Bernhardt Otto Holtermann wandert von der Elbe nach Australien aus und stößt dort 1872 auf einen 285 Kilo schweren Goldbrocken. Noch mehrmals reist er in seine Heimatstadt. Ein Forscher von heute sucht neue Spuren des Abenteurers

Es ist dieser eine Moment, der das Leben von Grund auf verändert. Es ist das Ereignis (in diesem Fall tiefschürfender Natur), das einen armen Schlucker in einen gemachten Mann verwandelt. Es ist die Geschichte von hanseatischem Wagemut, Fernweh, Pioniergeist und grandiosem Glück – in Form eines gigantischen Goldklumpens. Das vielleicht Schönste daran: Materieller Reichtum und persönliche Zufriedenheit standen diesmal im Einklang.

Es ist die Geschichte des Hamburgers Bernhardt Otto Holtermann. Anno 1858 zog der damals 20-Jährige auf der Suche nach der großen Freiheit hinaus in die Welt. Eine abenteuerliche, historisch verbriefte Reise gipfelte in einem sagenhaften Erfolgserlebnis. Zusammen mit seinem Kumpel Ludwig Beyers beförderte Holtermann den angeblich größten Goldbrocken aller Zeiten ans Tageslicht: anderthalb Meter hoch, 60 Zentimeter breit und 285 Kilo schwer. In Australien sind sie aktuell damit beschäftigt, diese einmalige Episode aufzuarbeiten und dem Glück auf den Grund zu gehen.

Gibt es Hamburger, die mehr wissen oder sogar noch Dokumente besitzen?

„Auch fast 130 Jahre nach seinem Tod ist Holtermann in Australien eine bekannte Persönlichkeit, deren Wirken für den Kontinent in Ehren gehalten wird“, weiß Peter Böhm. Der gebürtige Schlesier mit späterem Wohnsitz in Bremen wanderte 1982 mit seiner Familie nach Sydney aus. Dort stieß er immer wieder auf die wundersamen Erlebnisse aus der Goldgräber-Ära und beschloss, mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Von Interesse sind besonders Holtermanns Wurzeln in Hamburg und seine Stationen dort nach dem spektakulären Goldfund vom 19. Oktober 1872. Als Pionier der Fotografie und Werbeträger Australiens soll der Glücksritter seine Heimatstadt im Herbst 1876 und nochmals 1879 besucht haben.

„Leider sind keine Details bekannt“, sagt Forscher Böhm. Im Hamburger Staatsarchiv, in Adressdateien und Antiquariaten fand er nur spärliche Hinweise. Viele Aufzeichnungen und alte Zeitungsausschnitte, vermutet er, sind im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges vernichtet worden. Zumindest förderte er das Dokument eines „Photographischen Ateliers G. A. W. Seyffarth“, Speersort 28, zutage. Aus dem Studio des Lichtbildners stammt ein Foto, das Holtermann & Beyers mit diversen Riesennuggets zeigt und bestens erhalten ist. Böhm hofft nun, dass es noch Hamburger gibt, die mehr wissen oder sogar Dokumente besitzen.

Klar ist, dass Bernhardt Otto Holtermann am 29. April 1838 in Hamburg als Sohn des Wildhändlers und Kommissionärs Johann Heinrich Holtermann und dessen aus Buxtehude stammenden Ehefrau Catharina Nachtigall zur Welt kam. Die Familie wohnte an der Brunnenstraße, Brennerstraße sowie am Steindamm in der seinerzeit noch ländlichen Vorstadt St. Georg.

Nach der Lehrzeit bei seinem Onkel im Handelshaus Holtermann & Köpcke in der Nähe des Rödingsmarkts folgte Bernhardt Otto dem Lockruf der großen weiten Welt. Angetrieben von Abenteuerlust und Gewinnstreben, aber wohl auch aus Furcht vor dem Militärdienst, fuhr er nach England und reiste von Liverpool aus mit dem Auswandererschiff „Salem“ Richtung Australien. Dort traf er auf sehr viele Briten, Paradiesvögel aus aller Herren Länder und auch auf ein paar Deutsche. Einer von ihnen war sein späterer Weggefährte und Freund Ludwig „Hugo Louis“ Beyers. Bis zum Fund des Riesenschatzes sollten noch 14 harte Jahre vergehen.

Einzelheiten skizzierte der Journalist Wilhelm F. Schmiede in einem Beitrag für das Hamburger Abendblatt in der Ausgabe vom 18. Oktober 1972, mithin fast auf den Tag ein Jahrhundert nach dem Goldfund.

