der Europäischen Weltraumorganisation (Esa), hatte jeweils ein halbes Jahr auf der russischen Raumstation Mir (1995/996) und an Bord der ISS (2006) verbracht. Er denkt mit Grauen an seine Heimreise von 1996 zurück. Einen „Höllenritt durch die Atmosphäre“ habe er damals erlebt, erzählt Reiter. Er spricht von „einem der schwierigsten Manöver in der bemannten Raumfahrt“.

Auch diesmal werde die Landung in der baumlosen Weite Zentralasiens nicht ungefährlich, heißt es auch von der Flugleitzentrale bei Moskau. Demnach wehen über der mit Raureif bedeckten Steppe derzeit tückische Herbstwinde. Immer wieder haben Gerst und seine beiden Kollegen, der Russe Maxim Surajew und der Amerikaner Reid Wiseman, das schwierige Landemanöver in den vergangenen Jahren geübt. Für den Geophysiker ist es der vorläufige Schlusspunkt einer 166-tägigen Reise durchs All.

Auf der Erde wird es für ihn noch einige Monate lang weitergehen mit Studien, nur dass sich diese um ihn selbst drehen: Ärzte werden dann zunächst untersuchen, wie sich die mehr als 2500 Erdumrundungen auf den Körper des Raumfahrers ausgewirkt haben. Die Erkenntnisse sollen auch Aufschluss darüber geben, wie Menschen sich auf einen möglichen Mars-Flug vorbereiten müssten. Und obwohl Gerst als topfit gilt, ist eine intensive Erholungskur vorgesehen, denn Muskeln bilden sich in der Schwerelosigkeit zurück, die Wirbelsäule streckt sich.

Doch was außer Blutwerten und Knochentests bleibt noch von der etwa 80 Millionen Euro teuren Mission? Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Esa verweisen vor allem auf etwa 100 Experimente an Bord des fliegenden Labors. Viele wissenschaftliche Erkenntnisse würden den Alltag auf unserem Planeten verbessern, meint DLR-Chef Jan Wörner. „Fernsehen, Kommunikation, Wettervorhersage“, sagt er. Alexander Gerst sieht noch einen weiteren Sinn: „Der Blick aus dem All hilft, die Verwundbarkeit unserer Heimat zu verstehen. Die Erde ist nur eine kleine Kugel aus Stein mit einer hauchdünnen Atmosphäre.“

Seit seinem Nachtstart zum Außenposten der Menschheit Ende Mai hat der Mann aus Künzelsau (Baden-Württemberg) auf der Erde einiges verpasst, etwa die Weltmeister-Euphorie in Deutschland. Stattdessen hat er andere spektakuläre Dinge erlebt, etwa einen Einsatz im freien Kosmos. Als erster Deutscher seit sechs Jahren verließ er die ISS zu sechsstündigen Arbeiten. Für ihn war das die „mit Abstand eindrucksvollste Erfahrung meines Lebens“.

Gerst war der elfte Deutsche im Weltraum. Keiner seiner Vorgänger ließ die Menschen auf der Erde so an seiner Mission teilhaben. Fast täglich verbreitete Deutschlands Mann im All seine Eindrücke über den Onlinedienst Twitter. Er veröffentlichte Fotos von Städten, vom Leben auf der ISS, und er schrieb auf, was er gerade empfand. „In mondlosen Nächten kommt es mir manchmal so vor, als hinge die Erde wie eine monströse schwarze Kugel über mir“, ließ er seine Follower zum Beispiel wissen. An einem anderen Tag twitterte „@Astro_Alex“: „Habe gestern frische Tomaten aus der Progress-Kapsel gegessen. Unglaublich köstlich, ich konnte die Erde förmlich schmecken!“ Später informierte er die Erdlinge über sein Fitnessprogramm: „Gerade eben 16.300 km auf dem Laufband gelaufen (35 Min mit 28.000 km/h).“

Im August beantwortete er live Fragen von Besuchern des Europäischen Astronautenzentrums in Köln; anschließend nahm er sich Zeit für einen weiteren Livestream, um auf die Fragen von Facebook-Nutzern einzugehen.

Packen muss Alexander Gerst nicht mehr. Seine Ausrüstung schwebte vor wenigen Tagen mit einem US-Raumtransporter zur Erde. Am Montag soll der Astronaut folgen. Von Kasachstan fliegt Gerst zunächst nach Schottland, wo er von DLR-Chef Wörner in Empfang genommen und nach Köln begleitet wird.

Gerst freut sich auf Normalität, etwa auf eine Pizza und einen Lauf im Wald. Wehmut verspürt er trotzdem: Er werde vieles vermissen aus seiner Zeit in der Schwerelosigkeit, meint der Mann mit dem kahl geschorenen Kopf – zum Beispiel die Möglichkeit, beim Zähneputzen einen Rückwärtssalto zu drehen.

Wann der nächste Deutsche ins All fliegt, wird auch vom Schicksal der Raumstation abhängen. Bisher gilt nur der Betrieb bis 2020 als gesichert. Alexander Gerst kann sich eine erneute Himmelfahrt aber vorstellen: „Letztendlich ist es nicht meine Entscheidung – doch sollte man es mir anbieten, stehe ich selbstverständlich mit Freude zur Verfügung.“