Demnach war der junge Auswanderer aus Hamburg emsig bemüht, wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Er arbeitete als Aushilfsbursche bei Transporten, als Stallknecht und Kellner in einem Hotel mit dem passenden Namen „City of Hamburg“. Dieses beherbergte im Erdgeschoss auch eine Spelunke, in der sich Goldgräber und Hasardeure von überall her trafen. Bernhardt Holtermann ließ sich vom Fieber der Schatzsucher infizieren. Seite an Seite mit Ludwig Beyers brach er erneut auf, um dem Glück auf die Beine zu helfen. Auf dem Hügel von Tambaroora in Neusüdwales, auf den Goldfeldern am Turon River, sollte das Wunder geschehen.

Es war ein bunter Haufen skurriler Typen, die sich dort versammelten und ihre Claims absteckten. Die beiden Deutschen hatten wenig Fortune: Die bescheidenen Schürfergebnisse waren zu viel zum Sterben und zu wenig zum Überleben. Die Männer hausten in großen, notdürftig zusammengezimmerten Holzhütten in erbärmlichen Verhältnissen. Folglich mussten die Schürfarbeiten durch alle möglichen Gelegenheitsjobs unterbrochen werden, um halbwegs über die Runden zu kommen.

Der Hamburger versuchte sich als Bäcker und Schlachter, als Fährmann und Betreiber einer Grogstube. Zwischenzeitlich kam er auf die Idee, in tieferen Erdschichten nach Gold zu suchen. Bis auf 90 Meter trieben Holtermann & Beyer ihren Schacht nach unten. Resultat gleich null. Ein wachsender Schuldenberg jedoch zwang zum Weitermachen. Mit gepumptem Geld und wechselnden Anteilen an der Schürfstelle war das Dasein eine Plage. Bei unterirdischen Sprengungen riskierte man Kopf und Kragen.

Die Tage vor dem Coup hielt Bernhardt Holtermann akkurat in seinem später gefundenen Tagebuch fest: „5800 Zentner Stein erbrachten 78,4 Pfund Gold.“ Das war der Durchbruch! Holtermann & Beyers gründeten eine Gesellschaft, deren Titel Programm war („Star of Hope“), fanden Investoren, hielten das Gros der Aktien und ließen sich als Geschäftsführer eintragen.

Der Hamburger nutzte den Reichtum, um für das Einwandererland zu werben

Ein halbes Jahr nach dem Start entdeckten die Männer den 285 Kilogramm schweren Goldbrocken. Andere Quellen schreiben von 214 Kilogramm. Wie auch immer: Nie zuvor war ein Gigant solchen Ausmaßes gefunden worden, weder in Australien noch anderswo. Und wahrscheinlich wurde auch nie wieder ein solch gewichtiger Fund gemacht. Jedenfalls waren die Goldjungs fortan ihrer materiellen Sorgen ledig. Und der „Holtermann Nugget“ ging in die Geschichte ein.

Während sich Ludwig Beyers zur Ruhe setzte, legte Bernhardt Holtermann richtig los. Der nunmehr 34 Jahre alte Hanseat baute an verschiedenen Orten Läden auf, gründete im Goldgräberstädtchen Hill End das Hotel Holtermann. Weitere Investitionen nährten sein Vermögen. Er war ein angesehener Mann mit Herz für die Unterschicht, ging in die Politik, setzte sich für die Rechte der Einwanderer ein, wurde 1882 in das Parlament von Neusüdwales gewählt. Er beteiligte sich an Fabriken, der legendären Sydney Bridge und am Bau einer Eisenbahnlinie. Durch seine Aktivitäten entstanden Schulen und Krankenhäuser. Nach und nach brachte seine Frau fünf Kinder zur Welt.

Seinen Reichtum nutzte er, um Werbung für das Einwandererland Australien zu machen. Sein eigenes Beispiel sollte Schule machen. Dabei setzte er das damals neue Mittel der Fotografie ein. Mit 1,4 Quadratmeter großen Panoramaaufnahmen der Region um Sydney, einem Schatz von 3000 weiteren Aufnahmen und einer schweren Ausrüstung bereiste er die Welt.

Ziele waren die Weltausstellungen in Philadelphia 1876 und Paris 1878, aber natürlich auch seine Heimatstadt Hamburg. An seinem 47. Geburtstag, am 29. April 1885, verstarb Bernhardt Otto Holtermann in seiner Wahlheimat. Im Ort Hill End erinnert heute eine Gedenkstätte an sein Wirken, das erst durch den gigantischen Goldschatz ermöglicht wurde. Im vergangenen Jahr setzte die Staatsbibliothek von Sydney dann die Ereignisse von vor mehr als 140 Jahren mit einer Ausstellung in Szene: „Die größten Wunder der Welt“.

Auswanderer Peter Böhm, früher selbstständiger Optiker in Bremen mit intensiven Geschäftsbeziehungen nach Hamburg, hofft nun auf Unterstützung. Denn noch sind nicht alle Facetten eines faszinierenden Lebensweges mit Hamburger Wurzeln bekannt.